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Auch zum Klimawandel wird an der Urania informiert. Im Bild Menschen 2016 in den überfluteten Straßen von Ho-Chi-Minh-Stadt.

© xuanhuongho/iStock/Getty Images

130 Jahre Urania: Nichts als die Wahrheit

Seit 1888 ist die Urania den Naturgesetzen auf der Spur. Heute geht es um mehr: Was Menschen bewegt, findet hier Raum.

In Zeiten von irrationalen Verschwörungstheorien, Fake News und alternativen Fakten ist die Berliner Urania ein Hort der Vernunft, der kritischen Rationalität und damit ein Tempel der Aufklärung. Sie ist ein Bildungs- und Kulturverein, der sich die Vermittlung von Wissen aller Gebiete, insbesondere neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, zum Ziel gesetzt hat. In der Urania kommen seit 1888 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort. Sie ist der Prototyp der heute allgemein Science Center genannten Einrichtungen. Die Berliner Urania ist der Raum der wissenschaftlichen Forensik, der Spurensuche nach den Gesetzen der Natur und deren gesellschaftlichem Resonanzvermögen.

Was machen wir mit den Erkenntnissen der Wissenschaft? Wo liegt die Wahrheit hinter den Phänomenen, welchen Irrtümern sitzen wir auf, wo gibt es weiter Klärungsbedarf? Das sind die Fragen, die sich wie ein roter Faden durch die jährlich mehr als 1000 Veranstaltungen zieht. Mit Vorträgen, Kino und Bühne, Ausstellungen, Führungen und Special Events wird eine beeindruckende Vielfalt an wissenschaftlicher Volksbildung mit großem Erfolg angeboten. Die Urania in Berlin hat einen exzellenten Ruf, weit über die Stadt und das Land hinaus.

War es ursprünglich das Ziel der Urania, „Freude an der Naturerkenntnis“ zu wecken, so gehen die heutigen Angebote weit über die Vermittlung naturwissenschaftlicher Kenntnisse hinaus. Die Urania bietet in Veranstaltungen verschiedenster Formate das ganze Spektrum der Wissenskultur – von neuen Erkenntnissen der Wissenschaft bis zu hochwertigen künstlerischen Darbietungen. Sie liefert ein Podium für aktuelle gesellschaftliche Debatten ebenso wie praktische Lebenshilfe und Informationen zu allen Fragen persönlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. Ein besonderes Anliegen ist ihr die Information über Länder und Kulturen und die Verständigung unter den Völkern.

Den Anfang machte Alexander von Humboldt

Die Urania ist politisch unabhängig und steht in der Tradition der Humboldtschen Bildungsideale. Eine wichtige Basis für voraussetzungslose – soll heißen, möglichst objektive Darstellung – wissenschaftlicher Methodik und Erkenntnisse. Sie steht fest auf dem Boden ihrer humanistischen Tradition, die eigentlich weiter reicht als 130 Jahre. Die Ursprünge der Urania als Marktplatz und Erzählforum für die wissenschaftliche und damit rationale Auseinandersetzung mit dem, was Forscherinnen und Forscher über den Kosmos, die Erde und ihre Bewohner herausgefunden haben, geht zurück auf das Jahr 1827. Damals war es Alexander von Humboldt, der mit seinen Kosmos-Vorträgen in der Berliner Singakademie seine umfassenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in die Bevölkerung trug und so den Grundstock für die Urania legte.

Die große Kultur- und Bildungseinrichtung in zentraler Lage Berlins ist zuerst ein Ort für Vorträge und Diskussionen zu den verschiedensten Themen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Neben der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnissen ist es auch ihre Aufgabe, das Nachdenken darüber zu fördern, in welchen Wechselbeziehungen und inneren Zusammenhängen diese stehen und welches Gesamtverständnis der Welt auf wissenschaftlicher Grundlage zu erreichen ist. Sie stellt Widersprüche zur Diskussion und interdisziplinäre Vergleiche her, die die Vereinzelung der Wissenschaftsgebiete überwinden und nach ihrer gemeinsamen Logik suchen.

Komplexe Probleme wie der Klimawandel oder die Folgen der Digitalisierung zeigen, wie aktuell das schon von Humboldt formulierte Prinzip der Transdisziplinarität ist. Die Urania hat sich deshalb zunehmend zu einem Ort entwickelt, an dem nicht nur der interessierte Laie von den Wissenschaften lernt. Auch Wissenschaftler ziehen aus den Fragen eben dieser Laien nach der Bedeutung ihrer Erkenntnisse für das Verständnis unserer Lebenswirklichkeit wichtige Schlüsse. Die gemeinsame Klärung von Widersprüchen und Distanzen erlaubt es auf besonders intensive Weise, ein rational vertretbares, wissenschaftlich fundiertes Weltverständnis zu vermitteln.

Auf der Suche nach der Wahrheit

In der Urania geht es um die Wahrheit, um nichts als die Wahrheit. Nicht Meinung ist hier gefragt, sondern Sachkenntnis. Doch nicht nur die Kenntnis von wissenschaftlich belegten Einzelergebnissen steht im Mittelpunkt der Vorträge und Veranstaltungen. Immer sind es die gesellschaftliche Relevanz und die naturwissenschaftlichen und soziologischen Zusammenhänge. Wie die Gesellschaft auf die neuesten Ergebnisse reagiert und welche Fragen sich dem „Otto-Normalverbraucher“ angesichts der Neuigkeiten aus Forschung und Wissenschaft stellen – darauf kommt es an.

Und damit steht die Urania an vorderster Front im Kampf um die Deutungshoheit der uns alle umgebenden Wirklichkeit. In ihren Räumen spielen sich die Debatten über Wohl und Wehe, Chancen und Risiken der rationalen Wahrheitsfindung ab, die wir mit dem Wort „Wissenschaft“ nur undeutlich umschreiben. Das gerade die empirische Forschung stets nur vorübergehende Wahrheiten präsentieren kann – ja nur solche präsentieren darf –, wird von einigen Kreisen als Schwäche gedeutet und in verschärfter Form sogar als Lügengebäude bezeichnet. Dabei müssen empirische Hypothesen immer an der Erfahrung, das heißt am Experiment oder der Beobachtung, scheitern können. Mit anderen Worten: Dann und nur dann, wenn sich Voraussagen, abgeleitet aus Theorien, durch Messungen bestätigen, werden Hypothesen als fruchtbar weiterverfolgt.

Die empirische Naturforschung „irrt sich empor“, wie es der Wissenschaftsphilosoph Gerhard Vollmer einmal pointiert formulierte. Auf der Suche nach der Wahrheit ist der Irrtum ein willkommener und höchst wichtiger Begleiter. Immer müssen sich quantitativ formulierte Standpunkte – und nichts anderes sind Hypothesen, auch in ihrer schärfsten Form, den Theorien – überprüfen lassen. Hier zählen keine persönlichen Meinungen, Hoffnungen, Träume oder Visionen, einzig das Experiment ist die entscheidende Instanz bei der Suche nach Wahrheit.

Podium für aktuelle Debatten und praktische Lebenshilfe

Diesem wissenschaftlichen Schauspiel eine höchst präsentable Bühne zu geben, den forschenden Persönlichkeiten Gelegenheit zur Rede und dem lauschenden Publikum zur kritischen Befragung – das ist die originäre Aufgabe der Berliner Urania. Die „Mutter aller Wissenschaftszentren“ ist eine unverzichtbare Plattform im Kanon der gerade in Berlin erfreulich vielen Angebote wissenschaftlicher Information. Als solche ist sie absolut notwendig für die Akzeptanz der Wissenschaft, um die es leider gar nicht gut steht.

Gerade die schon fast monströsen, weil den Einzelnen überfordernden Fragestellungen zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit müssen im öffentlichen Diskurs transparent und so verständlich wie möglich präsentiert und diskutiert werden. Wo? Täglich in der Urania.

Hierzu gehören allen voran der Klimawandel und seine Folgen für die Natur und die globalisierte Gesellschaft. Wenn selbst das amerikanische Verteidigungsministerium den Klimawandel als die größte Herausforderung und Bedrohung der nationalen Sicherheit bezeichnet, dann sollte das alle Skeptiker auffordern, ihre Zweifel an den Messergebnissen zu hinterfragen, die die Menschheit eindeutig als die Quelle für die globale Erwärmung identifizieren.

Aber auch die technologische Reaktion auf den Klimawandel – die möglichst schnelle und effiziente Transformation von einer fossilen Gesellschaft hin zu erneuerbaren Energieformen – lässt viele Fragen offen, die sich die Öffentlichkeit stellt. Hinzu kommen die ebenfalls höchst aktuellen Herausforderungen künstliche Intelligenz und selbstlernende Algorithmen sowie deren Auswirkungen auf unser Alltags- und Arbeitsleben.

Diese vielen Themenkomplexe überfordern uns alle, gleichgültig wie gut unsere Bildung oder Ausbildung ist. Nur gemeinsam – im direkten sprachlichen und informationellen Diskurs – lassen sich Chancen und Risiken dieser, teilweise übermäßig beschleunigten Entwicklungen verstehen und einschätzen. Die fehlende Zeit der politisch handelnden Personen macht die Aufklärung des Souveräns, wie ihn das Grundgesetz versteht, heute nötiger denn je.

Obwohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie ihre Institutionen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr auf die Öffentlichkeit zugegangen sind, Informationskanäle in ungeahntem Ausmaß in virtueller und realer Form zur Verfügung stehen, der interessierte Laie sich also immer besser Wissenschaft erklären lassen kann, wächst das Misstrauen gegenüber der Forschung. Ähnlich wie in der politischen Arena alle bisherigen Regelwerke und Formen von einzelnen rebellischen Matadoren einfach über Bord geworfen werden, muss sich auch die wissenschaftliche Welt den Herausforderungen manipulierter öffentlicher Meinungsbildung stellen.

Fake News fordern die Forschung mehr denn je heraus

Das Internet als Resonanzboden für teilweise völlig blödsinnige Ansichten (die Erde ist eine Scheibe, etc…) oder nicht nachvollziehbare Verschwörungstheorien (Chemtrails, ET im Pentagon, etc…), fordert die rationale, auf quantitativem Diskurs basierende Forschung heraus. Die Aussagen der forschenden Persönlichkeiten müssen sich heute im Regen des digitalen Irrsinns, der Fake News und der alternativen Fakten bewähren. Man muss diese irrationalen Erscheinungen bloßstellen, muss solchen Attacken offensiv mit der überaus erfolgreichen wissenschaftlichen Methode bei der Suche nach der Wahrheit begegnen.

Für das offene Visier bei der Auseinandersetzung um das richtige Argument, das tiefere Verständnis für die komplexen und komplizierten Vorgänge in Natur und Technik, dafür steht die Berliner Urania mit ihrem Direktor Ulrich Bleyer. Wer wissen will, was Sache ist, wo es lang gehen sollte und wie wir die Welt ein kleines bisschen besser machen können, der findet Antworten in der Urania. Also hingehen und den Spuren Alexander von Humboldts folgen!

Der Autor ist Astrophysiker, Naturphilosoph, Wissenschaftsjournalist und Hochschullehrer. Im Jahr 2012 erhielt er die Urania-Medaille.

Harald Lesch

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