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Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf.

© Gestaltung: Tagesspiegel/freepik

Reiche werden immer reicher: Die G20 sagen der Ungleichheit den Kampf an

Fast die Hälfte des neu entstandenen Vermögens geht weltweit an das oberste Prozent, die Ungleichheit ist global betrachtet enorm. Wie Regierungen die Eskalation verhindern können.

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Der Sonderausschuss unabhängiger Experten der G20 drängt auf die Einrichtung eines Internationalen Gremiums für Ungleichheit. Ein „International Panel on Inequality“ könnte, ähnlich dem Weltklimarat IPCC, technisches Wissen bündeln, Trends analysieren und politische Optionen aufzeigen, um auf Regierungen und Entscheidungsträger einzuwirken.

Wir stehen nicht nur vor einer Klimakrise, sondern auch vor einer Ungleichheitskrise. Die schlimmsten Folgen betreffen unsere Demokratie.

Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger

Neue Analysen zeigen, dass zwischen 2000 und 2024 einundvierzig Prozent des neu entstandenen Vermögens auf das oberste ein Prozent der Weltbevölkerung entfiel, während die unteren fünfzig Prozent nur ein Prozent erhielten. 83 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern mit hoher Ungleichheit – und in diesen Staaten treten demokratische Rückschläge siebenmal häufiger auf als in vergleichsweise gleicheren Ländern.

Klimakrise und Ungleichheitskrise

Das „Extraordinary Committee of Independent Experts on Global Inequality“, eingesetzt von Präsident Cyril Ramaphosa für die G20-Präsidentschaft Südafrikas, legt am 4. November seinen ersten Bericht zur globalen Ungleichheit vor. Vorsitzender ist Nobelpreisträger Professor Joseph Stiglitz (USA), unterstützt von fünf weiteren führenden Expertinnen und Experten.

„Die Ergebnisse zur Ungleichheit sollten alle Führungskräfte alarmieren“, sagte Stiglitz. „Wir stehen nicht nur vor einer Klimakrise, sondern auch vor einer Ungleichheitskrise. Die schlimmsten Folgen betreffen unsere Demokratie.“

In den letzten Jahrzehnten ging die Ungleichheit zwischen Einzelpersonen dem Bericht zufolge dank des Einkommenswachstums in China zwar zurück, die globale Nord-Süd-Kluft bleibt jedoch hoch. Gleichzeitig steigt geerbtes Vermögen massiv: In den nächsten zehn Jahren sollen rund 70 Billionen US-Dollar vererbt werden, was die Chancenungleichheit weiter verstärkt.

Jeder vierte Mensch isst unregelmäßig

Krisen wie Covid-19, der Ukraine-Krieg und Handelskonflikte verschärften Armut und Ungleichheit; jede vierte Person weltweit überspringt regelmäßig Mahlzeiten, während das Vermögen von Milliardären neue Rekordwerte erreicht.

Der Bericht empfiehlt Maßnahmen auf mehreren Ebenen: International etwa Reformen der globalen Wirtschaftsregeln, faire Besteuerung von multinationalen Konzernen und besonders Reichen, Anpassungen im Patentrecht sowie eine bessere globale Koordination bei Klimaschutz und Pandemievorsorge.

Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Staaten

Auf nationaler Ebene sollten Regierungen unter anderem pro-Arbeiter-Regulierungen einführen, um die Interessen von Beschäftigten zu stärken, Unternehmenskonzentrationen begrenzen, Kapitalgewinne stärker besteuern, in öffentliche Dienste investieren und Steuer- sowie Ausgabenpolitik gerechter gestalten.

Deutschland ist zur Steueroase für Vermögende geworden.

Carl Mühlbach, Geschäftsführer von FiscalFuture

Der Bericht empfiehlt zudem neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Staaten – etwa bei Steuern, Handel und der grünen Transformation –, besonders angesichts der aktuellen geopolitischen Unsicherheiten.

Auch in Deutschland verfügten einige wenige Familien über mehr Vermögen als die ärmeren 40 Millionen Menschen zusammen, bemängelt Carl Mühlbach, Gründer und Geschäftsführer von FiscalFuture, einer Organisation junger Menschen, die sich für eine zukunftsfähige Finanzpolitik einsetzt. „Mit gleichen Chancen hat das längst nichts mehr zu tun. Arbeitseinkommen wird in Deutschland im internationalen Vergleich hoch besteuert – Vermögen dagegen kaum“, so der Ökonom, der SPD-Mitglied ist.

Mühlbach kritisiert das Fehlen einer Vermögensteuer und Gerechtigkeitslücken bei der Erbschafts- und Schenkungsteuer: Große Übertragungen von über 20 Millionen Euro würden demnach fast gar nicht besteuert. „Deutschland ist zur Steueroase für Vermögende geworden“, sagt Mühlbach.

Eine verantwortungsvolle Finanzpolitik sei der Schlüssel zu sozialer Gerechtigkeit, Zukunftssicherung und demokratischer Stabilität: „Wenn extrem hohe Vermögen endlich einen fairen Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten würden – so wie in den meisten anderen Industrieländern – wäre unser Steuersystem und unsere Gesellschaft deutlich gerechter.“

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