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Ein Zettel am Haupttor der Humboldt-Universität verkündet "Zugang nur für Berechtigte".

© imago images/STPP

Berliner Hochschulgesetz vor letzter Hürde: Reparaturnovelle soll trotz Verfassungsbedenken beschlossen werden

Noch in dieser Woche sollen die Dauerstellen für Postdoktoranden durchs Parlament. Von neuerlichen juristischen Bedenken zeigt sich Rot-Grün-Rot unbeeindruckt.

Mit Dringlichkeit will Rot-Grün-Rot die Reparaturnovelle des Berliner Hochschulgesetzes am Donnerstag durch das Abgeordnetenhaus bringen. Die sei geboten, weil die wissenschaftlichen Mitarbeitenden, deren Stellen die Unis derzeit "blockieren", nicht bis nach der Sommerpause warten könnten, begründete dies Tobias Schulze (Linke) am Montag im Wissenschaftsausschuss.

Es geht um Präzisierungen zu Paragraf 110, mit dem die Hochschulen verpflichtet werden, bestimmten Postdoktorand:innen unbefristete Anschlussstellen anzubieten. Doch auch die Studierenden könnten nicht länger warten - auf die anstehende Verlängerung der Corona-Regelung. Damit sollten Prüfungs- und Abgabetermine auch im laufenden Sommersemester nach hinten verschoben werden können.

Gegen die Erleichterungen für Studierende im ersten noch keineswegs rund laufenden Präsenzsemester nach zwei Jahren pandemiebedingter Online-Lehre hatte die Opposition im Wissenschaftsausschuss nichts einzuwenden. Doch die Beschlussvorlage und die Dringlichkeit für Paragraf 110 empörte CDU, FDP und AfD sichtlich.

"Sie verstoßen gegen die Verfassung und gegen das Arbeitsrecht", hielt der CDU-Abgeordnete Adrian Grasse den Regierungsfraktionen vor. Das sehen CDU und auch FDP wie berichtet durch zwei Gutachten bestätigt, zuletzt vom Wissenschaftlichen Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses, der auf Antrag der CDU-Fraktion tätig wurde.

Dieses Gutachten sieht §110 im Widerspruch zur grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit und zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz des Bundes (WissZeitVG). Diese Auffassung wiederholte der Wissenschaftliche Parlamentsdienst jetzt noch einmal in einem Kurzgutachten auf Antrag der AfD-Fraktion, das der Fraktion am 16. Juni zuging und dem Tagesspiegel vorliegt.

Erneut wird Berliner Gesetzgebungskompetenz angezweifelt

Sehr prägnant heißt es darin, zum in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes geschützten Tätigkeitsbereich der Hochschulen gehöre "auch die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern". Dies kontinuierlich zu tun, setzt demnach voraus, dass nachfolgende Generationen auf stets befristeten Stellen immer wieder neu auf Zeit eingestellt werden können.

Der Parlamentsdienst folgert: Die Verpflichtung durch das neue Berliner Hochschulgesetz, entsprechend qualifizierte wissenschaftliche Mitarbeiter:innen unbefristet zu beschäftigen, sei "ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt erscheint".

Daran ändere auch die Klarstellung in der Reparaturnovelle nichts, nach der Drittmittelbeschäftigte ausdrücklich ausgenommen sind. Denn der überwiegende Teil werde aus eigenen Mitteln der Hochschulen beschäftigt, stellen die Juristen fest.

So rechnete es auch Hochschulexperte Tobias Schulze von der Linken vor: Von den 12.245 wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen an Berliner Hochschulen seien 5000 Postdocs und von ihnen wiederum ein Drittel Drittmittelbeschäftigte.

Die verbleibenden 3354 haushaltsfinanzierten Postdoktorand:innen, um die es in §110 geht, machten jedoch nur fünf bis zehn Prozent aller Beschäftigten im Mittelbau aus. "Da kann man nicht davon sprechen, dass irgendwo etwas verstopft wird", sagte Schulze.

Schwerer wiegen womöglich die Bedenken des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin: Das WissZeitVG und das darin geregelte Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft, das "für die Fluktuation der wissenschaftlich Mitarbeitenden" sorge, stelle eine "abschließende bundesgesetzliche Regelung" dar.

Linke hofft auf "modernisiertes" Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Von diesen wiederholt geäußerten Bedenken zeigte sich Rot-Grün-Rot weiterhin unbeirrt. Man beruft sich auf ein Rechtsgutachten aus dem Bundestag und auf ein weiteres von der Verfassungsrechtlerin Rosemarie Will, die zu gegenteiligen Auffassungen kommen. Außerdem will der Senat die anstehende neue Überprüfung durch das Bundesverfassungsverfassungsgericht abwarten.

Diese hatte die ehemalige Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, im Dezember 2021 als letzte Amtshandlung mit einer Verfassungsklage gegen das Hochschulgesetz angeschoben.

Zur grundgesetzlich garantierten "Fluktuation" beim wissenschaftlichen Nachwuchs berufen sich die Gutachten bislang auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993, betonte Tobias Schulze. Inzwischen gebe es aber eine sehr viel stärkere Differenzierung im Mittelbau und einen "großen Bedarf an Dauerstellen".

Jetzt komme es auf "eine Klärung und Modernisierung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts" an. Darauf setzt Rot-Grün-Rot - und sieht deshalb keinen Grund, diesen Teil des neuen Hochschulgesetzes nicht in Kraft treten zu lassen.

Die Hoffnung auf ein revidiertes Urteil bezeichnete der CDU-Abgeordnete Grasse als "letzten Grashalm", an den man sich klammere. Doch sein Antrag, bei den Befristungen nach der Promotion wieder zum Status quo vor der Novelle vom September 2021 zurückzukehren, wurde ebenso abgelehnt wie der AfD-Antrag, aus der Muss-Bestimmung für Anschlussstellen eine Kann-Bestimmung zu machen.

Zu den Klarstellungen durch die Reparaturnovelle soll es Schulze zufolge auch gehören, dass Personen, die auf "Hochschul-Dozenturen" eingestellt werden, künftig die akademische Bezeichnung Professor oder Professorin tragen dürfen - wenn sie die entsprechenden Qualifikationen wie etwa eine Habilitation mitbringen.

Außerdem solle das Promotionsrecht für die Hochschulen für angewandte Wissenschaften nun auch für die kirchlichen Hochschulen in Berlin gelten.

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