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Bildprogramm. Im Hafen des alten Rom wird der Giebelschmuck antiker Tempel anhand von Fragmenten rekonstruiert.

© Promo/Axel Gering

Römische Tempelgiebel rekonstruiert: Richtfest in Ostia

Mit Bruchstücken aus dem Materiallager eines Kalkbrenners können Berliner Forscher ein archäologisches Mysterium aufklären: In Roms Hafenstadt Ostia rekonstruieren sie erstmals das Bildprogramm antiker Tempelgiebel.

Glück muss man haben. „Durch Zufall“, sagt der Berliner Archäologe Axel Gering, hätten er und sein Grabungsteam im Spätsommer 2012 in Ostia antica, dem Hafen des antiken Rom, das Steinlager eines Kalkbrenners aus dem 5. Jh. n. Chr. entdeckt. Der während der Grabungskampagne 2014 zunächst durch Laserscans und 3-D-Fotografien dokumentierte und anschließend freigelegte Steinhaufen, der derzeit wissenschaftlich ausgewertet wird, kann als archäologische Sensation bezeichnet werden. Denn mithilfe der etwas mehr als handgroßen Marmorbruchstücke gelingt erstmals die weitgehende Rekonstruktion eines antiken römischen Tempelgiebels aus augusteischer Zeit.

Man mag es kaum glauben, aber die Reliefs römischer Tempelgiebel sind „ein weitgehendes Mysterium, was konkrete archäologische Befunde angeht“, wie Gering erklärt. Die bildhauerische Tempelgiebelgestaltung war zwar durch Abbildungen auf Münzen und Kleinreliefs bekannt, ließ sich jedoch durch Originale kaum verifizieren. Der wohl noch zu Lebzeiten Vespasians errichtete Tempel der Roma und des Augustus in Ostia ist ein frühes Beispiel des Kaiserkults: Viktorien halten in seinem Giebelrelief einen kreisrunden Schild, den „clipeus virtutis“. In den Zwickeln des Dreiecksgiebels verweisen Capricorni, Mischwesen aus Fisch und Ziege, die Weltkugeln zwischen den Vorderläufen halten, auf die Verbindung von individueller Vergöttlichung und universellem Herrschaftsanspruch.

Archäologie der Archäologie: Gering deckt alte Irrtümer auf

Seit 2008 wird das Stadtzentrum des antiken Ostia, bis 2011 gemeinsam mit der University of Kent in Canterbury, wieder systematisch archäologisch erforscht. Im Rahmen des Ostia-Forum-Projekts gewann das Winckelmann-Institut der Berliner Humboldt-Universität neben Berliner Institutionen wie dem Institut für Geowissenschaften der FU internationale Projektpartner wie die Universität Aarhus in Dänemark oder die Katholische Universität Ungarns in Budapest. Gering selbst ist seit 1991 in Ostia tätig.

Gegraben wird in Ostia antica seit über 200 Jahren. Kaum einer glaubte, dass im zentralen Bereich des Forums archäologisch noch etwas zu holen sei. Die letzte umfassende Ausgrabung 1921 bis 1923, die den südlichen Teil des Zentrums der antiken Großstadt freilegte, verfolgte nach dem Willen Mussolinis das Ziel, ein Symbol nationaler Größe wiederzugewinnen. Ihr Grabungsleiter Guido Calza machte unter enormem Zeit- und Erfolgsdruck methodische Fehler. Der faschistischen Idee von Romanità folgend, wollte er mit dem 2. Jahrhundert n. Chr. Ostias Blütezeit freilegen, tatsächlich jedoch stieß man auf die Spuren des Wiederaufbaus der Innenstadt nach dem großen Erdbeben von 443 n. Chr. Weil man in den 1920er Jahren davon ausging, Ostia sei im 5. Jahrhundert bereits unbewohnt gewesen, und weil beim spätantiken Wiederaufbau ältere Bauteile wie Inschriftentafeln als Spolien wiederverwendet worden waren, datierte Calza das Gefundene ins 2. Jahrhundert n. Chr. – und ließ irrtümlich die Spätantike durch Wiederaufrichtung von Säulen rekonstruieren. In populärwissenschaftlichen Darstellungen wird sie den Touristen vor Ort teilweise noch immer als 300 Jahre älter präsentiert.

Wie lange war das antike Ostia besiedelt?

Ausgräber von heute beflügelt, dass viele Befunde aufgrund der Grabungsgeschichte noch immer unter der Erde schlummern. Das Ostia-Forum-Projekt widmet sich besonders der Spätantike, die in Ostia keineswegs – wie früher angenommen – den abrupten und totalen Zusammenbruch urbaner Strukturen bedeutete. Auch wenn fünfgeschossige Insulae mit je bis zu 1000 Bewohnern als Folge tiefgreifender sozialer Veränderungen in Zweigeschosser umgebaut wurden, boten diese mit bis zu 4000 Quadratmetern gehobenen Standard. Ununterbrochen besiedelt blieb der Ort weit über die Gotenkriege hinaus bis ins 8. oder frühe 9. Jahrhundert.

Die Reste zerstörter Tempel fanden sich im Materiallager eines Kalkbrenners.
Die Reste zerstörter Tempel fanden sich im Materiallager eines Kalkbrenners.

© Promo/Axel Gering

Gerings Team, pro Jahr zwischen 35 und 40 Mitarbeiter vor Ort, betreibt nicht nur „Archäologie in der Archäologie“ und spürt den teilweise nicht dokumentierten Grabungen der Vorgänger nach. Es erforscht auch bislang vernachlässigte Bereiche rund um das Forum. An der Südwestecke unmittelbar hinter den erhaltenen Substruktionen des Roma- und Augustustempels entdeckten sie so das Recyclinglager des Kalkbrenners. Die zerkleinerten Reste des beim Erdbeben 443 n. Chr. beschädigten Tempels verarbeitete er zu Baumaterial.

"Die deutsche Förderkultur ist ein Problem für unser Projekt"

In diesem Jahr wird ein Survey mit einem Georadargerät mehr Klarheit bringen, wo noch gegraben werden sollte. Gering hofft, dass Giebelteile anderer Tempel ans Licht kommen; etliche weitere Materiallager wurden bereits geortet. Neben einer wissenschaftlichen Monografie will Gering mit seinem Team einen populärwissenschaftlichen Führer schreiben und ein virtuelles Bauphasenmodell vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 6. Jh. n. Chr. als 3-D-Präsentation erarbeiten.

2017 endet das inzwischen mehrheitlich über einen privaten Förderverein und Stiftungsmittel finanzierte Projekt. „Die zunehmende Bürokratisierung der deutschen Förderkultur ist ein Problem für Projekte wie unseres, wo mit Überraschungen zu rechnen ist“, erklärt Gering. „Ich kann keinen Fünfjahresplan aufstellen, weil ich jedes Jahr etwas völlig Neues und Unvorhergesehenes finden kann.“

Die komplette Grabungskampagne des Jahres 2008 finanzierte übrigens die Kinderbuchautorin Caroline Lawrence, eine Bekannte von Gerings britischem Kollegen Luke Lavan. Sie schrieb unter anderem „Die Diebe von Ostia“. Dort liegen die Geheimnisse direkt auf der Straße.

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