
© WireImage/Juan Naharro Gimenez
Selbstzerfleischend: Der verflixte Drang zum Nägelkauen
Es gibt derzeit genug Anlässe, um nervös an seinen Fingernägeln zu kauen. Die schlechte Angewohnheit ist weit verbreitet – hat aber auch einen Vorteil.

Stand:
Die Zeit drängt und noch immer hat das müde Gehirn keine Idee für einen Einstieg in diesen Text gefunden. Nervös schreibt der Erbonkel ein paar Worte hin, löscht sie wieder, fängt von vorne an.
Und zwischendurch, ganz unwillkürlich, wandert die Hand an den Mund und die Zähne knabbern an den Nägeln und der Haut drumherum.
Ventil für Anspannung
Schätzungsweise 20 Prozent der Erwachsenen kauen gelegentlich an den Nägeln. Unter Pubertierenden sind es sogar über 30 Prozent.
Nur eine Bagatelle, eine schlechte Angewohnheit, die man sich nicht oder nur schwer abgewöhnen kann?
Psychologen beschreiben das Nägelkauen als eine „Übersprungshandlung“.
So wie Katzen sich plötzlich das Fell putzen, wenn sie sich nicht entscheiden können, vor dem Nachbarskater zu fliehen oder ihn in die Flucht zu schlagen, so wirkt auch das Nägelkauen in Stresssituationen wie ein Ventil für innere Anspannung.
Bakterien, Pilze und Dreck sind gesund
Doch bei manchen Menschen wird dieses harmlose Verhalten automatisiert. Im Extremfall kann es sogar selbstverletzende Züge annehmen und auf psychische Störungen, etwa ADHS, Zwangs- oder Angsterkrankungen hinweisen.
Einige Kinder kopieren das Verhalten wohl unbewusst von ihren nägelkauenden Eltern. Doch darüber hinaus gibt es auch eine genetische Prädisposition.
Eine Studie in Japan, bei der 1131 Zwillingspaare untersucht wurden, ergab, dass das Nägelkauverhalten etwa zur Hälfte von den Genen mitbeeinflusst wird.
Frühere Untersuchungen zeigten, dass Kinder, deren Eltern in ihrer Kindheit oder später an den Nägeln kauten, mit dreifach höherer Wahrscheinlichkeit ihre Nägel malträtieren als Kinder von nicht knabbernden Eltern.
Einen positiven Effekt, außer dem Stressabbau, hat das Nägelkauen aber: Offenbar trainiert der ständige Nachschub an Bakterien, Pilzen, Pollen und Dreck das Immunsystem nägelkauender und daumenlutschender Kinder, sodass sie später im Leben seltener bestimmte Allergien bekommen.
Ein Grund, sich jetzt noch als heuschnupfiger Erwachsener das Nägelkauen anzugewöhnen, ist das aber nicht. Der Zug ist abgefahren.
Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne.
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