
© Valeriia Semeniuk
Sie konnten nie zu Ende studieren: Humboldt-Universität zeigt Ausstellung über getötete Studenten aus der Ukraine
Studieren, eine Bäckerei eröffnen, ein Buch schreiben: Mit vielen jungen Menschen in der Ukraine sind auch ihre Pläne begraben worden. Eine Ausstellung in der Humboldt-Universität erinnert jetzt an sie.
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Das Foyer des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität wirkt in diesen Tagen ein wenig wie ein Friedhof: 20 absolut gleiche schwarze Holzkonstruktionen in Form von Grabsteinen stehen dort. Auf jedem sieht man das Schwarz-Weiß-Porträt eines jungen Mannes oder einer jungen Frau, versehen mit einer Kurzbiografie.
Unter den Biografien dieser Ukrainer:innen, die im russischen Angriffskrieg getötet wurden, findet sich jeweils ein ukrainisches Ornament, ein Siegel mit der Signatur „Bravery“, Tapferkeit. Es sollen symbolische Diplome sein, zur Erinnerung an die Studenten, die ihren Universitätsabschluss nie machen konnten. Mitten in ihrem Studium wurden sie im Krieg getötet.
Die genaue Zahl der getöteten Studierenden ist nicht bekannt, Gleiches gilt für die Frage, wie viele Opfer die russische Aggression gegen die Ukraine bislang insgesamt gefordert hat. Es gibt jedoch kaum eine Universität in der Ukraine, an der kein einziger Student gefallen ist.

© Valeriia Semeniuk
Die Protagonisten der Ausstellung studierten an verschiedenen Universitäten in allen Teilen der Ukraine, waren in Kyjiw, Lwiw, Tschernihiw, Mariupol, Winnyzja und Saporizhzhja zu Hause. Der Älteste von ihnen war 26 Jahre alt, der Jüngste 17. Einige von ihnen kamen beim Beschuss ums Leben, als sie versuchten, sich zu evakuieren, andere überlebten Raketeneinschläge in ihre Häuser nicht.
Viele junge Männer fielen an der Front. In den ersten Tagen des Krieges gingen sie als Freiwillige zum Militär, obwohl Studenten in der Ukraine von der Wehrpflicht befreit sind. „Er sagte, er könne nicht zu Hause bleiben, wenn alle seine Freunde das Land verteidigen“, steht in der Biografie von Eduard Kazmirchuk, einem 22-jährigen Studenten an der Ostrog-Akademie, einer staatlichen Universität im Westen der Ukraine. Einen Monat vor Kriegsbeginn machte er seiner Geliebten einen Heiratsantrag.
Andere Studenten hatten vor, ihre eigene Bäckerei zu eröffnen oder ein Buch zu schreiben, einer träumte davon, nach Ägypten zu reisen. Über jeden wurden persönliche Informationen gesammelt. Einzige Ausnahme ist die 20-jährige Lija Krylova von der Universität Mariupol. Über sie heißt es: „Wir kennen ihre Geschichte nicht, weil eine Bombe, die ihr Haus traf, ihre ganze Familie tötete.“
Das Projekt „Unveröffentlichte Diplome“ (Unissued Diplomas) wurde auf Initiative von Kyjiwer Studenten im Jahr 2023 gegründet. Sie stellten jedem, der diese Ausstellung im Ausland organisieren wollte, symbolische Urkunden und Fotos von verstorbenen Studenten zur Verfügung.
Bis heute war die Ausstellung in 34 Ländern zu sehen – in Europa, in den USA, Japan, Nigeria und Australien. Meistens wurden die Porträts und Biografien an den Wänden von Bildungseinrichtungen oder an Ständen aufgehängt, manchmal auf Notenpulte gestellt. Hier, an der Humboldt-Universität, werden sie zum ersten Mal auf symbolischen Grabsteinen gezeigt.
„Ursprünglich wollten wir nur, dass die Konstruktionen haltbar sind. Deshalb haben wir uns für Holz entschieden“, sagt Olga Luschankina, Mitglied der Ukrainian Society HU. Während der Vorbereitung der Ausstellung kamen die Studenten auf die Idee, das Holz schwarz zu bemalen und die Grabsteine zu formen.
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Das Holz kauften die Studenten aus eigenen Mitteln. Eine Berliner Werkstatt stellte ihre Ausrüstung kostenlos zur Verfügung. Ihre Mitarbeiter zeigten den Studenten, wie eine Tischlermaschine funktioniert – keiner hatte zuvor solche Erfahrungen gemacht. Zwei Wochen lang arbeiteten sie nach der Uni zusammen in der Werkstatt.
„Wir haben Holz geschnitten, geschliffen, gestrichen und Löcher für Schrauben gebohrt“, sagt Olga Luschankina. Während der Arbeit ließen die Gedanken an die Schicksale der Toten sie nicht los. „Ihr Gedenken auf diese Weise zu ehren, ist leider das Einzige, was wir für sie tun können. Wie man in der Ukraine sagt: Ein Mensch ist so lange am Leben, wie die Erinnerung an ihn lebendig ist.“
HU-Studentin Isabella Höer meint, jeder Student könne Gemeinsamkeiten mit den gefallenen Ukrainern finden. „Ich studiere auch Geschichte wie dieser junge Mann. Oder: Meine Freundin heißt auch Maria – wie diese getötete junge Frau. Es ist sehr berührend und sehr schmerzhaft zu sehen.“
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