
© dpa/AP/Charlie Riedel
Tödliche Temperaturen: Forschende warnen vor Millionen möglichen Hitzetoten in Europa
Der Klimawandel könnte die Zahl der Hitzetoten in Europa stärker ansteigen lassen als die Zahl der Kältetoten zurückgehen dürfte. Berechnungen zeigen, wo das Risiko am höchsten ist.
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Europa ist der sich am schnellsten erwärmende Kontinent der Welt. Vor allem an Tagen mit großer Hitze nimmt die Zahl der Todesfälle deutlich zu. Dieser Trend könnte sich künftig noch verstärken, wenn sich die Gesellschaft nicht besser auf das Risiko einstellt, berichten Forschende jetzt in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“.
Zwar verursacht winterliche Kälte in Europa bislang deutlich mehr Todesfälle als Hitze. Bei fortschreitender Erwärmung wird der Anstieg der hitzebedingten Todesfälle aber deutlich gegenüber dem Rückgang der kältebedingten Todesfälle überwiegen, ergaben die Modellberechnungen. Das würde zu einem Nettoanstieg der Sterblichkeit in ganz Europa führen.
854 Städte im Vergleich
„Diese Ergebnisse entkräften die Theorien über vermeintlich positive Auswirkungen des Klimawandels, die oft als Argument gegen lebenswichtige Maßnahmen zum Klimaschutz vorgebracht werden“, sagt Teamleiter Antonio Gasparrini von der London School of Hygiene & Tropical Medicine.
Hitzebedingte Todesfälle hängen mit der körperlichen Belastung bei hohen Tagestemperaturen, Hitzewellen, die länger und intensiver werden, und tropischen Nächten zusammen, in denen es sich nicht ausreichend abkühlt. Kältebedingte Sterbefälle können durch die Kälteeinwirkung verursacht werden, aber auch durch typische Wintererkrankungen, wie etwa Infektionen der Atemwegsorgane.
Das Team um Gasparrini hat modelliert, wie sich die Zahlen der kälte- und hitzebedingten vorzeitigen Todesfälle in 854 Städten in 30 europäischen Ländern in jeweils drei Szenarien des fortschreitenden Klimawandels entwickeln. Europa wird damit räumlich besser abgebildet als in bisherigen Studien zum Thema.
Die Forschenden bewerteten zudem Szenarien, in denen das hitzebedingte Sterberisiko durch Anpassungsmaßnahmen um 10, 50 oder 90 Prozent gesenkt wurde – allerdings ohne darauf einzugehen, wie das erreicht würde. Ohne jegliche Anpassungsmaßnahmen würden im Szenario mit dem stärksten Temperaturanstieg bis Ende des Jahres 2099 insgesamt etwa 2,3 Millionen Menschen und damit 50 Prozent mehr als derzeit temperaturbedingt sterben.

© dpa/Mohssen Assanimoghaddam
Die am stärksten gefährdeten Gebieten liegen im Mittelmeerraum, in Mitteleuropa und den Balkanländern. Die meisten temperaturbedingten Todesfälle werden in den bevölkerungsreichsten Städten des Mittelmeerraums erwartet, aber auch viele kleinere Städte auf Malta, in Spanien und Italien werden wahrscheinlich stark betroffen sein.
Dagegen fällt die Bilanz in mitteleuropäischen Städten wie Paris oder Berlin etwas günstiger aus. Aber auch hier wird ein Anstieg der temperaturbedingten Todesfälle erwartet. Die meisten Städte auf den Britischen Inseln und in den skandinavischen Ländern könnten dagegen einen Netto-Rückgang der Todesfälle verzeichnen, darunter auch London.
Große regionale Unterschiede
In den beiden durchgerechneten Szenarien mit geringerer Erwärmung wurden keine deutlichen Veränderungen für Gesamteuropa festgestellt. Für einzelne Länder oder Regionen gebe es jedoch „signifikante Effekte“, sagte die Medizinerin Alina Herrmann dem Science Media Center.
„Auch wenn es insgesamt Unsicherheiten gibt, geht die Tendenz der Gesamtbetrachtung für Europa in allen Szenarien hin zu einem Anstieg der Netto-Sterblichkeit“, so die Wissenschaftlerin vom Institut für Global Health am Universitätsklinikum Heidelberg.
In nordeuropäischen Ländern würde der Klimawandel bis zu einer Erwärmung um drei Grad die Netto-Sterblichkeit eher verringern. „In südlichen Ländern findet schon ab 1,5 Grad Temperaturanstieg eher eine Steigerung der Netto-Sterblichkeit statt“, sagt Herrmann. Bei extremer Erwärmung um vier Grad – am oberen Rand der Temperaturspanne, die der Weltklimarat erwartet – steige die temperaturbedingte Netto-Sterblichkeit in allen Regionen an.
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Die Forscherin verweist auch auf unterschiedliche Entwicklungen innerhalb von Ländern. Zum Beispiel in Deutschland seien die Hitzerisiken unterschiedlich verteilt: In Hamburg oder in Städten in Mecklenburg-Vorpommern werde das Hitzerisiko absehbar nicht so stark steigen. „Allerdings haben wir schon heute eine extrem hohe Hitzebelastung im oberen Rheingraben in Baden-Württemberg“, sagt Herrmann.
Die Wissenschaftlerin betont, dass in der Kommunikation über temperaturbedingte Sterblichkeit sowohl der Rückgang der kältebedingten als auch der Anstieg der hitzebedingten Sterblichkeit erwähnt werden sollte. Aber: „Die Anzahl der Hitzetoten steigt, und daher ist es unabhängig von der ‚Netto-Sterblichkeit‘ wichtig, sich auf das steigende Risiko der hitzebedingten Todesfälle vorzubereiten.“
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