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Nehmen Patienten an klinischen Studien teil, wollen sie zum medizinischen Fortschritt beitragen. Doch selbst sechs Jahre nach Studienende sind die Ergebnisse von 30 Prozent der Tests nicht veröffentlicht.

© imago/Westend61

Verschwendung in der klinischen Forschung: Unikliniken halten Studienresultate jahrelang zurück

Wirkt eine Therapie? Das sollen Studien an vielen Patienten klären. Aber die Resultate werden oft über Jahre nicht publiziert. Auch Studien der Charité nicht.

Wenn Patienten sich bereit erklären, im Rahmen einer klinischen Studie eine neue Therapie auszuprobieren und damit gewisse Risiken auf sich zu nehmen, dann tun sie das im guten Glauben, dass es dem medizinischen Erkenntnisgewinn dient. Nun ergibt eine Überprüfung von 2132 Studien aus den Jahren 2009 bis 2013, an denen insgesamt über eine halbe Million Patienten teilnahmen, dass zwei Jahre nach Abschluss der Untersuchungen die Ergebnisse in kaum der Hälfte der Fälle veröffentlicht wurden.

Von 1490 Studien, bei denen eine der 36 deutschen Universitätskliniken federführend und somit verantwortlich war, waren die Ergebnisse von nur 39 Prozent der Studien binnen zwei Jahren veröffentlicht worden. Jedes Jahr haben sich demnach etwa 8000 Patienten umsonst als Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt.

Selbst sechs Jahre nach Studienende sind für 26 Prozent der klinischen Versuchsreihen keine Resultate öffentlich einsehbar. Das sei „unethisch und eine substanzielle Verschwendung von Forschungsressourcen“, schreibt das Forscherteam um Daniel Strech vom Quest Center des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIH) in einer Vorabveröffentlichung auf bioarxiv.org.

Ein Ranking, bei dem alle Unikliniken schlecht abschneiden

Das Problem unveröffentlichter Daten ist seit langem bekannt. Das Besondere an der Untersuchung des Quest-Centers ist, dass erstmals nach Universitätskliniken aufgeschlüsselt wird, wie gut verschiedene akademische Einrichtungen die Ansprüche an exzellente Forschung erfüllen. Auch die Berliner Charité, obwohl Unterstützer des Quest-Centers, schneidet in diesem Ranking nicht besonders gut ab. Von den 163 Studien, bei denen die Vorzeigeklinik federführend war, waren nach zwei Jahren nur 55 veröffentlicht: magere 34 Prozent.

Die Münchener Kliniken liegen bei 42 und 43 Prozent, am schlechtesten schneidet Greifswald mit 20 Prozent ab. Die beste Quote erreicht Homburg mit 64 Prozent. „Aber darauf kann eigentlich niemand stolz sein, denn im Grunde schneiden alle zu schlecht ab“, betont Strech (Ranking-Tabelle auf Seite 9). „Wir hoffen, dass wir den akademischen Einrichtungen und auch den Forschungsförderern damit einen Schubs geben, etwas zu ändern.“ Die Charité arbeite bereits daran, sich zu verbessern. Keine andere Klinik in Deutschland leiste sich ein Zentrum wie das Quest, um die Werthaltigkeit von Forschung zu fördern und Verschwendung zu reduzieren.

Studienergebnisse nicht zu veröffentlichen oder gar absichtlich zurückzuhalten, ist keine Bagatelle. Die Weltgesundheitsorganisation WHO legt fest, jede Studie, in der Menschen Forschungsobjekte sind, binnen 24 Monaten in einem wissenschaftlichen und begutachteten Journal zu veröffentlichen. Innerhalb eines Jahres müsse eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zugänglich gemacht werden. Es sei „erschreckend“, dass die deutschen Universitätskliniken diese Ein-Jahres-Frist nicht einmal für fünf Prozent der Studien einhalten, sagt Strech. „Das sind nur zwei Seiten, auf denen man die wesentlichen Ergebnisse zusammenfasst.“ Das sei schnell machbar und gesetzlich gefordert für alle Studien mit Arzneimitteln und Medizinprodukten.

„Wenn selbst nach fünf Jahren immer noch fast 30 Prozent der Ergebnisse fehlen, dann muss das Auswirkung auf die Entscheidungsfindung für oder gegen bestimmte Therapien haben“, sagt Strech. „Ob es dabei immer gleich um Tod oder Leben geht, sei dahingestellt, aber relevant ist das.“ Dass es besser gehen kann, zeigen die forschenden Arzneimittelhersteller: „Die kommen inzwischen auf Veröffentlichungsraten ihrer Studien von 80 bis 90 Prozent innerhalb eines Jahres.“

Hohe Strafen, die nicht durchgesetzt werden

Gesetzlich vorgeschrieben sind die Fristen schon lange. Konsequenzen haben Institutionen und Firmen jedoch bislang kaum zu befürchten. In den USA kostet jeder Tag Fristüberschreitung inzwischen bis zu 11.000 US-Dollar - theorethisch: „Diese Summen sind aber noch nie eingefordert worden“, sagt Strech, obwohl es insgesamt um dreistellige Millionen-, wenn nicht Milliarden-Beträge gehe.

Die Institutionen, die Forscher und forschende Ärzte zur Einhaltung der Fristen auffordern müssten, sind vor allem die Universitäten, aber auch die Forschungsförderungsorganisationen – in Deutschland in erster Linie das Bundesforschungsministerium BMBF und die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG. Allerdings fehlen diese Adressen in einem Papier der WHO, das Förderorganisationen wie der britische Wellcome Trust, die Gates-Stiftung und das European Research Council unterzeichnet haben. Darin ist festgeschrieben, dass die unterzeichnenden Förderinstitutionen innerhalb eines Jahres bindende Vorgaben zur Ergebnispublikation der von ihnen finanzierten Studien erarbeiten.

Einige Förderer in Großbritannien haben solche Vorgaben bereits und zahlen zum Beispiel den letzten Teil einer Fördersumme erst dann an die Forschenden, wenn die Ergebnisse publiziert sind. Oder sie erklären den Forschenden, dass sie keinen neuen Förderantrag schreiben brauchen, sollten die Ergebnisse früherer Studienförderungen nicht veröffentlicht worden sein

"Keine Verpflichtung zur Veröffentlichung" bei der DFG

Dieses Druckmittel setzt die Deutsche Forschungsgemeinschaft durchaus ein, bestätigte ein Sprecher der DFG gegenüber dem Tagesspiegel. Außerdem werde der Abschlussbericht einer von ihr geförderten Studie erst anerkannt, wenn die Ergebnisse auch tatsächlich publiziert wurden. Allerdings „empfiehlt“ die DFG nur, dass Forschungsdaten so zeitnah wie möglich zur Nach- und Weiternutzung durch Dritte verfügbar gemacht werden. „Eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von Forschungsdaten gibt es in den DFG-Förderverfahren aber grundsätzlich nicht“, so die DFG. Des Problems bewusst ist sich die Organisation aber durchaus. Im Oktober habe die DFG-Senatskommission Rahmenbedingungen formuliert, die klinische Studien und ihre Publikation verbessern sollen.

Dass Argument, es gebe zu wenig Fachjournale, die Studien mit „negativen“ Ergebnissen (etwa das ein Wirkstoff nicht wie gehofft wirkt) veröffentlichen wollen, lässt Strech nicht mehr gelten. „Das war vielleicht vor zehn Jahren noch so, aber inzwischen gibt es Fachzeitschriften und Internetseiten, die alles publizieren, solange es wissenschaftlichen Kriterien genügt.“

Ob sich Forscher und Ärzte scheuen, negative Ergebnisse zu publizieren, weil sie ihrer wissenschaftlichen Reputation schaden könnten, kann Strech weder bestätigen noch widerlegen. „Dazu müssten wir die Ergebnisse der Studien kennen, die nicht veröffentlicht wurden, und das ist entsprechend schwierig.“

Zeitmangel der wohl wichtigste Grund für spätes Publizieren

Ob der Verdacht stimmt, das Studienergebnisse absichtlich unterschlagen werden, um eine Therapie wirksamer erscheinen zu lassen als sie ist, ist im Bereich der akademischen Forschung nicht untersucht worden, sagt Strech. Für Arzneimittelhersteller sei es inzwischen sehr schwierig, Studienergebnisse zu verheimlichen, weil sie ihre Studien registrieren müssen. Man hat wohl gelernt aus Skandalen wie um das Antidepressivum Reboxetin, wo der Hersteller deutschen Behörden selbst auf Nachfrage Ergebnisse unterschlagener Studien nicht hatte aushändigen wollen, weil sie zeigten, dass das Medikament nicht die propagierte Wirkung hatte.

Einer der wichtigsten Gründe für die schleppende Veröffentlichungsmoral der Forscher und Ärzte sei aber nicht Vorsatz sondern schlicht Zeitmangel. „An der Johns Hopkins University helfen inzwischen spezielle Teams den Forschern, Daten rechtzeitig und technisch korrekt zu publizieren, denn das ist nicht trivial“, sagt Strech.

Das sieht auch die DFG als Kernproblem: „Gerade für klinisch tätige Ärztinnen und Ärzte ist die Vorbereitung einer Publikation sehr zeitaufwendig und stellt eine große Hürde dar.“ Die Schaffung von Freiräumen für Forschungstätigkeiten sei essentiell. „Aus Sicht der DFG bedarf es deshalb struktureller Anpassungen der Arbeitsbedingungen, etwa den Aufbau von Clinician Scientist-Programmen und Advanced Clinician Scientist-Programmen, mit denen verbindliche Forschungszeiten festgelegt werden.“

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