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Die Schulcloud soll bundesweit das digitale Lernen erleichtern.

© Carmen Jaspersen/dpa

Bundesweite Schul-Cloud: Unterwegs ins digitale Klassenzimmer

Die bundesweite Schul-Cloud soll das Lernen mit Online-Medien erleichtern. Aber es gibt Widerstände - so sperren sich viele Länder.

In der Rigaer Straße in Friedrichshain, zwischen hippen Bars und linksautonomen Wohnprojekten, steht das Heinrich-Hertz-Gymnasium, ein dreiflügeliger Bau aus der Zeit der Jahrhundertwende. Die Klingel ruft zur fünften Stunde, langsam trudeln die Schülerinnen und Schüler im Unterrichtsraum ein. Physik steht auf dem Stundenplan der Neuntklässler. Als Erstes holen sie Laptops aus einem Schrank. Je zwei Schüler sitzen an einem Tisch und teilen sich einen Computer, auf dem Lehrertisch steht eine Kiste mit Ladegeräten.

Physiklehrer Sebastian Bognár projiziert das Diagramm einer Diodenkennlinie an die Wand, die den Zusammenhang zwischen Spannung und Stromstärke zeigt. Die Schülerteams sollen das Diagramm in einigen Sätzen beschreiben. Eine klassische Textaufgabe  – nur, dass nicht auf das Papier, sondern online direkt in das Aufgabenfeld einer Schul-Cloud geschrieben wird.

„Ich kann einstellen, wer welche Antworten in der Cloud sehen kann“, erklärt Bognár nach seiner Stunde. Die Schüler können ihre Antworten so – je nach Einstellung – miteinander vergleichen und sie gegebenenfalls verbessern.

Bei handschriftlichen Arbeiten sei das viel schwerer. „Ich habe den Vorteil, dass ich später alles in Ruhe durchgehen und bewerten kann“, sagt der Lehrer. Sein Feedback können die Schüler dann wiederum nutzen, um ihre Antworten noch einmal zu überarbeiten. „Für die Schüler wird so sichtbar, wie sich Wissen aufbaut.“

In der Cloud tauschen sich Klassen und Lehrkräfte aus

Digitale Lernumgebungen wie die Schul-Cloud könnten in Schulen bald unabdingbar werden. Bisher ging es in Debatten um Digitalisierung an Schulen häufig um die Hardware-Infrastruktur, beispielsweise Internetzugänge an den Schulen, oder um die Inhalte des Unterrichts, was etwa den Umgang mit Digitalisierung betrifft. Für den Bereich dazwischen kommen die Bildungs-Clouds in Spiel.

Am Heinrich-Hertz-Gymnasium nutzt die neunte Klasse die Schul-Cloud, die vom Potsdamer Hasso-Plattner-Institut (HPI) entwickelt wird. Die Cloud bietet für Lehrkräfte und Schüler einen Überblick über ihre Kurse, Aufgaben und Termine. Fachschaften, Klassen oder Mitglieder einer Arbeitsgruppe können sich austauschen, eigene Dateien lassen sich hochladen und speichern, es gibt einen Zugang zu interaktiver Lernsoftware.

Der größte Vorteil derartiger Clouds ist, dass sie mit jedem internetfähigen Endgerät benutzt werden können. Veraltete, teure und durch schlechte Wartung unsichere Rechner in verstaubten Computerräumen könnten so bald der Vergangenheit angehören. In einer Vereinbarung der Kultusministerkonferenz von 2016 heißt es, dass „möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder Schüler (…) eine digitale Lernumgebung nutzen können sollte“.

120 Schulen machen mit

Die HPI-Schul-Cloud wird noch bis Mitte 2021 mit knapp acht Millionen Euro vom Bundesbildungsministerium gefördert. Um seine Cloud zu testen und weiterzuentwickeln, arbeitet das privat finanzierte Institut der Uni Potsdam mit dem Mint-EC zusammen, einem Exzellenz-Netzwerk von 325 Schulen, die einen besonderen Schwerpunkt auf Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik legen. Das Heinrich-Hertz-Gymnasium ist als eine der ersten Schulen dabei. Inzwischen machen 120 Mint-EC-Pilotschulen aus allen Bundesländern mit, bis Mitte 2021 sollen alle 325 Schulen die Schul-Cloud nutzen.

Getestet wird die Schul-Cloud aktuell an Schulen, die auf den MINT-Bereich spezialisiert sind.
Getestet wird die Schul-Cloud aktuell an Schulen, die auf den MINT-Bereich spezialisiert sind.

© Patrick Seeger/dpa

Christoph Meinel, Informatikprofessor und Direktor des HPI, sieht im Datenschutz das beste Argument für die bundesweite Schul-Cloud. Beim Einsatz von Lernsoftware fallen personenbezogene Daten der Schülerinnen und Schüler an, aus denen sich detaillierte Profile ihrer Bildungshistorie ergeben.

Für Meinel ist klar, dass die Verwendung ausländischer Programme wie „Google Classroom“ keinen ausreichenden Schutz dieser sensiblen Daten gewähren. Aus Gründen des Datenschutzes und der Datensouveränität verbiete sich ihr Einsatz. „Die Schul-Cloud schafft einen Rahmen, dass die gesetzlichen Bedingungen eingehalten werden können“, sagt Meinel.

Wird es einfacher mit dem Datenschutz?

Grundsätzlich müssen Eltern bis zur Volljährigkeit der Schüler zustimmen, ob die Daten ihrer Kinder gespeichert werden dürfen, ab 16 Jahren zusätzlich die Jugendlichen selbst. Bei der Schul-Cloud muss diese Zustimmung nur einmal eingeholt werden, da die individuellen Daten bei den über die Cloud verwendeten Lernprogrammen pseudonymisiert ankommen.

Dass eine Zustimmung verweigert wird, ist am Heinrich-Hertz-Gymnasium bisher nicht vorgekommen. Möglich sei dies aber grundsätzlich, heißt es von der Schule. Dann könnte zwar das Angebot etwa zur Gruppenarbeit über die Cloud nicht genutzt werden. Nachteile würden sich für die Schüler, die die Zustimmung verweigern, aber nicht ergeben.

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Auf Länderebene wird die vom Bund geförderte Cloud jedoch eher skeptisch gesehen. Man wolle sich nicht von einem privaten Institut abhängig machen, heißt es. Auch wird bezweifelt, inwieweit die Länder über die Inhalte der Cloud selbst bestimmen können und wie flexibel eine bundesweite Cloud wäre. Bisher kooperieren nur Niedersachsen und Brandenburg mit dem HPI. Andere Länder entwickeln eigene Bildungsplattformen. Das ist oft schwieriger als gedacht: Nordrhein-Westfalens „Logineo“ und Baden-Württembergs „Ella“ wurden wegen technischer und datenschutzrechtlicher Probleme zwischenzeitlich gestoppt.

Berlin konzentriert sich auf den „Lernraum Berlin“, ein Lernmanagementsystem, das auf Open Source Moodle basiert und für Schulen kostenfrei zur Verfügung steht. Da der Lernraum bereits seit 2005 genutzt wird, sei es sinnvoll, das vorhandene System weiter auszubauen, teilt die Bildungsverwaltung mit. Unter anderem sollen sogenannte Open Educational Ressources, also frei zugängliche Lehr- und Lernmaterialien, eingebunden werden. Konkrete Summen für diesen Ausbau könnten allerdings noch nicht genannt werden.

Die Länder haben Vorbehalte gegen die bundesweite Cloud

Christoph Meinel versteht die Vorbehalte der Länder gegenüber einer bundesweiten Cloud nicht. „Der Föderalismus ist wichtig“, betont er zwar. Im Bereich der Infrastruktur gebe es allerdings keinen Bedarf nach Differenzierung, schließlich würde ja auch nicht jedes Land andere Internetstandards einführen oder andere Office-Systeme benutzen. „Es würde keinem schaden, wenn eine einheitliche Architektur genutzt wird“, meint Meinel. Der Föderalismus könne und müsse sich bei der Auswahl der eigentlichen Lernsoftware und der digitalen Bildungsmedien entfalten. Die könne je nach Schulträger oder Land divers sein.

Denn die Schul-Cloud bietet lediglich die digitale Lernumgebung. Die eigentlichen Inhalte finden sich in den Lernprogrammen, auf die über die Cloud zugegriffen werden kann, wie Vokabeltrainer oder Mathematikprogramme. In der HPI-Schul-Cloud sind diese Programme im „Lernstore“ verfügbar. So wie sich jeder Handynutzer schnell individuelle Apps herunterladen kann, soll das auch mit den verschiedenen Lernsoftwares möglich sein – mit dem Unterschied, dass bei einem Zugriff über die Schul-Cloud die Einhaltung der europäischen Datenschutzverordnung gesichert ist.

Noch ungeklärt: Mit welchen Geräten gehen Schülerinnen und Schüler eigentlich ins Netz?
Noch ungeklärt: Mit welchen Geräten gehen Schülerinnen und Schüler eigentlich ins Netz?

© Uli Deck/dpa

Doch viele Fragen, die den Einsatz digitaler Lernumgebungen betreffen, sind noch ungeklärt. Etwa auf welchen Geräten die Cloud künftig genutzt wird. Schülerinnen oder Schüler könnten etwa ihre eigenen Smartphones als Arbeitsgeräte im Unterricht gebrauchen – an vielen Schulen jedoch sind Handys verboten. Oder sollte jeder Schüler im Laufe der Schullaufbahn ein Tablet erwerben, wie es früher mit Taschenrechnern üblich war?

Eine Art "Spotify für Bildungsmedien"

Eine weitere ungeklärte Frage ist die der Lizenzen. Interaktive Programme von Verlagen und Softwareanbietern können nur angeboten werden, wenn Lizenzgebühren gezahlt werden. Die Vision der Schul-Cloud-Macher ist es, eine Art „Spotify für Bildungsmedien“ zu schaffen. Länder würden dann beispielsweise eine Million Euro für Lernsoftware bereitstellen. Mit dem Geld würden die entsprechenden Programme gekauft, die dann in der Cloud zum Runterladen im Lernstore bereitgestellt werden. Am Ende des Jahres würde die Summe nach Nutzungszeit aufgeteilt.

Das würde auch den Wettbewerb unter den Anbietern von Lernprogrammen fördern, sagt Meinel. Je mehr Schulträger oder Länder sich beteiligten, desto geringer würden die Kosten für Lizenzen.

Mint-EC-Schulen wie das Heinrich-Hertz-Gymnasium helfen derweil mit, das System Schul-Cloud nutzerfreundlich zu machen. „Nur wenn wir Feedback geben, kann das weitergehen“, sagt der Lehrer Sebastian Bognár. Für ihn müsste etwa die Übersichtlichkeit der Plattform noch besser werden, insbesondere in dem Bereich, in dem er den Schülern Aufgaben stellen kann.

Nicht alles funktioniert: Das Internet lahmt

Den größten Vorteil sieht Bognár darin, dass er seine Schülerinnen und Schüler unterschiedlich fördern kann. „Wenn ich leichte, mittelschwere und schwere Arbeitsblätter für alle ausdrucke, ist das ein riesiger Papierwust.“ Mit der Cloud sei es einfach, Aufgaben auf verschiedenen Niveaus zu stellen. „Jeder Schüler ist glücklich, wenn er etwas schafft“, sagt Bognár.

Doch nicht alles funktioniert so, wie es sollte. Während des Unterrichts meldet sich ein Schüler, der die Aufgabe besonders schnell erledigt hat. „Die sollen mal die Ladezeit der Cloud fixen“, teilt er seinem Lehrer mit. Die langen Ladezeiten liegen allerdings eher am langsamen Internet, erklärt Bognár nach der Stunde. Dabei sei seine Schule mit ihrer 100-MBit-Leitung im Berliner Vergleich noch gut ausgestattet. Es fehle allerdings an W-Lan-Routern in den Räumen. Dass alle 500 Schüler gleichzeitig online gehen, sei derzeit unmöglich, auf schnelleres Internet warten die Schulen seit Langem. „Keine Ahnung, was das Land Berlin da macht“, sagt Bognár.

Aus der Senatsverwaltung heißt es, dass alle beruflichen Schulen „bestenfalls“ bis Ende 2019 einen Breitbandkabelanschluss erhalten sollen, in den nächsten vier Jahren sollen die allgemeinbildenden Schulen folgen. Dass alle Berliner Schülerinnen und Schüler digitale Lernumgebungen in ihren Klassenzimmern nutzen können, wird in den nächsten Jahren wohl nur eine Vision bleiben.

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