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Sie decken Missstände auf – doch ihr eigener Berufsalltag ist einer. Eine Studie zeigt, wie der Journalismus seine Leute zermürbt.

© Getty Images/Vera Livchak

Viele Journalisten wollen hinschmeißen: „Ich bin ausgebrannt, die Akkus laden nicht mehr“

Hass, Stress, schlechte Bezahlung: Medienschaffende stehen unter extremem Druck. Eine neue Studie zeigt, wie viele von ihnen bereits psychisch am Limit sind.

Stand:

Der Job, für den sie einst brannten, brennt sie jetzt aus.

Journalistinnen und Journalisten in Deutschland sind psychisch stark belastet. Das zeigt eine neue Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), für die 1301 Medienschaffende befragt wurden.

Mehr als jede:r Zweite in der Studie zeigt Anzeichen einer Depression, 22 Prozent haben sogar ein Risiko für eine schwere Form. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung liegt die Rate für Depressionen bei 8 bis 12 Prozent. Etwa 45 Prozent der Befragten sind stark burnoutgefährdet. 46 Prozent leiden unter hohem bis sehr hohem negativen Stress.

Die Forschenden haben standardisierte psychologische Skalen eingesetzt, um das Wohlbefinden, den psychischen Stress und das Burnout-Risiko der Medienschaffenden zu messen. Im Durchschnitt waren die Befragten 47,6 Jahre alt und seit fast 23 Jahren im Beruf tätig.

Wer berichtet, wird zur Zielscheibe

Interviews führen, Hintergründe recherchieren, und das alles möglichst schnell: Journalismus ist stressig. Doch die Bedingungen haben sich verschärft: Beleidigungen in den sozialen Medien und Drohmails gehören für viele zum Alltag. 58 Prozent der Journalist:innen wurden schon mindestens einmal von potenziellen Leser:innen online attackiert, 44 Prozent wurden im echten Leben verbal erniedrigt oder beschimpft. 33 Prozent wurden bedroht oder eingeschüchtert.

Kämpfen müssen viele auch am Arbeitsplatz: Über ein Drittel der Journalistinnen und Journalisten wurden aufgrund von Alter, Geschlecht oder der Herkunft am Arbeitsplatz diskriminiert. Insgesamt 33 Prozent der Befragten berichten von Mobbing sowie 12 Prozent von sexuellen Übergriffen durch Kollegen.

Vier Jahrzehnte, davon drei immer Vollgas, Termindruck, Konkurrenzkampf, sich verschlechternde Arbeitsbedingungen haben dazu geführt, dass ich ausgebrannt bin, die Akkus sich nicht mehr laden, körperliche wie mentale Probleme zum Alltag gehören.

Live-Kommentator, 62, bei privatem TV-Sender

Schlechte Bezahlung, hoher Arbeitsdruck, ein raues Redaktionsklima und fehlende Unterstützung setzen vielen zusätzlich zu. Psychosoziale Anlaufstellen sind oft unbekannt oder schlicht nicht vorhanden. Besonders Freie, die keine feste Anstellung bei einem Medienhaus haben und oft pro Artikel bezahlt werden, trifft es hart: 84,2 Prozent haben keinen Zugang zu psychologischer Hilfe oder Unterstützungsangeboten.

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Prozent der Medienschaffenden zeigen Anzeichen für eine Depression, 22 Prozent haben ein Risiko für eine schwere Depression. Für die Studie wurden 1301 Journalistinnen und Journalisten in ganz Deutschland befragt.

Die Studie zeigt, dass der Druck für viele kaum noch auszuhalten ist. Fast zwei Drittel (65 Prozent) der Befragten haben im vergangenen Jahr darüber nachgedacht, aus dem Beruf auszusteigen. Journalistinnen etwas öfter als ihre männlichen Kollegen.

Wer über die Krise des Journalismus spricht, darf nicht nur über schrumpfende Budgets und die Zukunft der Medienbranche reden – sondern muss auch über die Menschen sprechen, die sie am Laufen halten. Die psychischen Herausforderungen im Journalismus sind kein individuelles Versagen, sondern ein systemisches Problem. Doch Coachings und Workshops für mehr Resilienz helfen nur bedingt, so die Autor:innen, wenn sich an den prekären Arbeitsbedingungen nichts ändert.

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