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Eine Glühbirne hebt wie eine Rakete ab. Die Geschichten über die Nobelpreisträger zeigen, wie überraschend der Weg zur Genialität sein kann.

© Getty Images/iStockphoto/AntonioSolano

Vier persönliche Geschichten über die Nobelpreisträger 2024 : Wer sind die Menschen hinter den Medaillen?

Vom Physiker, der schlecht in Physik war, bis zum Chemiker, der seine Meetings im Park abhielt: Um einen Nobelpreis zu bekommen, braucht es manchmal mehr Eigenheiten statt guter Noten.

Stand:

Ein Moment des Ruhms. Bei der Nobelpreisverleihung in Stockholm – wie jedes Jahr am 10. Dezember – wird Spitzenleistung in der Wissenschaft gefeiert.

Doch hinter den Medaillen und Lobesreden stehen diejenigen, die die Höhen und Tiefen der Preisträger miterlebt haben. Mentoren, Studentinnen und Kollegen, die Zweifel, Höhenflüge und Eigenheiten kennen. Was haben sie über die diesjährigen Preisträger zu erzählen?

Wir haben Einblicke erhalten, die berühren und überraschen.


Nach vielen Kilometern durch Seattle gab es den Chemie-Nobelpreis

Den Chemie-Nobelpreis in diesem Jahr erhielt David Baker zusammen mit den Google-DeepMind-Forschern Demis Hassabis und John Jumper. Der US-Forscher Baker war der Erste, der es schaffte, völlig neue, künstliche Proteine zu konstruieren. Für das „computergestützte Design von Proteinen“ zeichnete ihn das Nobelkomitee aus.

Wer der Mann hinter den künstlichen Proteinen ist, erzählt Alexis Courbet, einer von Bakers Mitarbeitern am Institut für Protein-Design in Seattle:

„Ich bewundere David für seine unersättliche Neugier und seinen Mut, sich auf völlig unerforschte Abenteuer einzulassen. Ob im Labor oder in der Natur. Eine seiner beeindruckendsten Eigenschaften ist, dass er sich spontan neuen Umständen anpassen kann. Als die Revolution des Deep Learning begann, ließ er sich vollständig darauf ein – spektakulär, angesichts der herausfordernden neuen Technologie. Mir erschienen die Hürden unüberwindbar. Aber David hat es geschafft: Unter seiner Leitung entwickelten wir in nur wenigen Jahren die fortschrittlichsten computergestützten Werkzeuge zu Protein-Designs basierend auf Deep Learning.“

Ich bewundere David für seine unersättliche Neugier und seinen Mut, sich auf völlig unerforschte Abenteuer einzulassen.

Französischer Biochemiker Alexis Courbet über David Baker

Courbet sagt weiter: „David muss immer in Bewegung sein, ob geistig oder körperlich. Während des Covid-Lockdowns konnte David nicht mehr ins Labor kommen und das tun, was er liebt – im Labor herumlaufen und mit allen über Wissenschaft sprechen. Er konnte das Stillsitzen nicht ertragen, also musste er sich anpassen: Er führte all seine Meetings vom Handy aus und lief dabei täglich dutzende Kilometer in den Parks von Seattle. Wir haben uns alle daran gewöhnt, bei Meetings die unterschiedlichen Vogelgeräusche im Hintergrund zu hören.“


Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung der mircoRNA

Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ging in diesem Jahr an die Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkan. Die beiden entdeckten die microRNA. Diese Moleküle regulieren auch im Menschen, wie die DNA abgelesen wird.

Ambros und Ruvkan lernten sich in den späten 80ern am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) kennen. Sie arbeiteten beide im Labor von Robert Horvitz. Er bekam 2002 den Medizin-Nobelpreis verliehen.

Der heutige Preis ist mehr als verdient, eine wunderbare Anerkennung zweier herausragender Wissenschaftler und ein starkes Zeichen für die Bedeutung entdeckungsorientierter Grundlagenforschung.

US-amerkanischer Biologe und ehemaliger Nobelpreisträger Robert Horvitz über Victor Ambros und Gary Ruvkan

Wie ging es dem Biologen nach der Verkündung, dass seine ehemaligen Mitarbeiter in seine Fußstapfen treten? Robert Horvitz schreibt:

„Ich war unglaublich aufgeregt über die Verkündung und begeistert, als ich kurz darauf mit beiden sprechen konnte. Victor Ambros und Gary Ruvkun sind brillante Wissenschaftler und wunderbare Menschen. Victor war mein erster Postdoc, und Gary entweder mein zweiter oder dritter. Niemand erinnert sich mehr, ob er oder ein anderer Postdoc als Erster ins Labor kam. Sie haben nämlich am selben Tag angefangen.“

Horvitz erzählt weiter: „Sowohl Victor als auch Gary waren mutig, in meinem neu gegründeten Labor anzufangen und am Fadenwurm C. elegans zu forschen, der für die Biologie damals noch völlig unbekannt war! Viele Methoden für mechanistische Analysen fehlten noch! Victor wagte den Sprung vom Poliovirus zum Wurm. Und Gary erforschte vorher Bakterien, die in Symbiose mit Pflanzen lebten.“

„Sie haben beide in ihrem Bereich brilliert, Herausforderungen gemeistert und zusammengearbeitet, um ihre Wissenschaft zu der völlig unerwarteten Entdeckung der ersten microRNA voranzutreiben – und damit eine neue Welt der Genregulation in mehrzelligen Organismen eröffnet. Der heutige Preis ist mehr als verdient, eine wunderbare Anerkennung zweier herausragender Wissenschaftler und ein starkes Zeichen für die Bedeutung entdeckungsorientierter Grundlagenforschung.“


Schlecht in Physik? Dafür gab’s einen Nobelpreis

Der Nobelpreis für Physik ging in diesem Jahr an John Hopfield und Geoffrey Hinton. Beide legten die Grundlage für Künstliche Intelligenz.

Der Informatiker und Kognitionswissenschaftler Geoffrey Hinton gilt zusammen mit Yoshua Bengio und Yann LeCun als „Großvater der KI“. Sie erhielten 2018 den Turing Award – den „Nobelpreis“ der Informatik sozusagen. Bengio hat folgendes über Hinton zu sagen:

Geoff ist ehrlich, selbst wenn ihn das in eine nachteilige Position bringt.

Kanadischer Informatiker Yoshua Bengio über Geoffrey Hinton

„Geoff ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Seine Kreativität und Zielstrebigkeit, das Gehirn und – im weiteren Sinne – Intelligenz und das Lernen zu verstehen, sind für den Nobelpreis seine wohl relevantesten Eigenschaften. Seine Gedanken springen von einer Idee zur nächsten und inspirieren Studenten und Kollegen, wie auch mich.“

Bengio weiter: „Die erste Pflicht eines Wissenschaftlers wie Geoff gilt der Wahrheit und der Menschheit – wie er durch seine kritische Haltung gegenüber den dominanten Ansichten in seiner eigenen Gemeinschaft zur existenziellen Gefahr durch Künstliche Intelligenz gezeigt hat. Geoff ist ehrlich, selbst wenn ihn das in eine nachteilige Position bringt. So sprach er offen über seine schlechten Leistungen im Physikstudium, nachdem er mit dem Physik-Nobelpreis geehrt wurde.“

John Hopfield lehrte in den 1980ern am California Institute of Technology, wo er unter anderem Li Zhaopings Doktorarbeit betreute. Zhaoping ist heute Professorin am Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen.

Sein Hopfield-Netzwerk hat viele inspiriert, Ansätze aus Physik, Biologie, Psychologie und Neurowissenschaften zu kombinieren, um das Gehirn besser zu verstehen.

 Neurowissenschaftlerin Li Zhaopings über John Hopfield

Für die Neurowissenschaftlerin ist Hopfield ein Visionär, der über die Grenzen seiner Arbeit hinaus denkt. Über seinen Ideenreichtum schreibt sie:

„Ich bin überglücklich, dass mein Doktorvater John J. Hopfield mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wird! Seine grundlegenden Entdeckungen haben maschinelles Lernen in künstlichen neuronalen Netzwerken ermöglicht. Sein Hopfield-Netzwerk hat viele inspiriert, Ansätze aus Physik, Biologie, Psychologie und Neurowissenschaften zu kombinieren, um das Gehirn besser zu verstehen. Ich bin ihm unglaublich dankbar für seine unschätzbare Mentorschaft und die Unterstützung meiner V1-Salienz-Hypothese* – Jahre bevor sie anerkannt wurde.“ (*Die V1-Salienz-Hypothese erklärt, wie das Gehirn besonders auffällige visuelle Reize wahrnimmt und verarbeitet..)

Zhaoping erzäht weiter: „Während meiner Promotion in den 1980er Jahren schlug er mir vor, mich mit dem Geruchssinn zu beschäftigen. Er meinte, es sei faszinierend, dass Nervenzellen des Geruchssinns oszillatorische Aktivitäten, also Schwankungen im Signal, zeigen. Das war aus zwei Gründen erstaunlich: Erstens zeigte das von ihm entwickelte Hopfield-Netzwerk solche Schwingungen nicht, und zweitens war die Forschung zum Geruchssinn damals noch ein kaum beachtetes Gebiet.“

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