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Aus einem See im brandenburgischen Linum sammeln Umweltarbeiter die Kadaver von Vögeln ein, die an der Vogelgrippe verendet sind.

© dpa/Ebrahim Noroozi

Vogelgrippe greift um sich: Doppelinfektionen könnten Risiko für Menschen erhöhen

Das Vogelgrippe-Virus ist in Deutschland so aktiv wie nie. Und je mehr Tiere sich infizieren, umso größer das Risiko, dass H5N1 auf den Menschen überspringt.

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Die gute Nachricht vorweg: „Es gibt keinen Grund zur Panik, was eine Pandemie in Menschen betrifft.“ Das sagt der New Yorker Grippe-Experte Florian Krammer von der Icahn School of Medicine zur aktuell stark um sich greifenden Vogelgrippe in Deutschland. „Problematisch wird die Situation für Menschen erst, wenn es Mensch-zu-Mensch-Übertragungen mit H5-Viren gibt.“

Das ist allerdings nur ein schwacher Trost für Landwirte, deren Geflügel durch Ansteckung mit den vielen infizierten Wildvögeln gefährdet ist und jetzt nicht mehr ungeschützt ins Freie darf. Zumal bekannt ist, dass das Virus auch auf andere Säugetiere überspringen kann: In den USA infizierten Vogelgrippeviren zuletzt zigtausende Milchkühe in mehreren Bundesstaaten.

Die Preise von Eiern und Hühnerfleisch könnten steigen.

Ursula Höfle, Universität Castilla-La Mancha, Spanien

In Deutschland hat die Vogelgrippe H5N1 seit Juli, einem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt, bereits Tausende Zugvögel auf ihrem Weg in wärmere Regionen im Süden getötet.

Von Vogel zu Vogel...

In Deutschland sind diesmal besonders Kraniche betroffen. „Seit 2021 ist ein klarer Wandel im Auftreten der Vogelgrippe zu beobachten“, sagte Martin Schwemmle, Forschungsgruppenleiter am Institut für Virologie der Uniklinik Freiburg, dem Science Media Center. „Das Virus ist nicht mehr wie früher auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt, sondern tritt nun ganzjährig in Europa auf.“ Dabei habe sich das Virus zuletzt „auf fast alle Kontinente verbreitet – inklusive der Antarktis –, nur Ozeanien ist verschont“, ergänzt Ursula Höfle von der Universität Castilla-La Mancha in Spanien.

Zu Infektionen kommt es vor allem dort, wo sich viele Zugvögel, etwa zur Rast, sammeln. Sie tragen die Erreger dann auch in Mast- und Legehennenbetriebe. In mehreren Bundesländern mussten bereits Tierbestände gekeult werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.

... von Kuh zu Kuh ...

Zwar können sich auch Katzen, Füchse oder Robben infizieren, wenn sie sich von kranken oder toten Wildvögeln ernähren oder mit ihnen in Kontakt kommen. Doch meist vermehrt sich das Virus in diesen Säugetierarten nicht so stark, dass es sich von dort weiterverbreiten könnte. Bisher fand das Virus nur in Milchkühen in den USA einen Weg zur Verbreitung: über das Melkgeschirr wurde es von Kuh zu Kuh übertragen.

Neukombinierte Viren haben möglicherweise das Potenzial, eine neue Pandemie auszulösen.

Florian Krammer, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York

„In Deutschland gab es bisher keine Hinweise auf H5N1-Infektionen in Milchviehbetrieben“, sagt Schwemmle. Schweine seien hierzulande ebenso wenig betroffen. Allerdings habe es 2023 in Italien H5N1-Infektionen bei Schweinen gegeben, die zusammen mit H5N1-infzierten Hühner gehalten wurden, sagt Timm Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems, Greifswald. Ein systematisches Monitoring von Wiederkäuer- und Schweinebeständen gebe es in Europa jedoch auch nicht, ergänzt Harder.

... von Kuh zu Mensch

„Das Risiko für eine Übertragung auf den Menschen besteht bei engem Kontakt zu infiziertem Geflügel oder deren Ausscheidungen“, sagt Schwemmle, „bleibt aber gering“. Von infizierten Säugetieren, etwa Milchkühen, gehe jedoch ein „größeres Risikopotenzial“ aus, „da H5N1-Viren dabei die Möglichkeit haben, sich an den Säuger-Organismus anzupassen oder ihr Erbgut mit dem von bereits an Säugetieren angepassten Grippeviren zu vermischen“, sagt Schwemmle: „So könnten Viren entstehen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko für den Menschen darstellen.“

Das Risiko einer solchen Zoonose, des Überspringens eines Virus von einem Tier auf den Menschen, steige mit der Zahl der H5N1-Infektionsfälle in Tieren, betont Florian Krammer. „Schützen kann man sich, indem man den Kontakt mit Wildtieren, vor allem mit kranken oder sich auffällig verhaltenden Vögeln vermeidet.“ Dazu gehöre auch, dafür zu sorgen, dass Hunde und Katzen keinen Kontakt zu solchen Tieren haben.

„Für Berufsgruppen, die mit potenziell infizierten Tieren in Berührung kommen, wie Veterinäre, Geflügelbauern oder Jäger, sollte eine saisonale Influenzaimpfung in Erwägung gezogen werden, um sich vor humaner Influenza zu schützen“, so Krammer. Das sei wichtig, da es bei einer Doppelinfektion mit H5N1 und saisonaler Influenza zu Mischviren („Reassortanten“) kommen könne.

Viren mit einem solchen neu kombinierten Erbgut „haben dann möglicherweise Potenzial, eine neue Pandemie auszulösen“, warnt Krammer. In Österreich und einigen anderen europäischen Ländern stehen für diese gefährdeten Personengruppen auch passende H5-Impfstoffe zur Verfügung, die „sehr empfehlenswert“, in Deutschland jedoch nicht erhältlich seien.

Derweil greift die Vogelgrippe weiter um sich. Es sei zu erwarten, sagt Expertin Ursula Höfle, „dass mit dem Wintereinbruch und dem Vogelzug die Anzahl der Ausbrüche im Süden Europas weiter zunimmt, was vor allen Dingen die Preise von Eiern und Hühnerfleisch ansteigen lassen kann.“ (mit smc)

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