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Heutige Hauspferde sind größer als ihre wilden Vorfahren, unterscheiden sich aber auch in weiteren Merkmalen von ihnen.

© Unsplash/Engin Akyurt

Vom Wildtier zum Reittier: Wie der Mensch das Pferd domestizierte

Das Pferd revolutionierte Mobilität, Handel und Kriegführung der Menschen. Möglich wurde das vor grob 4500 Jahren durch die Auswahl von Zuchttieren, vor allem nach zwei Eigenschaften.

Von Walter Willems

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Die Domestizierung des Pferdes war ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit: Die Nutzung dieser Tiere revolutionierte vor etwa 4500 Jahren Kommunikation und Landwirtschaft, Transportwesen und Handel sowie nicht zuletzt auch die Kriegführung.

Nun zeigt eine Studie im Fachjournal „Science“, dass die frühen Züchter des Pferdes sich gezielt vor allem auf zwei Eigenschaften konzentrierten.

Erst das Verhalten, dann die Anatomie

Erstaunlich an der Domestizierung des Pferdes ist, dass andere Haustiere wie Schweine, Ziegen, Rinder und Schafe schon etwa 5000 Jahre früher domestiziert wurden. Schon vor einigen Jahren hatte eine im Fachblatt „Nature“ publizierte Studie ergeben, dass die Geschichte des modernen Hauspferdes (Equus caballus) im Süden des heutigen Russlands begann.

Die kulturelle Identität der Menschen, die für diese frühe intensive Züchtung verantwortlich sind, bleibt zwar ein Geheimnis, aber sie müssen die dafür nötige Raffinesse, Methode und Weitsicht gehabt haben.

Laurent Frantz, Paläogenetiker von der Ludwig-Maximilians-Universität München

Allerdings wurden schon vor der Domestizierung des Hauspferds andere Vertreter aus der Familie der Pferde (Equidae) von Menschen genutzt. Dazu zählen etwa Esel als Tragetiere, wie der Paläogenetiker Laurent Frantz von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in einem Kommentar in „Science“ schreibt.

Doch im Vergleich dazu boten Pferde entscheidende Vorteile: Sie waren gutmütiger, größer und ließen sich besser reiten. Diese Eigenschaften waren es auch, die die Grundlagen bei der Züchtung der modernen Pferde bildeten, wie das Team um Ludovic Orlando von der Universität Toulouse nun berichtet.

Die Gruppe hatte Genome von 86 Pferden aus verschiedenen Teilen der Welt und von einem Esel auf 266 verschiedene genetische Eigenschaften analysiert und daraus einen Stammbaum erstellt. Demnach zielte die frühe Züchtung der Tiere vor etwa 5000 Jahren auf Verhaltensaspekte ab, bis sie sich vor etwa 4700 Jahren dann auf die Anatomie der Tiere richtete.

Pferde wuchsen mit

In der frühsten Phase der Domestizierung – vor etwa 5000 Jahren – wurde demnach eine Variante des Gens „ZFPM1“ deutlich häufiger. Dieses Gen stehe bei Menschen und auch bei Mäusen unter anderem mit dem Verhalten in Zusammenhang, schreibt das Team. Zunächst sei es vor allem um die Zähmung von Pferden und ihre Stresstoleranz gegangen, folgert die Gruppe. Dies sei die Voraussetzung dafür gewesen, Pferde in Gefangenschaft zu halten und enger mit ihnen zusammenzuleben.

Die zweite, entscheidende Phase begann demnach etwa 300 Jahren später – also vor etwa 4700 Jahren: Damals setzte sich eine Variante des Gens „GSDMC“ durch, das mit der Anatomie von Rücken und Wirbelsäule und auch mit der Ausdauer in Zusammenhang steht. Diese Selektion erfolgte zeitlich parallel zur Entstehung des Hauspferds, wie das Team betont.

Diese GSDMC-Variante sei entscheidend gewesen für „die Entstehung von Pferden mit verstärkter Bewegungsfähigkeit, was eine erhöhte menschliche Mobilität und Reisegeschwindigkeit förderte“, schreibt die Gruppe.

Die Häufigkeit der GSDMC-Variante stieg demnach binnen weniger Jahrhunderte von einem auf nahezu 100 Prozent. Sie beeinflusst auch das Verhältnis von Länge zu Höhe der Tiere, was möglicherweise mit der militärischen Nutzung von Pferden zusammenhängt: Demnach lag in Westeuropa die Widerristhöhe, mit der man die Größe von Pferden misst, während der Eisenzeit – also vor grob 3000 Jahren – bei etwa 1,25 Metern, während der Römerzeit bei 1,35 Metern und in der Epoche nach dem Mittelalter bei 1,39 Metern.

„Raffinesse, Methode und Weitsicht“

Diese Resultate stehen nach Ansicht der Forscher in Widerspruch zu früheren Vermutungen, denen zufolge es bei der frühen Domestizierung des Hauspferds auch um die Färbung gegangen sei.

In seinem „Science“-Kommentar schreibt der Münchner Experte Frantz über den entscheidenden Einfluss der GSDMC-Variante: „Pferde mit der GSDMC-Mutation wurden von dem Domestizierungszentrum nördlich des Kaspischen Meeres schnell verbreitet und erreichten die entlegenste Ecke Eurasiens vor etwa 3000 Jahren“, schreibt er. Der durch diese Mutation erreichte Vorteil sei so groß gewesen, dass – abgesehen von Eseln – diese neuen Pferde fast alle anderen vom Menschen genutzten Vertreter der Gattung Equus ersetzten.

„Die genauen Umstände und die kulturelle Identität der Menschen, die für diese frühe intensive Züchtung verantwortlich sind, bleiben zwar ein Geheimnis“, schreibt Frantz. „Aber sie müssen die dafür nötige Raffinesse, Methode und Weitsicht gehabt haben.“ Sicher sei, dass diese ersten Reiter eine Revolution lostraten, die die Welt veränderte.“ (dpa)

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