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Das Reichstagsgebäude des Deutschen Bundestages.

© picture alliance/dpa/Fabian Sommer

Von wegen „das ganze Volk“: Im Bundestag gibt es eine riesige Repräsentationslücke

Zu wenig Frauen, zu wenig jüngere und ältere Menschen, zu wenig Handwerker: Im Parlament ist die Bevölkerung nicht richtig abgebildet. Das sollte sich beim nächsten Mal ändern.

Jutta Allmendinger
Eine Kolumne von Jutta Allmendinger

Stand:

Viele Arbeitsorganisationen fahren ihre Diversitätsprogramme zurück. Diese gelten plötzlich als woke, als überflüssiges Luxusschleifchen. Vor kurzem rechnete sich Diversität noch, steigerte Motivation, Produktivität und Kreativität. Galt als Köder, um die besten Arbeitskräfte an die Firmen zu locken und dort zu halten.

All das ist vorbei. Weil es Trump verordnet? Weil man den eigenen Berechnungen nicht traut? Weil die Ziele erreicht wurden?

Nun sind Arbeitsorganisationen bei uns durchaus rechtlichen Rahmenbedingungen unterworfen. Abgaben sind zu zahlen, wenn man einen gesetzten Anteil behinderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschreitet. Oder nicht genug Frauen in den Aufsichtsräten oder im Vorstand sind. Es gibt ein Antidiskriminierungsverbot.

In der Politik ist das anders. Zwar sollte das „ganze Volk“ durch die Abgeordneten repräsentiert werden. Nicht umsonst sprechen wir von einer repräsentativen Demokratie. Vorgaben aber gibt es keine. Kandidaten und Kandidatinnen der Parteien werden nicht repräsentativ aufgestellt, die Wählerinnen und Wähler können nur eingeschränkt entscheiden.

Im 21. Deutschen Bundestag haben wir mit dem Ergebnis zu leben. Die Repräsentationslücke ist teilweise riesig und steigend. So geht der Frauenanteil um zwei Prozentpunkte auf 32,4 Prozent zurück. Wird die neue Regierung von CDU/CSU und SPD gestellt, sinkt der Anteil von Frauen in Regierungsparteien von 44 auf 30 Prozent.

Das ist bitter, aus vielen Gründen. Frauen setzen andere Themen, drängen auf Fortschritt in der Geschlechtergerechtigkeit. Diese ist alles andere als woke. Ein Ergebnis wäre, dass Frauen die Rahmenbedingungen erarbeiten, die ihnen eine höhere Erwerbstätigkeit erlauben würden. Ein Wirtschaftsfaktor, keine Frage.

Die Lücke betrifft auch andere Gruppen. Der Anteil jüngerer Menschen unter 35 Jahren liegt bundesweit bei 36,5 Prozent, im Bundestag finden sich nur 16,2 Prozent. Ähnlich der Anteil von Menschen mit Migrationsbiographie: Bundesweit liegt dieser bei 29,7 Prozent, im Bundestag bei lediglich 11,6 Prozent.

Nach Berufen zeigt sich ein deutlicher Überhang in den Rechtswissenschaften, die einen Bevölkerungsanteil von 0,6 Prozent haben, im Bundestag aber mit 18,7 Prozent vertreten sind. Im Gegensatz hierzu ist das Handwerk weit unterrepräsentiert. Mit acht Prozent in der Bevölkerung, aber 2,7 Prozent im Bundestag.

Repräsentativität sieht anders aus. Wir brauchen die Stimmen des „ganzen Volkes“, um die eigenen Belange, Sorgen und Nöte abgebildet zu sehen, die Nähe und das Vertrauen in die Politik zu stärken – und die Demokratie. Diversität ist alles andere als woke. Nutzen wir die Zeit, uns bei der nächsten Wahl besser aufzustellen.

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