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Symptome von Covid-19 können auch nach milden Verläufen der Erkrankung und auch bei jungen Patient:innen fortbestehen.

© REUTERS/Corinna Kern

Was tun bei Folgeerkrankungen der Pandemie?: Die Suche nach Therapien für Long Covid und Post Covid

Bei der Behandlung von Long Covid und Post Covid sind viele Ärzte überfragt. Doch das Wissen über die diffusen Krankheitsbilder nimmt zu.

Als die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 Fahrt aufnahm, stand die Behandlung der akut Erkrankten im Vordergrund. Erst im Verlauf der weiteren Monate wurde klar, dass eine Covid-19-Erkrankung die Gesundheit der Betroffenen sehr lange beeinträchtigen kann. In den ersten Wochen nach der Erkrankung haben nach derzeitigen Schätzungen etwa zehn Prozent der Covid-Patienten mit anhaltenden Beschwerden zu tun.

Wie steht es heute, kurz vor Ende des zweiten Corona-Jahres, um die Behandlung und Versorgung dieser Menschen? „Das Gesamtbild der Erkrankung ist heute nicht mehr so nebulös, wie es zu Beginn der Pandemie war“, sagt der Mediziner Dominik Buckert vom Universitätsklinikum Ulm.

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Die Beschwerden lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Bei etwa zehn bis 20 Prozent der Betroffenen seien Schäden an Organen wie Herz oder Lunge nachweisbar. Deutlich mehr, etwa 60 bis 70 Prozent, kämpften mit eher funktionellen Beeinträchtigungen wie einer geringeren Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen oder anhaltenden Riech- und Schmeckstörungen.

Von „Long Covid“ sprechen Experten, wenn die Symptome der Erkrankung vier Wochen anhalten. „Post Covid“ bedeutet, dass die Beschwerden noch nach drei Monaten den Alltag einschränken.

Schäden an Organen und funktionelle Beeinträchtigungen

Immerhin: Die Heilungsaussichten sind zumindest auf lange Sicht gut. „Wenn sich ein Organ verändert hat, muss das nicht immer dramatisch sein“, sagt Buckert. Entzündliche Veränderungen am Herzen könnten zwar den Herzmuskel dauerhaft schädigen, klingen aber häufig vollständig aus.

In der Lunge kann das Virus ebenfalls Entzündungen auslösen, die zu Vernarbungen und schließlich zu einer Einschränkung des Gasaustausches führen. „Das äußert sich dann bei den Patienten in einer Luftnot.“ Ähnliche Folgen können auch andere Virusinfekte auslösen, sie sind also keine coronatypischen Erkrankungen. „Es gibt für die Behandlung der Beschwerden etablierte Therapiekonzepte“, sagt Buckert.

Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité hat es in erster Linie mit Patienten zu tun, die nach einer Covid-19-Erkrankung funktionelle Beeinträchtigungen haben. Die Medizinerin leitet das Fatigue Centrum der Charité.

Fatigue (Ermüdungszustand) gehört zu den am häufigsten auftretenden Symptomen im Zusammenhang mit dem Post-Covid-Syndrom. Bis zu drei Viertel der Patienten klagen über chronische Erschöpfung und Fatigue, oft im Zusammenhang mit einer eingeschränkten Belastbarkeit. Häufig kommen auch Kopf- und Muskelschmerzen oder geistige Beeinträchtigungen wie Konzentrationsschwäche hinzu.

Ursachen und Behandlungsansätze

Beim Chronic Fatigue Syndrom, einem eigenständigen Krankheitsbild, können auch Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus Ursache sein. „Die Erkrankung ist insgesamt kaum erforscht“, sagt Scheibenbogen. Lange Zeit wurde sie als „psychosomatisch eingeordnet. Inzwischen wird vermutet, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt.

„Der Körper bildet dabei sogenannte Autoantikörper gegen bestimmte Stress-Rezeptoren auf den Zellen, die etwa die Atmung, den Herzschlag oder den Blutfluss steuern“, erläutert Scheibenbogen. Die körperlichen Folgen wie etwa ein zu schneller Herzschlag oder eine nicht angepasste Blutverteilung würden die Belastungsintoleranz erklären. „Vieles spricht dafür, dass Autoantikörper auch nach Covid eine Rolle spielen“, sagt die Ärztin.

Bei der Behandlung kommen Reha-Maßnahmen zum Einsatz, Physiotherapie und Atemtherapie. Medikamente können Symptome lindern. Bei der Belastungsintoleranz, die häufig zusammen mit der Fatigue auftritt, ist wichtig, Überlastung zu vermeiden, die zur Zunahme der Beschwerden führt.

„Bei vielen bessern sich die Beschwerden, bei anderen halten sie an“, sagt Scheibenbogen. Studien zufolge seien ein halbes Jahr nach der eigentlichen Covid-19-Erkrankung rund zehn Prozent der Patienten noch immer im Alltag eingeschränkt.

Erste Online-Hilfe für Patient:innen

Die Versorgungsstrukturen müssen nach Ansicht von Experten noch wesentlich verbessert werden. „Das ist bei Weitem nicht ausreichend“, sagt Scheibenbogen, die auch Ärzt:innen und Nicht-Mediziner fortbildet, um das Wissen über die Erkrankung zu verbreiten.

Der Berliner Pneumologe Christian Gogoll erkrankte Anfang des Jahres schwer an Covid-19 und hatte lange mit Atemnot, Sprachschwierigkeiten und starker Erschöpfung zu kämpfen. Eine geeignete Anlaufstelle für seine Beschwerden fand er zunächst nicht. „Meine Lungenfunktion war bei den entsprechenden Untersuchungen normal, trotzdem litt ich unter Atemnot. Weiterhelfen konnten mir die Fachärzte nicht.“

Gogoll sieht die Hausarztpraxen bei der Versorgung von Post-Covid-Patienten in der Pflicht. „Die müssen sich auskennen damit.“ Noch immer gebe es jedoch keine Checkliste, die Ärzte bei Verdacht auf Post Covid abfragen können. „Das ist auch gar nicht so einfach, weil es Allerweltssymptome sind, die auch nach dem Überstehen vieler anderer Infektionserkrankungen auftreten können.“ Auch der oft wellenförmige Verlauf der Erkrankung erschwere die Diagnose.

Der Mediziner hat an den Behandlungsleitlinien für Long/Post Covid mitgeschrieben und auch eine spezielle Leitlinie für Patienten mitverfasst. Darin finden Betroffene viele grundlegende Informationen über die Erkrankungen und Anlaufstellen. So wolle man die wesentlichen Infos in die breite Öffentlichkeit tragen. „Wenn selbst mir unklar ist, was da mit mir passiert ist, wie geht es dann erst medizinischen Laien?“

Klar ist, dass die Zahl der Betroffenen aufgrund der Neuinfektionen in absehbarer Zeit nicht sinken wird. Experten gehen aber davon aus, dass sie nicht in gleichem Maße steigen wird wie die der Infektionen, da Impfungen die Verläufe von Covid-19 abmildern, sodass weniger Symptome auftreten. „Impfen schützt grundsätzlich gut auch vor Long Covid“, sagt Scheibenbogen.

„Bei einem milden Verlauf treten zumindest Organveränderungen seltener auf“, sagt der Ulmer Mediziner Buckert. Die funktionellen Beschwerden korrelierten nicht so gut mit der Erkrankungsschwere. Das heißt: Auch Patienten mit mildem Krankheitsverlauf können anhaltende Beschwerden entwickeln.

Erste Studien zur Schutzwirkung der Impfungen kommen bisher nicht zu eindeutigen Ergebnissen. In einer im Fachmagazin „The Lancet Infectious Disease“ veröffentlichten Untersuchung hatten Forscher Daten aus einer App ausgewertet, über die Covid-Patienten Beschwerden melden konnten. Zweifach geimpfte Menschen klagten nach einer Durchbruchsinfektion deutlich seltener über mehr als 28 Tage nach Infektion anhaltende Symptome als ungeimpfte Menschen.

Häufig ging die Erkrankung ganz ohne Symptome vorbei. Eine zweite, noch nicht veröffentlichte Studie, kommt zu dem Schluss, dass eine zweifache Impfung nach einer Durchbruchsinfektion vor vielen, aber nicht vor allen Long Covid-Beschwerden schützt. (dpa)

Anja Garms

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