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Kolumne – Wiarda wills wissen

© Tagesspiegel/Nassim Rad/Tagesspiegel

Wiarda will’s wissen: Freie Kitaplätze, aber dafür weniger Geld für Bildung?

Es ist eine seltene Gelegenheit: Sinkende Geburten und weniger Migration bieten die Chance, das Bildungssystem zukunftsfähig aufzustellen. Aber welche Prioritäten werden gesetzt?

Jan-Martin Wiarda
Eine Kolumne von Jan-Martin Wiarda

Stand:

Mit so einer Nachricht hätte noch vor zwei Jahren keiner gerechnet. 28.000 freie Kitaplätze gebe es in der Hauptstadt, berichtete die Berliner Bildungssenatorin vorvergangene Woche.

Allerdings ungleich verteilt: Während in dem einen Kiez weiter Mangel herrscht, machen anderswo, etwa in Kreuzberg, schon Warnungen vor einem „Kita-Sterben“ die Runde.

Und doch: Nach Jahren, in denen die Zeitungen voll waren mit Schlagzeilen über Kita-Chaos und Fachkräftemangel (zuletzt bezifferte der Paritätischen Gesamtverband die Erzieherlücke auf bundesweit 125.000), dreht sich gerade etwas, vor allem in den westlichen Bundesländern. Diese rasante demografische Entwicklung bringt die Bildungsplaner erneut in Bedrängnis. Das hat zwei Gründe:

1 Der Rückgang bei den Geburtenzahlen, der fast schon einem freien Fall entspricht.

2021 kamen in Deutschland 795.000 Kinder zur Welt. 2023 dagegen 693.000. Ein Siebtel weniger. Der zwischen 2011 und 2016 beobachtete Anstieg der Geburtenrate von 1,3 auf 1,6, die statistische Zahl der Kinder pro Frau: innerhalb von zwei Jahren komplett weggeschmolzen auf 1,35 im vergangenen Jahr.

2 Die Nettozuwanderung sinkt

Die Nettozuwanderung nach Deutschland hat sich zwischen 2022 und 2023 mehr als halbiert auf immer noch vergleichsweise hohe 0,7 Millionen. Doch in diesem Jahr dürfte, Stichwort Stimmungsmache gegen Migration, die Zahl nochmal rasant heruntergehen. Weniger Einwanderer bedeutet weniger Kinder, die den Geburtenrückgang in Deutschland kompensieren könnten.


Das zu viele Geld einfach in Qualität investieren

Die frühkindliche Bildung hat nur wenig Zeit, sich auf starke demografische Veränderungen einzustellen, weil 92 Prozent der 3- bis 6-Jährigen eine Kita besuchen. Schulen und die Schulpolitik haben dafür etwas mehr Vorlauf.

Aber tun sie es auch? Sind sich die Bildungsminister darüber im Klaren, wie massiv sich Geburten- und Einwandererschwund auf die Klassenstärken auswirken werden? Als die Bertelsmann-Stiftung im Januar prognostizierte, dass sich der Lehrkräftemangel in den Grundschulen bald in einen deutlichen Überschuss umkehren werde, rieben sich manche noch die Augen. Die KMK sieht von 2026 an eine „geringe Entspannung“.

Vor 15, 20 Jahren machte in der Bildungspolitik das Schlagwort von der „demographischen Rendite“ Karriere. Damals, bevor der Anstieg von Geburtenrate und Zuwanderung fast alle Experten überraschte, lautete die Hoffnung: Wenn die Finanzminister den Schulen nur das Geld ließen, das sie jetzt haben, könnten sie es für lange nötige Qualitätsverbesserungen einsetzen. Es kam anders. Statt des erwarteten Schülerschwunds ging die Kurve steil nach oben.

Jetzt wiederholt sich die Geschichte, allerdings zu haushaltspolitisch denkbar ungünstiger Zeit. Weniger Kinder in Kitas und dann in Schulen bedeutet eine ungeheure Verlockung und ein scheinbar unschlagbares Argument für Haushaltspolitiker, das vermeintlich überschüssige Geld einzusacken. Das ist der Kampf, der jetzt bevorsteht.

Denn weniger Kitakinder böten die Gelegenheit, die Betreuungsverhältnisse zu verbessern, was in einigen Fällen darauf hinausliefe, überhaupt wieder eine verlässliche Betreuung anbieten zu können. Gut, dass der Bund in letzter Sekunde doch noch durchgesetzt hat, dass die Länder im Gegenzug zu zwei Bundesmilliarden pro Jahr an ihre Fachkraft-Kind-Relation müssen. Jetzt heißt es: bloß keine Spardebatte aufkommen lassen, die Schulabsolventen von einer Erzieherausbildung abschrecken könnte.

Und die Schulen? Ohne die Drohkulisse übervoller Klassen für Lehrerstellen und die nötigen Investitionen in den Schulbau oder die Digitalisierung streiten zu müssen, dafür braucht die bundesweite Bildungspolitik eine überzeugende Strategie, das schlüssige Narrativ eines bildungspolitischen Aufbruchs. Scharmützel, wie sich Bund und Länder derzeit etwa um die ohnehin schon geschrumpfte Fortsetzung des Digitalpakts liefern, sind das genaue Gegenteil davon.

Und dass die Ministerpräsidenten zwei Jahre mehr Zeit vom Bund forderten, um die Fördergelder aus dem „Ganztagsfinanzhilfegesetz“ in den Bau von Küchen, Mensen oder Gruppenräume zu investieren, mag den von den Regierungschefs angeführten Fachkräftemangel, in diesem Fall im Bausektor, zur Ursache haben. Oder aber auch das nachlassende Gefühl der Dringlichkeit.

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