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Wiarda will’s wissen: Wer Azubis braucht, muss früher aufstehen
Einerseits gibt es viele freie Lehrstellen, andererseits viele junge Leute, die keine Stelle finden. Die Politik kann da nur begrenzt helfen. Die Betriebe müssen selbst etwas tun.

Stand:
Die Betriebe klagen. 35 Prozent der von ihnen angebotenen Ausbildungsplätze blieben 2023 mangels geeigneter Bewerber unbesetzt, berichtet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört.
Lamento der Betriebe
Die Arbeitsmarktforscher klagen. Trotz Rekord bei den unbesetzten Ausbildungsstellen steige die Zahl der unversorgten Bewerber – und auch die Zahl der jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, sagt Ute Leber, Mitautorin der IAB-Analyse.
Die Bildungswissenschaftler schlagen schon lange Alarm. Ein Viertel der Neuntklässler an deutschen Schulen verfehlt beim Lesen, Schreiben und Rechnen die Mindestanforderungen. Was das konkret bedeutet, zeigen beispielhaft die Ergebnisse einer Sekundarschule in einem Berliner Problemviertel: Nur 37 Prozent der Schüler erreichten hier zuletzt die Berufsbildungsreife und nur acht Prozent den Mittleren Schulabschluss.
Die meisten davon werden gar nicht erst in der IAB-Statistik auftauchen, denn die erfasst nur, wen die Bundesagentur als ausbildungsreif einstuft, während jedes Jahr eine Viertelmillion Schulabgänger und mehr im sogenannten Übergangssektor landen, der sie im Nachhinein fit für eine Ausbildung machen soll. Was nach weiteren drei Jahren zwei Drittel von ihnen gelingt.
Die Gründe für die dramatische Schieflage sind vielfältig: Da ist ein Bildungssystem, das seine Verkrustungen nicht überwindet, dem es seit vielen Jahren nicht gelingt, die sozial Benachteiligten mitzunehmen. Da ist eine Politik, die für die Corona-Bekämpfung Kinder und Jugendliche durch harsche Schulschließungen über Gebühr in Anspruch genommen hat.
Da sind Betriebe, die je nach Branche selbst zugeben, zu wenig attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten und Ausbildungsberufe mit schlechtem Image. Und dann sind da große regionale Unterschiede zwischen Gegenden mit besonders vielen Ausbildungsstellen und anderen mit besonders vielen unversorgten Bewerbern.
Weder das Startchancenprogramm noch die Ausbildungsplatzgarantie allein werden helfen
Klar ist: Bei einem Problem, das sich seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten verschärft, gibt es nicht die eine Lösung. Die bietet weder ist das am 1. August von Bund und Ländern gestartete Startchancen-Programm für benachteiligte Schüler noch die von der Ampel eingeführte löchrige Ausbildungsgarantie, die ebenfalls seit 1. August gilt.
Neue Arbeitsmarkt-Instrumente, mehr Unterstützung für Geflüchtete: alles gut, alles sinnvoll. Was es aber auch braucht: ein anderes Bewusstsein bei den Betrieben.
Anstatt sich zu beschweren, dass angeblich zu viele Jugendliche studierten, sollten sie noch stärker mit den nicht-gymnasialen Schulen zusammenarbeiten und deren Kollegien fragen, wie sie helfen können im Kampf gegen die Bildungsmisere. Mit Schnupperpraktika, Praxistagen und Mentoring.
Und im Zweifel auch jenen Schulabgängern eine Chance geben, die sie früher nie eingestellt hätten. Immer mehr Firmen tun genau das. Sie wissen: Ihr soziales Engagement und ihre wirtschaftliche Zukunft lassen sich nicht länger trennen.
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