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Forscher sind dem Geheimnis des Alterns auf der Spur – und testen, wie sich der Körper verjüngen lässt.

© Shutterstock / Valentina Razumova

Das Geheimnis des Alterns: Wie bleiben wir ewig jung?

Das Wissen über das Altern wächst rapide – und auch wie es aufgehalten werden kann. Was Tiere im Labor länger leben lässt, probieren auch Menschen aus.

Ab dem zwanzigsten Lebensjahr täglich drei rohe Eier schlürfen – war das der Trick, der Emma Martina Luigia Morano-Martinuzzi, geboren am 29. November 1899, bei bester Gesundheit 117 Jahre und 137 Tage alt werden ließ? Oder war es das ruhige, gottesfürchtige und unabhängige Leben ohne Ehemann und Kinder im idyllischen Städtchen Verbania im italienischen Piemont, das für das Rekordalter der Frau gesorgt hatte, die dann doch am 15. April 2017 starb?

Ganz sicher wird man es wohl nie wissen. Denn es gibt zwar viele Ideen, Tricks und Mittelchen, denen nachgesagt wird, den Alterungsprozess zu verzögern oder gar umzukehren. Gemeinsam ist allen aber, dass der Nachweis für die Wirksamkeit bis heute fehlt. Den könnte nur die längste Langzeitstudie aller Zeiten liefern: Tausende von Menschen müssten sich jahrzehntelang zum Eierschlucken verpflichten und ebenso viele zur Kontrolle auf Eier verzichten. Nach etwa einhundert Jahren dürfte dann klar sein, ob rohes Hühnerei das menschliche Leben wirklich verlängern kann.

Die Alternsforschung ist diesbezüglich eher skeptisch. Mangel an vielversprechenden Ansätzen gibt es aber nicht. Denn Wissen über Alterungsprozesse, Reparaturvorgänge am Erbgut und das Wachsen und Sterben von Zellen im alternden Körper hat rasant zugenommen. Und Tests, die bereits das Leben von Würmern, Fliegen und Mäusen verlängert haben, werden hier und da schon am Menschen wiederholt.

So könnte der Jungbrunnen von jenen Forschern entdeckt werden, die daran arbeiten, gealterte Zellen aus dem Körper zu räumen („Zell-Leere“). Andere spritzen Betagten das Blut junger Spender („Junges Blut“). Und es gibt jene, die auf Wirkstoffe schwören, die den Stoffwechsel so regulieren sollen, dass der Körper nicht oder kaum noch altert – etwa der Rotweinbestandteil Resveratrol („Gezügelter Stoffwechsel“).

Wieder andere setzen auf das Reaktivieren der Selbstheilungskräfte des Körpers („Werkstatt wider das Alter“). Der jüngste Hype aber dreht sich um einen Tablettencocktail. Er soll der Körperabwehr, die mit dem Alter rapide nachlässt, zu neuer Kraft verhelfen („Thymus-Kur“). Bei neun freiwilligen Verjüngungskurgästen soll das Experiment in Ansätzen funktioniert haben.

Junges Blut

Es klingt wie aus dem Drehbuch eines drittklassigen Dracula-Films: Jungen Menschen wird Blut abgezapft und alten gespritzt, um die maladen Zellen und Organe wieder zu verjüngen. Die Idee geht auf ein nicht minder gruseliges Experiment des Altersforschers CliveMcCay zurück, der 1956 den Blutkreislauf junger Ratten an ältere Exemplare anschloss – eine sogenannte „Parabiose“. Nach 18 Monaten stellte er fest, dass sich die Knochen der älteren gemessen an Dichte und Gewicht verjüngt hatten. In den 70ern stellte sich dann heraus, dass alte Nager mit solchen Jungbluttransfusionen bis zu fünf Monate länger lebten als Tiere, die keine Parabiose bekommen hatten.

Um die Jahrtausendwende griff die Stammzellforscherin Amy Wagers, heute an der Harvard University, auf dieses Wissen zurück. Sie wollte herausfinden, ob es im Körper Botenstoffe gibt, die den Zellen signalisieren, wie oft sie sich teilen sollen: Häufig, wie in der Jugend, oder weniger häufig, wie im Alter. Sie erinnerte sich an die Parabiose-Experimente und ließ 2008 Blut junger Mäuse durch die Adern alter Tiere fließen.

Tatsächlich beobachtete sie in Muskeln, Gehirn und Leber der alten Tiere eine Zellteilungsaktivität wie bei den jungen. Sogar das zuvor zottige Fell glänzte wieder. Seitdem ist Wagers auf der Suche nach den Jungbrunnen-Botenstoffen im Blut, die den Stammzellen signalisieren, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen und Reparaturprozesse zu reaktivieren.

Einer davon ist Oxytocin, bislang nur als Hormon bekannt, das bei der Geburt die Wehen einleitet und soziale Bindungen fördert. Mit fortschreitender Lebensdauer nimmt der Oxytocin-Gehalt im Blut von Mäusen ab. Bringen die Forscher die Oxytocin-Konzentration wieder auf jugendliche Werte, wachen die Stammzellen in den altersschwachen Muskeln auf und bilden frische Muskelzellen. Ein weiteres Signal ist wohl der Wachstumsfaktor Gdf11, der die Regeneration von Muskeln fördert. Doch es gibt sicher noch viel mehr.

Eine Bluttransfusion könnte die Verjüngung fördern - sie birgt aber auch große Risiken.
Eine Bluttransfusion könnte die Verjüngung fördern - sie birgt aber auch große Risiken.

© picture alliance / dpa

Die Suche der Forscher will die Firma Alkahest im kalifornischen Menlo Park nicht abwarten. Bereits seit 2014 verabreicht sie Alzheimer-Patienten im Alter von über 50 Jahren regelmäßig Blutplasma-Transfusionen von Spendern, die jünger als 30 sind. Der Firmengründer Tony Wyss-Corey, im Hauptberuf Neurologe an der Stanford University, hatte zuvor das Gehirn älterer Mäuse mit Blutplasma junger Mäuse auf Trab gebracht: Es bildeten sich wieder neue Nervenzellen und die Lern- und Gedächtnisleistung verbesserte sich. Eine zweite „Studie“ hat die ebenfalls kalifornische Firma Ambrosia begonnen. Freiwillige dürfen sich gegen eine Gebühr von nur 8000 US-Dollar als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen und bekommen dann das Blut von 16- bis 25-Jährigen übertragen.

Ob junges Blut das Leben von Menschen verlängern kann, wird keine dieser Testreihen beweisen können. „Das ist weit weg von solider Wissenschaft“, sagt Max-Planck-Forscher Denzel. „Momentan ist das Risiko höher als der Nutzen.“

Denn es gibt Gründe, warum der Körper seine Stammzellen und damit seine Reparaturfähigkeit mit zunehmendem Alter bremst: um der Entstehung von Krebs entgegenzuwirken. Daher ist es mindestens waghalsig, sich große Mengen fremden Blutes verabreichen zu lassen, solange Forscher nicht verstehen, welche Stoffe darin in welcher Kombination und Konzentration und mit welchen Nebenwirkungen verantwortlich sind für den bei Mäusen, nicht aber Menschen nachgewiesenen Verjüngungseffekt.

Die US-Zulassungsbehörde warnte Anfang des Jahres sogar ausdrücklich vor diesen Blutplasmainfusionen: Sie hätten „keine bewiesene klinische Wirkung“ und seien riskant. Ohnehin dürfte Blutplasma als flächendeckender Jungbrunnen nicht praktikabel sein. Schon für Operationen reicht das Spenderblut kaum aus.

Die Thymus-Kur

Mittelalte Männer nehmen eine besondere Mixtur ein und fühlen sich plötzlich wieder fit, einem wachsen sogar längst ergraute Haare braun nach – was nach einem Jahrmarktwunder klingt, ist laut Gregory Fahy, Forschungschef beim kalifornischen Unternehmen „Intervene Immune“, gerade wirklich so geschehen: Man habe die biologische Uhr zurückgedreht.

Im Rahmen der „TRIM“-Studie verabreichten die Forscher neun gesunden Männern zwischen 50 und 65 Jahren über zwölf Monate das Wachstumshormon hGH in Kombination mit dem testosteronähnlichen DHEA und dem Diabetesmedikament Metformin. Die Verjüngung machten sie an drei Kriterien fest: der Zusammensetzung der Abwehrzellen im Blut, einer DNA-Uhr (siehe Seite 5) und dem Wachstum des Thymus, einer Drüse hinter dem Brustbein, von der sie Kernspinaufnahmen anfertigten. Der Thymus ist vor allem in Kindheit und Jugend dafür zuständig, das Abwehrsystem des Körpers auszubilden. Dort reifen Immunzellen (T-Zellen) heran. „Das Immunsystem über den Thymus zu stimulieren ist ein Ansatz, der gegen das Altern helfen könnte“, sagt Martin Denzel, Alternsforscher am Max-Planck-Institut Köln.

Bei den untersuchten Männern habe sich das Organ nach zwölf Monaten regeneriert, sagt Forschungsleiter Fahy. Die Blutzusammensetzung entspreche nun der junger Menschen. Und auf der DNA-Uhr seien die Probanden im Schnitt zweieinhalb Jahre jünger geworden. Die Ergebnisse sind bislang noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden.

Alternsforscher Denzel hält die Studie für „eine aufregende Angelegenheit“. Man dürfe die Ergebnisse aber nicht überinterpretieren. Neun Männer seien sehr wenig, zudem fehle eine Kontrollgruppe. Auch der Wirkstoff hGH sei umstritten. Manche Sportler nähmen das Hormon, um sich zu dopen. „Natürlich hilft das erstmal, um fitter und stärker zu werden“, sagt Denzel. Bisherige Untersuchungen an Tieren hätten aber gezeigt, dass eher die länger leben, die wenig Wachstumshormon haben. Sollte das beim Menschen auch so sein, könnte man durch zusätzliche Hormongaben seine „Ressourcen verschießen, dann hat man langfristig nichts gewonnen“.

Verzicht verjüngt: Unter strenger Diät gewinnen Versuchstiere etwa ein Viertel Lebenszeit hinzu.
Verzicht verjüngt: Unter strenger Diät gewinnen Versuchstiere etwa ein Viertel Lebenszeit hinzu.

© mauritius images / Westend61

Zügel für den Stoffwechsel

Entweder gibt es Futter im Überfluss und beste Voraussetzungen, die Nachkommen durchzubringen. Oder es reicht kaum zum eigenen Überleben, geschweige denn für die Brut. Lebewesen auf solche Extreme einzustellen, das ist wohl schon seit Milliarden Jahren die Aufgabe von „mTOR“. Dieses Molekül kurbelt bei Hefezellen genauso wie bei Fliegen, Würmern, Mäusen und Menschen den Stoffwechsel an, wenn die Umweltbedingungen günstig sind. Herrscht Mangel, verordnet es eine Fastenkur – die als „Nebenwirkung“ zu einer gewissen Lebensverlängerung führt.

Dieselbe Wirkung erreicht auch ein Medikament namens Rapamycin, dessen Wirkstoff ursprünglich aus einem Bodenbakterium von der Osterinsel Rapa Nui stammt. Rapamycin blockiert mTOR, stellt den Stoffwechsel also auf „Fasten“ – und verlängert nebenbei das Leben vieler Versuchstiere um rund 25 Prozent.

Ob es auch das Leben von Menschen verlängern kann, das weiß auch für diesen Stoff bislang noch niemand. Hoffnung stiften Experimente mit Zellen von Patienten mit Progerie. Bei dieser seltenen Erbkrankheit zeigen Kinder bereits mit zwei Jahren deutliche Alterserscheinungen und sterben meist im Teenageralter. mTOR ist in den rasant alternden Zellen dieser Kinder überaktiv. Verabreicht man Rapamycin, hemmt also mTOR, verzögert sich der Alterungsprozess. Und bei Progerie-kranken Mäusen stoppt Rapamycin sogar den mit der Krankheit einhergehenden Muskel- und Nervenschwund auf.

Doch den Stoff an Menschen zu testen, ist riskant: zu viele Nebenwirkungen, etwa ein stark erhöhtes Infektionsrisiko. In einer Studie mit 18 Patienten infizierten sich zwei so schwer, dass einer starb. Eine Alternative könnte das seit Jahrzehnten zugelassene, millionenfach verschriebene Diabetesmedikament Metformin sein. Von 78 000 Diabetikern lebten jene im Durchschnitt 18 Prozent länger, die Metformin genommen hatten. Die nicht-kommerzielle „American Federation for Aging Research“, ein Zusammenschluss von Altersforschern, testet Metformin derzeit bei 3000 Menschen im Alter von 70 bis 80 Jahren fünf bis sieben Jahre lang.

Die Zell-Leere

Es liegt scheinbar auf der Hand, dass derjenige dem Tode näher rückt und altert, dessen Zellen allmählich absterben. Doch der Tod von Zellen bereitet einem gesunden Organismus normalerweise gar keine Schwierigkeiten, im Gegenteil: spezielle Selbstmordprogramme treiben defekte oder infizierte Zellen sogar absichtlich in den Tod – um aus Stammzellen gesunden Nachschub zu schicken. Das Problem sind vielmehr solche Zellen, die weder wirklich lebendig, noch tot sind.

Diese „untoten“, „seneszent“ genannten Zellen nehmen mit dem Alter Überhand, senden falsche Signale ans Immunsystem, so dass es zu falschen Entzündungsreaktionen kommt. Daher sind sie das Ziel einer ganzen Reihe von Strategien, mit denen Forscher den Menschen dem Jungbrunnen ein Stück näher bringen wollen.

An der Erasmus Universität in den Niederlanden versucht etwa Peter de Keizer seneszente Zellen von natürlich und künstlich beschleunigt alternden Mäusen mit Infusionen eines bestimmten Peptids, eines kurzen Eiweißstoffes, zu zerstören.

Tatsächlich bekamen die Tiere wieder ein jugendlich glattes Fell, verloren ihre altersbedingte Gebrechlichkeit, rannten bald doppelt so weit wie Vergleichsmäuse, die die Therapie nicht bekommen hatten und bekamen auch ihre jugendliche Nierenfunktion zurück. Offenbar hemmt das Peptid ein Molekül (Foxo4), das fast ausschließlich in den Zombie-Zellen zu finden ist, wo es den Schalter für das Selbstmordprogramm blockiert. Keizers Peptid löst die Bremse, die Halbtoten dürfen abtreten und Platz für neue, junge Zellen machen.

Werkstatt wider das Altern

Zellen haben’s nicht leicht. Schon ein simples Sonnenbad verursacht Schäden in ihrem Erbgut. Allerdings schlagen sich Lebewesen schon seit ewigen Zeiten mit solchen Widrigkeiten herum und haben Reparaturmechanismen entwickelt. Doch deren Effektivität schwindet mit dem Alter. Das liegt daran, dass bei älteren Mäusen und wohl auch Menschen die Menge der Substanz NAD+ in den Zellen nachlässt. Tröpfelt man dieses Nicotin-Amid-Dinucleotid ins Trinkwasser von betagten Mäusen, dann verbessert sich die Reparaturfunktion der Zellen binnen Wochen.

Und womöglich verlängert sich auch deren Lebensspanne. Denn NAD+ arbeitet eng mit einem Protein zusammen: Sirtuin. Die Rolle dieses Eiweißes ist noch nicht ganz klar. Aber werden Mäuse, Würmer oder Fliegen auf eine strenge Diät („Kalorienrestriktion“) gesetzt, erhöht sich der Sirtuin-Gehalt in ihren Zellen und sie leben um bis zu 50 Prozent länger.

Firmen wie L-Nutra in Los Angeles versuchen daraus bereits Kapital zu schlagen: Sie verkaufen maßgeschneiderte Fast-Null-Diäten für wöchentlich rund 300 US-Dollar an Jungbrunnen-Gläubige. Die Forschung sucht hingegen nach Stoffen, die dem Körper die lebensverlängernde Hungerkur nur vorgaukeln, indem sie das menschliche Sirtuin oder NAD+ beeinflussen.

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