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Fester Stamm: Wie geht’s dem Wald?

Er bedeckt rund 30 Prozent der Fläche Deutschlands. Ökologisch ist er wichtig – aber auch ökonomisch. Ein mystischer Ort, den sogar Kinder lieben. Die Vereinten Nationen widmen ihm das Jahr 2011. Wie geht’s dem Wald?

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2011 zum „Jahr der Wälder“ erklärt. Weltweit geht es dabei vor allem um die Erhaltung der tropischen Regenwälder. Der letzte Urwald Deutschlands ist recht überschaubar. Er beschränkt sich auf einen Felsen oberhalb der Edersee-Schleife im Nationalpark Kellerwald-Edersee in Nordhessen. Die ältesten Buchen an diesem Hang haben mit 260 Jahren ein geradezu biblisches Alter erreicht. Daneben stehen Eichen, Linden und abgestorbene Ulmen. Der Beweis dafür, dass dieser Felswald nie genutzt worden ist, wird vom Eremitenkäfer und dem veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfer erbracht. Diese Arten gibt es nur in „urwaldähnlichen Wäldern“, sagt der frühere Leiter des Nationalparks, Peter Gaffert. Warum dieser Wald nie genutzt worden ist, erklärt sich von selbst: Er konnte einfach nicht geschlagen werden.

Wie wichtig ist der Wald?

Heute sind 31 Prozent der Fläche Deutschlands (11,1 Millionen Hektar) mit Wald bedeckt. Wäre das noch ein Wald, wie er sich nach der Eiszeit ausgebildet hat, wäre ein Großteil davon ein Buchen- und Eichenwald. Tatsächlich liegt jedoch die Fichte vorn, ihr Anteil liegt bei 26 Prozent aller Bäume. Und die Fichten sind noch dazu oft mehr oder weniger gleich alt und bilden reine „Fichtensteppen“, wie das der Forstprofessor Michael Köhl vom Hamburger Klima-Campus ausdrückt. Der Grund: Schon im Nationalsozialismus während der Kriegswirtschaft und direkt danach sind die Wälder ziemlich großflächig abgeholzt worden. Nach dem Krieg dienten die Bäume vor allem Frankreich als Reparationszahlungen. Der Wiederaufbau der Wälder ist dann mit schnell wachsenden Fichten, die bald Profite versprachen, in Angriff genommen worden.

Die deutsche Waldwirtschaft bezeichnet sich selbst gern als „multifunktional“. Und tatsächlich dient der Wald vielen Zwecken. Er hat zum einen eine ökonomische Bedeutung. Rund 60 Millionen Festmeter Holz werden im Schnitt im Jahr geschlagen und vermarktet. Nach Angaben des Bundesagrarministeriums arbeiten rund 75 000 Menschen hauptberuflich in der Forstwirtschaft, und weitere 100 000 betreiben die Waldwirtschaft als Nebenerwerb. So bessern sich viele Bauern ihre Einkommen auf. Einschließlich der holzverarbeitenden Industrien beschäftigt der Wald also rund 1,3 Millionen Menschen. Zudem wird Holz als Energieträger eingesetzt, in Holzhackschnitzel-Anlagen zur Erzeugung von Strom und Wärme. Vor allem aber zum Heizen von Kaminen oder immer häufiger für Holzpelletheizungen in Wohnhäusern. Der Anteil von Holz am Primärenergieverbrauch liegt bei etwa zwei Prozent.

Die Wälder in Deutschland sind aber auch bedeutsame Ökosysteme. Sie bieten nicht nur vielen seltenen oder bedrohten Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Sie filtern die Luft und produzieren Sauerstoff. Zudem sind Wälder Trinkwasserspeicher. Und die Waldböden filtern Schadstoffe, so dass zumindest nicht alles ins Grundwasser geschwemmt wird. Darüber hinaus bilden Bergwälder in den Alpen, aber auch den Mittelgebirgen Schutz vor Lawinen und Erdrutschen. Wälder sind außerdem Kohlenstoffspeicher. Sie binden Kohlendioxid (CO2) und entlasten damit die Atmosphäre von Treibhausgasen. Die Kohlenstoffvorräte im deutschen Wald werden auf rund 2,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff geschätzt. Jedes Jahr nehmen die deutschen Wälder rund 22 Millionen Tonnen Kohlenstoff, das entspricht 80 Millionen Tonnen CO2, auf.

Zudem sind Wälder die wichtigsten Naherholungsgebiete für viele Städter. Ein gutes Drittel der Bevölkerung sieht in Umfragen im Wald „ein Stück Lebensqualität“. Die häufigsten Aktivitäten im Wald sind spazieren gehen, Hunde ausführen, und mit einigem Abstand das Sammeln von Kräutern, Beeren oder Pilzen. Außerdem gibt es nach Angaben des Bundesagrarministeriums inzwischen rund 800 Waldkindergärten. Relativ neu ist der Trend, dass sich Menschen in verrottbaren Urnen am Fuße eines Baumes begraben lassen. Rund 50 sogenannte Bestattungswälder gibt es inzwischen in Deutschland. Damit erfüllt der Wald auch noch eine Funktion: als mystischer Sehnsuchtsort und Geheimnisträger.

Um das Thema Waldsterben ist es ruhig geworden. Zu Recht?

Eigentlich gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Nach wie vor sind 64 Prozent der Bäume in Deutschland krank. Sie weisen zu einem knappen Drittel eine „deutliche Kronenverlichtung“ auf, was nichts anderes bedeutet, als dass sie viel weniger Blätter oder Nadeln tragen als gesunde Bäume. Gerade mal 36 Prozent der Bäume waren bei der Waldschadenserhebung 2009 noch gesund. Als das Waldsterben Anfang der achtziger Jahre erstmals wahrgenommen worden ist, waren immerhin noch 44 Prozent der Bäume gesund. Das war 1984, als der Waldzustand zum ersten Mal umfassend erhoben wurde. Dabei unterscheiden sich die Werte regional zwar im Detail, der Trend ist aber bundesweit ähnlich. Besonders schlecht geht es den Eichen, Buchen und Fichten, den drei häufigsten Bäumen im Wald. Und das, obwohl es Erfolge gab. Vor allem der Anteil an Schwefeldioxid, dem hauptverantwortlichen Schadstoff für den „sauren Regen“, ist seit den 80er Jahren dramatisch gesunken. Allerdings ist die Luft noch immer mit Stickoxiden belastet, einem der Ausgangsstoffe für bodennahes Ozon, das im Sommer gebildet wird. Und auch das Ozon schädigt die Bäume.

Spätestens seit den Stürmen Wiebke und Vivian Anfang der 90er Jahre, als hunderte Hektar Wald einfach flach gelegt wurden, begann in den Forstbehörden und bei den Privatwaldbesitzern eine Debatte darüber, wie die Wälder weniger anfällig für Sturmschäden gemacht werden könnten. Der Weihnachtssturm Lothar, der 1999 am zweiten Feiertag über Frankreich und Süddeutschland tobte, hat dort ganze Fichtenplantagen umgeknickt. In Nordrhein-Westfalen und Teilen Norddeutschlands hat 2007 der Orkan Kyrill große Schneisen in die Wälder geschlagen. Inzwischen versuchen die Forstwirte ihre Wälder so umzubauen, dass in einigen Jahrzehnten gesündere Mischwälder aus Laub- und Nadelbäume entstehen. Das allerdings ist ein schwieriger Job. Und eine der Ursachen dafür liegt nach Einschätzung der Forstverbände bei den Jägern. Die schießen zu wenig Wild, weshalb die Bundeswaldinventur 2004 ergeben hat, dass ein Fünftel aller Bäumchen von Rehen angeknabbert worden ist. „Das sind Größenordnungen, die die Biodiversität der Wälder, ihre Kohlenstoffspeicher- und Schutzfunktion gefährden“, sagt die Chefin des Bundesamts für Naturschutz, Beate Jessel. Der hohe Verbiss führe dazu, „dass der mit Millionenbeträgen vom Staat geforderte Aufbau naturnaher Laubmischwälder großflächig verhindert und oftmals unmöglich gemacht“ werde, kritisierte Jessel, als sie im Sommer mit dem Deutschen Forstwirtschaftsrat (DFWR) und der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) gemeinsam ein Gutachten zum Wild-Wald- Konflikt vorstellte. Gemeinsam forderten Jessel, der DFWR-Vorsitzende Georg Schirmbeck und der ANW-Vorsitzende Hans von Goltz, dass die Jäger dem Grundsatz „Wald vor Wild“, der im Übrigen rechtlich auch so vorgesehen sei, in Zukunft folgen sollten. Bei der Jägerlobby, die seit Jahren erfolgreich eine Reform des Jagdrechts verhindert, ist das Gutachten nicht allzu gut angekommen.

Der Klimawandel wird den Wäldern zusetzen, da sind sich die meisten Experten einig. Nach dem Jahrhundertsommer 2003 sah es um den Wald besonders schlecht aus, weil die Bäume Trockenstress und dem Appetit vieler Schädlinge ausgesetzt waren. Damit rechnen die Forstfachleute in Zukunft häufiger und hoffen, dass der Umbau zu naturnahen Laubmischwäldern dazu führen wird, dass die Wälder auch der globalen Erwärmung besser gewachsen sind. Der Hamburger Forstprofessor Michael Köhl sagt allerdings: „Die Bewirtschaftung hat größeren Einfluss auf den Zustand der Wälder als der Klimawandel.“ Er rechnet damit, dass die Naturwälder, also die, die aus der Bewirtschaftung herausgenommen worden sind, unter dem Klimawandel stärker leiden werden. Das ist allerdings kein überraschender Befund, denn je älter die Bäume werden, desto kränker werden sie. Das zeigen auch die Waldschadensberichte. Zudem sind viele Wälder, die der „Wildnis der Zukunft“ überlassen werden sollen, eben tatsächlich Fichtenplantagen, die womöglich auch noch nicht standortgerecht angelegt worden sind. Köhl rät den Waldbesitzern jedenfalls, die bewirtschafteten Wälder als produktive Mischbestände anzulegen.

Wer lebt vom Wald?

Der deutsche Wald wächst jedes Jahr um etwa zehn Kubikmeter pro Hektar. Geerntet werden im Schnitt jedes Jahr etwa 60 Millionen Kubikmeter. Der Holzbedarf in Deutschland ist von 2002 bis 2007 stetig gestiegen. Aber es wurde auch viel Holz exportiert, vor allem nach China, Malaysia und Russland. In den vergangenen Jahren sind viele kleinere Sägewerke entweder pleitegegangen oder haben sich mit anderen zu größeren Einheiten zusammengetan. Sonst wären sie auf dem globalisierten Markt kaum mehr wettbewerbsfähig gewesen. Der Gesamtumsatz des Sektors liegt bei rund 168 Milliarden Euro.

Der größte Teil des Waldes in Deutschland ist in Privatbesitz, 44 Prozent. Es gibt zwei Millionen Waldbesitzer. Der Rest der Wälder ist entweder Staatswald, also in Landesbesitz, oder Körperschaftswald, vor allem im Besitz von Städten und Gemeinden. Die meisten Privatwaldbesitzer haben ihren Forst geerbt. Genau das hält der Chef der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände für die Basis der Waldwirtschaft. In einem Interview kurz nach seinem Amtsantritt bedauerte Philipp Freiherr zu Guttenberg, der Bruder des Verteidigungsministers, dass die „nachhaltige Forstwirtschaft und die Bedeutung von Eigentum in der Gesellschaft kaum Beachtung“ fänden.

Der ökonomische Druck auf die Wälder wird steigen. Das ist das Ergebnis einer Expertenbefragung im Rahmen des Forschungsprojekts „Zukünfte und Visionen Wald 2100“, die die Universität Freiburg vor zwei Jahren vorlegte. Denn die Nachfrage nach Holz steigt weltweit. Immer häufiger beteiligen sich Investoren am Geschäft, indem sie kleinen Privatwaldbesitzern ihre Flächen abkaufen. Wenn Holz in Zukunft stärker als Rohstoff für die Energieerzeugung genutzt werden soll, dürften auf bisherigen Äckern mehr Kurzumtriebsplantagen angelegt werden. Doch auch auf Flächen, die nach Stürmen kahl sind, könnten solche schnell wachsenden Bäume, die auch schnell wieder geschlagen werden, bald öfter angelegt werden.

Worüber gibt es Streit beim Wald?

Gestritten wird beim Wald vor allem über die Frage, wie ökologisch die Bewirtschaftung sein soll. Mit der deutschen Biodiversitätsstrategie hat die Bundesregierung beschlossen, dass fünf Prozent der deutschen Waldfläche wieder zur Wildnis werden sollen. Damit kann sich zu Guttenberg nicht abfinden: „Eine weitere Stilllegung von Waldflächen lehne ich ab.“ Den Umweltverbänden dagegen geht das noch lange nicht weit genug. Sie wünschen sich eine flächendeckende Wirtschaftsweise, die der Funktion der Wälder als Lebensräumen mehr Beachtung gibt.

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