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Lernen im Netz. In Deutschland werden Laptopklassen zwar gefördert, aber im internationalen Vergleich ist die IT-Ausstattung in Schulen eher mäßig.

© picture alliance / ZB

ICILS-Studie zu IT-Kompetenzen von Schülern: Wie gut sind die "Digital Natives"?

„Digital Natives“ oder Anfänger? Die neue internationale ICILS-Studie testet, wie Schüler im Internetzeitalter zurechtkommen. Bisher tun sich Schulen in Deutschland mit der Vermittlung von Computerkompetenzen eher schwer.

Geht es um den Umgang mit neuen Medien, scheint die Gesellschaft zweigeteilt. Auf der einen Seite die „Digital Natives“: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die so selbstverständlich ihre Smartphones bedienen, als seien sie ihnen als Handfortsatz angeboren. Geschickt wischen bereits Kleinkinder durch Handy-Fotos, stundenlang chatten schon Grundschülerinnen und Grundschüler hin und her. Auf der anderen Seite stehen Eltern und Großeltern, die sich jede technische Neuerung mal mehr, mal weniger mühsam aneignen müssen.

Können "Digital Natives" besser recherchieren?

Doch stimmt dieses Bild wirklich? Sind die Fertigkeiten der digital Eingeborenen so erstaunlich, wie viele Ältere denken? Dieser Frage geht die neue Schulstudie „International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS) nach, deren Ergebnisse am Donnerstag veröffentlicht werden. Weltweit wurde untersucht, wie gut Achtklässler für das digitale Zeitalter vorbereitet sind.

Dabei geht es weniger darum, wie behände Schülerinnen und Schüler auf Instagram Bilder hochladen oder sich WhatsApp-Nachrichten schicken. Können sie vielmehr digitale Techniken nutzen, um Informationen zu recherchieren, diese zu verarbeiten und anschaulich aufzubereiten? Ordnen sie gefundene Informationen ein, unterscheiden sie Relevantes von weniger Wichtigem oder gar Gefälschtem? Das seien die „Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert“, sagt der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Wilfried Bos: „Sie sind nötig, um heutzutage adäquat und kritisch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“ Zum ersten Mal würden diese fächerübergreifenden Kompetenzen weltweit gemessen; der Ansatz sei ähnlich wie bei der Pisa-Studie. Bos leitet ICILS in Deutschland mit der Paderborner Schulforscherin Birgit Eickelmann.

Dass Smartphones, Tablets und Computer den Alltag von Kindern und Jugendlichen prägen, steht außer Frage. In Deutschland verfügt jeder Haushalt mit Kindern über Internetzugang und Laptop oder Computer, wie aus der „Jim-Studie“ des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest hervorgeht, der jährlich den Medienkonsum von Jugendlichen untersucht. 96 Prozent der Jugendlichen besitzen ein eigenes Mobiltelefon, 88 Prozent können von ihrem Zimmer aus online gehen. Bisherige Studien weisen jedoch darauf hin, dass der alltägliche Umgang mit Computern und mobilen Endgeräten nicht automatisch zu umfassenden Medienkompetenzen führt.

Passiver Konsum statt Wissen

So stellt der britische Erziehungswissenschaftler Neil Selwyn, Autor zahlreicher Expertisen zur Computer Literacy, zum Internet-Gebrauch von Jugendlichen fest: „Wenn überhaupt, kann man von einem passiven Konsum von Wissen sprechen. Aktiv Inhalte selber zu kreieren, schaffen die wenigsten“. Der Begriff „Digital Natives“ sei ein „Mythos“.

Von einer „monolithischen Gruppe“ könne nicht die Rede sein, zitiert das von Australiern geführte internationale ICILS-Konsortium eine andere Studie. Das liege auch daran, dass viele Kinder und Jugendliche digitale Fertigkeiten weniger systematisch von medienpädagogisch geschulten Lehrkräften lernen, umso mehr dagegen von Freunden. Sprich: Vieles bleibt dem Zufall überlassen. All das deutet darauf hin, dass die ICILS-Ergebnisse den „Digital Natives“ womöglich Nachhilfe nahelegen werden.

IT-Ausstattung der Schulen extrem unterschiedlich

Geht es um die IT-Ausstattung von Schulen, ist international eine enorme Spreizung festzustellen. In Norwegen ist es praktisch die Regel, dass jeder Schüler einen Laptop gestellt bekommt. Länder wie Argentinien oder Brasilien wollen diesem Beispiel folgen. In Deutschland kann davon nicht die Rede sein. „Mittelalterlich“ nannte die Lehrergewerkschaft VBE unlängst die IT-Ausstattung. Die Gewerkschaft bezog sich auf eine Umfrage, nach der 87 Prozent der Lehrer sagten, ihre Schule verfüge überhaupt nicht über Tablet-Computer oder ähnliche Geräte. Einen offiziellen Überblick, wie viele Klassen in Deutschland mit Computern ausgestattet sind, gibt es laut Kultusministerkonferenz nicht. In Berlin – das 2005 den Masterplan „eEducation“ verabschiedet hat, um den Einsatz von IT-Technik und entsprechenden Lehrkonzepten an Schulen voranzutreiben – teilen sich nach Senatsangaben derzeit im Schnitt rund sechs Schüler einen PC. 2005 waren es noch fast 12. Im kommenden Jahr sollen gut 70 Prozent der Schulen ein „Whiteboard“ haben, also eine elektronische Tafel.

Internet-Seepferdchen für Grundschüler

Manchmal hilft allerdings die beste Ausstattung nicht weiter – wenn etwa kaum eine Lehrkraft die Whiteboards bedienen kann. Einen souveränen Einsatz von Computern im Unterricht trauen sich deutsche Lehrkräfte auf jeden Fall im europäischen Vergleich eher seltener zu. Das zeigte die Mathematik-Grundschulstudie Timss aus dem Jahr 2011.

„Hierzulande ist viel Luft nach oben“, sagt Uwe Sander, Professor für Medienpädagogik an der Universität Bielefeld. Zwar sind die Zeiten vorbei, als bereits ein Computerraum für jede Schule als fortschrittlich galt. Inzwischen werden mit öffentlicher wie privater Unterstützung durchaus Laptop- und Tabletklassen gefördert. Die Initiative „Schulen ans Netz“ stieß zahlreiche Programme zur Nutzung neuer Medien an. Es gibt Vorhaben wie das Berliner „Internet-Seepferdchen“ für Grundschüler, die dabei Grundlagen für das Verhalten im Netz lernen sollen.

Und genauso wie der digitale Wandel alle Lebenslagen durchdringt, hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Vermittlung von Computerkompetenzen in jedes Fach gehört und nicht in einen gesonderten Informatik-Unterricht. Doch ein systematischer Zugang zu medienpädagogischen Konzepten fehlt Schulen oft: Von einem „Wildwuchs“ der Initiativen spricht Sander. „Vieles müsste vereinheitlicht werden, wenn man Wirkung erzielen will.“ Es sei eine Kernaufgabe der Schule, Kindern den verantwortungsvollen und reflektierten Umgang mit den neuen Medien beizubringen.

Engagement der Schulen schwankt

Verpflichtend ist für Schulen derzeit allerdings noch wenig. In der Lehrerbildung an den Universitäten bleiben medienpädagogische Inhalte meistens fakultativ, obwohl sie stark nachgefragt würden, sagt Sander. Die KMK hat zur Medienbildung zwar Empfehlungen verabschiedet. Wie sich diese in den Lehrplänen niederschlagen und ob sie überhaupt an Schulen umgesetzt werden, ist von Bundesland zu Bundesland aber unterschiedlich. Heike Schaumburg, Medienpädagogin an der Humboldt-Universität, kritisiert: „Das hängt noch immer viel zu stark vom Engagement einzelner Schulen oder gar einzelner Lehrer ab.“

Beispiele für den sinnvollen Einsatz von digitalen Medien gibt es genug. Für den Mathematik-Unterricht der Mittelstufe etwa könnten Schüler ein Geometrie-Programm nutzen, dass das Zeichnen geometrischer Formen am Computer ermögliche, sagt Schaumburg. Ausgefallene Lernsoftware sei zudem oft gar nicht nötig. Mit der Tabellenkalkulationssoftware Excel ließen sich komplexe Zinsberechnungen realisieren, die mit Heft und Stift nicht darstellbar seien. Das Textverarbeitungsprogramm Word ermögliche im Deutschunterricht intensivere Schreibprozesse. „Texte zu überdenken, anders zu formulieren oder neu zu schreiben, geht am Computer nun mal viel einfacher.“

Ist es gerade der rasante Fortschritt der Informationstechnologien, der Schulen hemmt – weil sie nicht hinterherkommen können? Nein, sagt Uwe Sander. Ganz im Gegenteil: Schüler und junge Lehrer seien in der Lage, alle gängigen Programme auf technischen Geräten zu bedienen oder sich ihnen fremde Programme schnell autonom anzueignen. Das sei die beste Voraussetzung, tief in die richtige pädagogische Arbeit einzusteigen.

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