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Ein kleines Mächen mit Puppe im Arm steht neben einem Mann, der in die Hocke gegangen ist. Rechts neben ihm sitzt ein Schäferhund.

© Tsp/aus dem Buch

Ein Berliner Zeitzeuginnen-Bericht: Wie Rhea gerettet wurde

In ihrem Erinnerungsbuch „Das Kind im Park“ erzählen Rhea und Ruth Schönborn eine bewegende Berliner Überlebensgeschichte im Holocaust. Eine Rezension.

Ein Mädchen steht in Kleid und Mantel, weißen Strumpfhosen und Lackschuhen in Berlin-Johannisthal in einem Kleingarten. Reni, eine Dreijährige im winterlichen Sonntagsstaat der 1940er Jahre. Ihre Puppe drückt sie fest an sich. Nicht in die Kamera geht ihr Blick, sondern in eine unbestimmte Ferne.

Derselbe Blick in einem zweiten Bild, als neben ihr der Mann hockt, den sie Vati nennt. Ein eigensinniges Kind, das sich dem obligatorischen Lächeln verweigert? Vielleicht.

Doch Reni beschreibt sich noch Jahrzehnte später als ruhiges Kind, das sich stundenlang allein in der kleinen Wohnung von Gertrude und Alfred Jucksch beschäftigen kann, während die Mutter sich um den Haushalt kümmert und der Vater als Autoschlosser arbeitet. Die beiden sind seit 1943 Renis Adoptiveltern, doch das erfährt sie erst 1945 – ebenso wie ihren richtigen Namen Rhea.

Eingeübt hat sie das ruhige Spiel allein in der Wohnung ihrer leiblichen Mutter, die als Jüdin zur Zwangsarbeit verpflichtet war.

Als "Findelkind" vor der Deportation gerettet

Rhea und ihre Schwester Ruth haben ihre traumatische Familiengeschichte im Stil einer Doku-Fiktion rekonstruiert und unlängst im Berliner rainStein-Verlag für Erinnerungskultur veröffentlicht. „Das Kind im Park“ ist ein berührender Zeitzeuginnenbericht, der uns hineinwachsen lässt in eine „Geschichte von Überleben und Verlust“ – so der Untertitel –, als ob uns die kleine Rhea/Reni als Lotsin an die Hand nimmt.

Auf dem Buchcover ist das Foto eines kleinen Mädchens mit Puppe zu sehen.
Cover des Buchs "Das Kind im Park" von Rhea und Ruth Schönborn, erschienen im Verlag rainStein.

© Tsp

„Sie schlief auf der gut gepolsterten ,Besucherritze’, und es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie kein eigenes Bett hatte.“ Das ist einer der Sätze aus dem Erleben des Kindes, die dieses Buch so fesselnd machen.

Der Legende nach war Reni ein Findelkind, das ein mit den Jucksch’ befreundeter Polizist im Park vor ihrem Haus in Johannisthal entdeckte. In Wahrheit retteten Trude und Alfred die kleine Rhea vor der sicheren Deportation mit ihrer Mutter Hedwig (Heti) Schönborn. Deren Mutter und Schwester mit Familie waren bereits nach Theresienstadt und Auschwitz verschleppt worden.

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Rheas Vater Johannes Moenck, ein Musiker mit verschiedenen Brotberufen und engagierter Gegner der Nazi-Diktatur, hatte den Rettungsplan mit dem kinderlosen Ehepaar ersonnen. Es gelang ihm auch, Rheas Mutter Heti als angeblich Ausgebombte bei einer Familie in Thüringen unterzubringen.

[Lesen Sie auch diesen Bericht über Rahel Mann, die überlebte, weil eine Berliner Hauswartsfrau sie versteckte: "Uns kriegt ihr nicht: Als Kinder versteckt - jüdische Überlebende erzählen"]

Das Schweigen der überlebenden Mutter

Der Neuanfang nach 1945 scheint zu gelingen, als Trude und Alfred ihre Reni schweren Herzens wieder hergeben, sie mit Vater und Mutter in Bad Berka erstmals unter einem Dach leben kann, die kleine Schwester Ruth geboren wird. Doch Heti leidet zeitlebens schwer unter dem Verlust ihrer engsten Angehörigen im Holocaust.

Trotzdem gelingt es ihr, eine neue Existenz als Kindergärtnerin aufzubauen. Johannes Moenck verlässt sie und die beiden Töchter alsbald, gründet eine neue Familie. Rhea und Ruth Schönborn haben das Schweigen, das viele Episoden ihrer frühen Jahre verborgen hielt, gebrochen – mit einer Familienchronik, die persönliches Erleben, Archivrecherchen und historische Hintergründe zu einem höchst lesenswerten Buch verbindet.

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