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Bei den „Southern Residents“ bleibt der Nachwuchs lebenslang in der Gruppe.

© David K. Ellifrit/Center for Whale Research/NMFS 21238

Wildwechsel: Killerwal und Muttersöhnchen

Sie sind Spitzenräuber der Meere, greifen sogar Großwale und Weiße Haie an. Orca-Männchen hält das aber nicht davon ab, sich länger als gut ist bei Muttern durchzufuttern.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Es gibt viele und vor allem individuelle Gründe dafür, dass manche Menschen (Homo sapiens) lange im Elternhaus leben. Die Miete für die ersten eigenen vier Wände wäre hoch – wenn man überhaupt eine geeignete Wohnung findet. Aber diese Gründe gelten für Söhne und Töchter gleichermaßen. Dennoch ziehen junge Frauen in Deutschland im Schnitt früher zuhause aus als junge Männer, mit 23 statt fast 25 Jahren.

Nun mehren sich Hinweise aus dem Tierreich, dass es im Hotel Mama auch einfach zu gemütlich ist. Warum eigener Wege gehen, wenn die Mutter mundgerechte Happen serviert, die so gut schmecken? Bei einer Population von Schwertwalen (Orcinus orca) geht die Anhänglichkeit der jungen Bullen jedoch bedrohlich weit – oder die Fürsorgebereitschaft der Mütter, oder beides. Die Familienbande sind so eng geknüpft, dass es schon auf Kosten des Fortpflanzungserfolges geht, berichtet ein Forschungsteam von den britischen Universitäten Exeter, York und Cambridge sowie dem Center for Whale Research an der US-amerikanischen Pazifikküste im Fachmagazin „Current Biology“.

Wenn mit zwölf bis fünfzehn Jahren die Finne der jungen Bullen wächst, kommen sie in die Flegeljahre.
Wenn mit zwölf bis fünfzehn Jahren die Finne der jungen Bullen wächst, kommen sie in die Flegeljahre.

© David K. Ellifrit/Center for Whale Research/NMFS 21238

„Unsere bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass Bullen bessere Überlebenschancen haben, wenn sie bei ihrer Mutter bleiben“, sagt Michael Weiss von der Universität Exeter. Um herauszufinden mit welchem Aufwand das für die Muttertiere verbunden ist, hat das Team Daten von 40 weiblichen Orcas der „Southern resident“-Population aus den Jahren 1982 bis 2021 ausgewertet.

Im Pazifik vor der nordamerikanischen Westküste gibt es drei Populationen, die ihr Walleben als unterschiedliche Ökotypen leben. Da sind die bislang am wenigsten erforschten „Offshore“-Wale, die weit draußen wahrscheinlich vor allem Haie und andere große Fische jagen und sich gelegentlich in einer Gruppe von 200 Tieren zusammenfinden. Dann gibt es die „Bigg’s transient“-Population von schätzungsweise 350 Tieren, die als stille Jäger vor allem anderen Meeressäugern nachstellen: Robben, sowie kleinen und sogar großen Walen.

Wale, hier ein Muttertier mit Kalb, springen um Artgenossen zu signalisieren, sich einen Überblick zu verschaffen, Hautparasiten loszuwerden und wahrscheinlich, weil es so schön platscht.
Wale, hier ein Muttertier mit Kalb, springen um Artgenossen zu signalisieren, sich einen Überblick zu verschaffen, Hautparasiten loszuwerden und wahrscheinlich, weil es so schön platscht.

© Kenneth C. Balcomb/Center for Whale Research/NMFS 21238

Die „Residents“ halten sich mehr in Küstennähe auf und sind daher wohl die bestbeobachteten Schwertwale. Es gibt eine nördliche und eine südliche Teilpopulation, die vor allem Lachse jagen. Es sind die jungen Bullen der derzeit nur 73 Tiere zählenden südlichen „Residents“, die dem Namen (Ansässige) alle Ehre machen.

Mütter beißen gefangene Lachse häufig in zwei Teile und überlassen eine Hälfte ihrem Kalb. Bei Töchtern stellen sie das Teilen ein, wenn diese erwachsen werden – nicht so bei den Söhnen. Mit ihren Mahlzeiten halbieren die Muttertiere aber auch ihre Chancen, neue Kälber durchs erste Jahr zu bringen. Jeder lebende Sohn senkt den Fortpflanzungserfolg etwa um die Hälfte, berichtet das Team.

Die weitreichende Fürsorge für männlichen Nachwuchs sei ungewöhnlich und vielleicht sogar einzigartig, sagen die Forschenden. In der Vergangenheit hat sich die Strategie ausgezahlt: Die Mütter haben ihre Gene erfolgreich über ihre wohl umsorgten Söhne weitergegeben.

Heute, da die Chinook-Lachsbestände in den Jagdgründen der Residents schwinden, könnte sie der klein gewordenen Gruppe, deren Tiere sich auch nicht mit anderen Schwertwalen paaren, zum Verhängnis werden. Ihr Potenzial zu wachsen ist von der Zahl der weiblichen Tiere begrenzt – und der Zahl der Kälber dieser weiblichen Tiere. Für die Residents wäre es gut, wenn die Jungbullen sich weniger durchfüttern ließen.

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