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Heyo Kroemer bemängelt als Vorstandsvorsitzender der Charité die IT-Infrastruktur in Deutschland.

© Foto: dpa/Michael Kappeler

„Wir sind zu langsam“: Wissenschaftler ziehen bei BUA Symposium Lehren aus Pandemie

In Berlin diskutieren Wissenschaftler über den Umgang mit der Pandemie. Das Fazit ist gemischt, in Deutschland fehlen Flexibilität und Digitalsierung.

Die Wissenschaft war intellektuell gut aufgestellt, um auf die Corona-Pandemie zu reagieren. An der Umsetzung und Infrastruktur hakte es jedoch immens. So ein Fazit auf einem Symposium der Berlin University Alliance (BUA) und der britischen University of Oxford. Dazu kamen diesen Donnerstag und Freitag zahlreiche Fachleute in Berlin zusammen, um über den Umgang mit der Pandemie zu diskutieren. Die Frage, was wir lernen müssen, um für zukünftige Pandemien gerüstet zu sein, war dabei ein Schwerpunkt.

„Wir müssen einfach sagen, dass wir nicht vorbereitet waren“, sagte Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Charité selbstkritisch. Die Einschätzung der Bundesregierung, dass das Virus weit weg sei und bei uns gut kontrolliert werden könne, habe sich schnell als falsch herausgestellt. Die Charité sei rapide unter Druck geraten, die Intensivbetten waren ausgelastet, die Belegschaft am Limit. Berlin habe aber sehr schnell reagiert, und alle schweren Corona-Fälle an die Charité übermittelt - ein bundesweit bisher einzigartiges Vorgehen.

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Neu war auch, dass die Charité von der Regierung 150 Millionen Euro erhielt, um sich mit allen akademischen Medizinzentren zusammenzuschließen und gemeinsam das Virus zu bekämpfen. „Die Struktur war da, wir haben sie vorher nur nicht genutzt“, sagte Kroemer. Vergangene Woche wurde beschlossen, dieses Netzwerk aufrecht zu erhalten. Auch die internationale Kooperation von neun europäischen Universitäten habe geholfen, die Pandemie einzudämmen.

Letztendlich sei das deutsche Medizinsystem ganz gut mit Corona umgegangen, sagte Kroemer. Großes Defizit sei für ihn die „wirklich schlechte IT-Infrastruktur im Gesundheitssystem. Wir können keine großen Datenmengen verarbeiten. Daran müssen wir unbedingt arbeiten“, sagte er. Allein, weil Deutschland durch den demografischen Wandel ein dramatischer Arbeitsmangel droht, den die Digitalisierung soweit wie möglich abfangen müsse.

Impfforscher kritisiert mangelnde Flexibilität

Impfstoff-Forscher Leif Erik Sander nannte es „pures Glück“, dass Deutschland zu Beginn der Pandemie recht gut aufgestellt war. „Wir hatten den Vorteil, dass die Welle erst später kam und wir nicht wie Bergamo überrollt wurden“, sagte der Leiter der Klinik für Infektiologie an der Charité. In den folgenden Jahren habe sich jedoch gezeigt, was Deutschlands größte Schwäche sei: fehlende Flexibilität. „Es fehlt uns nicht an guten Wissenschaftlern, es fehlt nicht an Geld. Wir sind einfach zu langsam. Wir haben uns daran gewöhnt, uns Zeit zu nehmen und Sachen erst durchzuplanen“, sagte Sander.

Gerade für kommende Infektionskrankheiten, wie die Affenpocken, müssen die regulatorischen Hindernisse beschleunigt werden. Der Impfstoff sei da, und müsse jetzt auf seine Wirksamkeit untersucht werden. Er hoffe, umgehend damit beginnen zu können. Ein weiteres Problem sieht Sander in der mangelnden digitalen Infrastruktur, die wertvolle Zeit fresse. Die Kollegen aus Oxford hätten da enormes geleistet, unter anderem weil sie in der Lage waren, große Daten schnell zu verarbeiten.

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Von den Erfolgen der Universität Oxford berichteten die Vizepräsidentin Louise Richardson und Chris Conlon, Leiter für experimentelle Medizin. Die Pandemie hätte die Wissenschaft wieder mehr in der Gesellschaft verankert. Die Universität wiederum habe auch gesellschaftliche Verantwortung. Die Pandemie habe gezeigt, wie gut Universitäten aufgestellt sind, da sie auf Wissenschaftler aller Richtungen zugreifen können, sagte Richardson. „Wir müssen darauf achten, dass wir die Pandemie nicht nur den Wissenschaftlern überlassen. Auch die Geisteswissenschaftler und Soziologen haben eine große Bedeutung“, sagte sie. Diese auch länderübergreifend Kollaborationen seien essentiell, um künftige Pandemien zu bekämpfen, sagte auch Chris Conlon. „Wir müssen diese Struktur am Leben halten. Und wir müssen uns bewusst machen, dass Pandemien vorkommen – in immer kürzeren Abständen.“

Die Universität von Oxford und die BUA hatten im Jahr 2017 eine Partnerschaft gegründet, um kollaboratives Forschen zu ermöglichen und Wissen über Grenzen hinweg auszutauschen. Seit 2019 widmet sich die BUA, bestehend aus den Berliner Universitäten und der Charité der Frage, wie unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert leben will. „Wie wollen wir leben?“ und versucht dabei Lösungen, zu entwickeln für die Herausforderungen der Gegenwart – des 21. Jahrhunderts wie zum Beispiel für die globale Gesundheitskrise durch Covid oder die Folgen des Klimawandels.

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