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In Sportvereinen lernen Kinder Gruppenzusammenhalt. Oftmals von Ehrenamtlichen geführt, sind die Vereine Orte des Austauschs.

© picture alliance / JOKER

Zusammenhalt und Kommunikation: Wie klebt der soziale Kitt?

Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Wie entsteht sozialer Zusammenhalt? Antworten verspricht die „Grand Challenge Initiative Social Cohesion“ der Berlin University Alliance.

Von Jonas Krumbein

Als Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen früheren Renteneintritt als Belohnung für ehrenamtlich Engagierte vorschlug, erntete die SPD-Politikerin parteiübergreifend Kritik. „Ist Ehrenamt noch Ehrenamt, wenn es dafür eine wie auch immer geartete Entlohnung geben muss?“, hieß es etwa aus der FDP. Für den Soziologen Swen Hutter von der Freien Universität Berlin geht Nancy Faesers Vorschlag allerdings „in die richtige Richtung“.

Swen Hutter, Lichtenberg-Professor in politischer Soziologie an der Freien Universität Berlin und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, untersucht den Wandel von zivilgesellschaftlichem Engagement in der Corona-Pandemie. Er stellte fest: „Wer vor Ort Gemeinschaft organisiert, wie der klassische Sportverein, hat am stärksten unter der Pandemie gelitten, leidet bis heute und könnte durch den Anstieg der Energiepreise im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine noch stärker leiden.“ Hingegen habe krisengetriebenes, informelles Engagement zugenommen.

Staatliche Förderung von Zivilgesellschaft muss flexibler werden

Swen Hutters Empfehlung an die Politik: „Die Art der staatlichen Förderung von Zivilgesellschaft muss sich dem anpassen, muss lose Zusammenschlüsse flexibler fördern, aber darf auch klassische Vereine als Orte des Austauschs von Menschen unterschiedlicher politischer Haltung und sozialer Herkunft nicht vergessen.“

Was Swen Hutter ausspricht, sind erste Empfehlungen und Erkenntnisse seiner Forschungsgruppe „Mapping Civil Society Initiatives“, die als Teil des Forschungsprojekts „Social Cohesion and Civil Society. Interaction Dynamics in Times of Disruption“ von der Berlin University Alliance gefördert wird. Der Verbund von Freier Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technischer Universität Berlin sowie Charité – Universitätsmedizin Berlin (BUA) unterstützt Forschung zu globalen Herausforderungen wie Gesundheitsfragen oder eben sozialem Zusammenhalt. Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Wie entsteht sozialer Zusammenhalt? Auf große Fragen wie diese suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in insgesamt sechs Projekten Antworten.

Swen Hutter und seine Forschungsgruppe suchen in dörflichen Fußballvereinen, Fridays-for-Future-Gruppen oder „Omas gegen Rechts“ und haben Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite befragt. Dabei zeigte sich: „Die organisierte Zivilgesellschaft hatte nicht nur unter den Maßnahmen zur Eindämmung von Corona zu leiden, sondern musste auch eine Haltung zu den Protesten dagegen finden“, sagt der Forscher und nennt das Beispiel eines Netzwerks gegen Rechts in Brandenburg, das sich infolge aufkommender Proteste gegen die Pandemie-Politik mit der Frage konfrontiert sah: Wie können wir dem Protest begegnen, der mit der Zeit zunehmend nach rechts rückt?

Klimaproteste haben den sozialen Zusammenhalt nicht gestärkt

„Das Netzwerk und andere zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse haben das Abdriften von Teilen der Gesellschaft in der Pandemie früh erkannt und viel Verständigungsarbeit geleistet“, konstatieren Swen Hutter und seine Kolleginnen und Kollegen. Was es braucht, damit Verständigung in heterogenen Netzwerken gelingt, sozialer Zusammenhalt wächst? „Das ist noch nicht gut genug erforscht“, räumt der Soziologe ein und lobt den „explorativen Ansatz“ der Forschungsförderung der Berlin University Alliance, der es ermögliche, „neue Forschungsfragen aufzunehmen, die sich im Arbeitsprozess ergeben, statt stur einen vorab festgelegten Plan abzuarbeiten“. Swen Hutter hofft deshalb, dass die Grand Challenge verlängert wird.

Dass sie exzellenten wissenschaftlichen Ertrag verspricht, deuten der Soziologe und seine Kolleginnen und Kollegen noch mit Zwischenergebnissen eines weiteren Teilprojekts an: In „Subjects of Cohesion“ geht das Team unter anderem der Frage nach, wann zivilgesellschaftliche Akteure sozialen Zusammenhalt fördern – und wann nicht. Im Fokus dabei: die Klimaschutzbewegung Fridays for Future. Die Klimaproteste hätten den sozialen Zusammenhalt nicht gestärkt; vielmehr hätten sie politische Gegner mobilisiert und Aktivistinnen und Aktivisten teils frustriert. Dies war für die Forschenden ein weiterer auf den ersten Blick überraschender Zwischenbefund, denn die Bewegung gilt als erfolgreichste der vergangenen Jahre. Ihr zivilgesellschaftliches Engagement wird von Anhängerinnen und Anhängern als Quelle von Selbstwirksamkeitserfahrungen gewertet und des Gefühls, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Die Gründe für dieses Frustrationsempfinden, sagt Swen Hutter, müssten noch genauer ergründet werden, eine erste Einschätzung gibt der Soziologe: „Wir sehen eine Bewegung, die nach starkem Start mit viel Anerkennung aus der Politik feststellen musste, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht im geforderten Umfang umgesetzt wurden – obwohl sich in der vielfach als Klimawahl gedeuteten Bundestagswahl 2021 ein Konsens für Klimaschutz abzubilden schien.“ Dass Forderungen und Aktionsformen von Klimaschützern und -schützerinnen mitunter kontrovers diskutiert werden, findet der Wissenschaftler allerdings nicht weiter schlimm, denn: „In Aushandlungsprozessen klärt sich, wo wir als Gesellschaft hinwollen. Und ist das geklärt, kann sozialer Zusammenhalt auch wieder wachsen.“

Die Managerhaftpflicht hält Eggert für ungeeignet als Vertrauensgrundlage

Skeptischer sieht Hutters Kollege Andreas Engert das konstruktive Potenzial gesellschaftlicher Konflikte. Der Professor für Handels- und Kapitalmarktrecht an der Freien Universität forscht innerhalb der BUA Grand Challenge Social Cohesion zur Bedeutung des Rechts für die demokratische Gestaltung sozialen Zusammenhalts. Konkret untersucht Andreas Engert, wie Manager haften, wenn sie Sorgfaltspflichten verletzen und damit Unternehmen schaden. „Meine Position wäre, je mehr solcher Fälle vor Gerichten verhandelt werden, desto mehr Misstrauen in unser System entsteht“, argumentiert der Forscher.

Er verweist darauf, dass Gerichte stets einzelne Fälle verhandelten, die überdies oft komplex und nicht zweifelsfrei zu klären seien und auch nicht unbedingt auf gesellschaftliche Missstände schließen ließen. „Angesichts solcher Grenzen von Rechtsprechung glaube ich insgesamt weniger an die integrative Kraft von Konfliktaustragung als viele meiner sozialwissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen“, bilanziert Andreas Engert. Der Rechtsökonom sieht in der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Grand Challenge Social Cohesion dennoch die Chance „auf einen fruchtbaren Streit über das optimale Ausmaß an Konfliktaustragung für eine Gesellschaft“.

Die Managerhaftpflicht in ihrer derzeitigen Form indes hält Engert für gänzlich ungeeignet, um Unternehmenslenker zur Verantwortung zu ziehen und das Vertrauen in Rechtsstaat, Demokratie und schlussendlich sozialen Zusammenhalt zu stärken. Denn Unternehmen seien zwar verpflichtet, Manager in Haftung zu nehmen, schlössen allerdings Haftpflichtversicherungen für sie ab, hebt Andreas Engert hervor. „Befürworter solcher Policen argumentieren nun: Wenn Versicherungen bei erwiesener Schuld zahlen und Unternehmen nicht fürchten müssen, dass bei Managern nicht genug zu holen ist, werden sie Schadensersatzansprüche doch eher vor Gericht bringen und Vorwürfe von Fehlverhalten im Management klären lassen“, referiert Andreas Engert – und widerspricht auf Basis von Versicherungsdaten, die er ausgewertet hat: „Managerhaftpflichtfälle sind komplex, und deshalb vergleichen sich die Anwälte von Unternehmen und Managern meist außergerichtlich.

Richter und Öffentlichkeit denken dann mitunter: Die Gesetze sind nicht streng genug“, sagt der Wissenschaftler. „Mit meiner Forschung möchte ich auch dazu beitragen, dass die Erwartungen an Rechtsprechung insgesamt realistischer werden.“ Unmut über Fehlverhalten von Managern, sagt der Rechtsökonom, ließe sich schwerlich vor Gerichten ausräumen. „Richter können keinen sozialen Zusammenhalt herstellen.

Für den Inhalt dieses Textes ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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