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Infoanzeiger der Berliner Ringbahn.

© Paul Zinken/dpa

Kunstprojekt in Berlin: 24 Stunden Ringbahn fahren

Sieben Autoren umrunden ab heute 24 Stunden lang Berlin – in der Ringbahn. Dabei verfassen sie Texte, die sofort online gehen. Unser Autor Nik Afanasjew ist dabei - und berichtet hier gleich von seinen ersten Eindrücken.

Die Ringbahn ist eine wunderbare Sache. Vor allem an Samstagen, wenn sie ohne Pause durchfährt. Dann kann man die ganze Nacht halbtrunken, halbschlafend um die Stadt kreiseln. Oder eine Party in der S-Bahn feiern. Oder aber: Mal eben einen Roman schreiben.

Das wollen dieses Wochenende sieben Autoren versuchen. 24 Stunden lang werden sie in der Ringbahn sitzen und in die Tasten ihrer Laptops hauen. Dabei können die Leser ihre Fortschritte live über Facebook, Twitter und einen Blog verfolgen. „Literatur im Ring“ heißt die Aktion, die von dem deutsch-französischen Literaturprojekt „Ein Zebra auf der Zunge“ veranstaltet wird. Mitorganisatorin Myriam Louviot hatte schon lange die Idee dazu und sagt: „Wenn die Bahn dieses Wochenende streikt, wird eben gelaufen“.

Läuft alles nach Plan, wird der Schreibmarathon am Samstag um zwölf Uhr mittags starten. Mit dabei sind der belgische Autor Nicolas Ancion, der französische Autor Neil Jomunsi, die Autorin und Drehbuchschreiberin Amélie Vrla, der deutsche Künstler Patrick WEH Weiland, die seit langem in Berlin lebende Italienerin Nicoletta Grillo und Tagesspiegel-Mitarbeiter Robert Klages. Auch Tagesspiegel-Autor Nik Afanasjew fährt mit und versorgt uns den Tag über mit Textpassagen (siehe unten). Während die Schreibenden ihre Runden drehen, findet draußen die Berlinale statt, stürzen sich Berliner und Touristen ins Nachtleben.

Profis im Schreiben gegen die Uhr

Jomunsi und Ancion sind Profis beim Schreiben gegen die Uhr. Nicolas Jomunsi hat für sein „Projet Bradbury“ jede Woche eine Erzählung geschrieben und sie direkt seinen Lesern zur Verfügung gestellt. Ancion hat drei Romane innerhalb eines Tages verfasst, einen davon in Hanoi, einen in New York und einen in Brüssel. Im ruckelnden Zug zu schreiben, sei kein Problem für ihn. Gedanken macht er sich eher über praktische Dinge: „Wo gehe ich eigentlich auf Toilette?“ Auch in seinen bisherigen Projekten konnten die Leser verfolgen und kommentieren, was er schrieb. Unkorrigiert und in Echtzeit. Auch das macht für ihn den Reiz an der Sache aus.

Hat er nicht Angst, dass seine Literatur banal wird, wenn er sich der Geschwindigkeit von Twitter hingibt? „Wir leben nicht mehr in einer Zeit Flauberts“, sagt Ancion. „Wir müssen unsere Leser in dem Moment erfinden, in dem wir schreiben und wir müssen auch eine neue Art des Schreibens erfinden“. Die Interaktivität und der Zeitdruck seien für ihn keine ideale Antwort, aber ein Versuch, den Prozess des Schreibens zu hinterfragen.

Sechzig Minuten dauert eine komplette Rundfahrt, siebenundzwanzig Stationen lässt man dabei hinter sich. Es geht vorbei an der sozialistischen Architektur der Frankfurter Allee, den bürgerlichen Vierteln am Hohenzollerndamm und dem Tempelhofer Feld. Amélie Vrla sagt: „Wir sind da in einer Zeitkapsel eingeschlossen. Ich bin gespannt, inwiefern ich mich auf meine Umwelt einlassen kann.“

Das Gequietsche der Bahn kann auch hilfreich sein

Sich beim Schreiben beobachten zu lassen, ist für viele eine neue Herausforderung. „Ich mag die Zerstreuung. Aber ich weiß nicht, wie es sich anfühlen wird, dass mich jemand dabei beobachtet, wie ich mich zerstreue“, sagt Patrick WEH Weiland. Der Berliner Künstler schreibt Klanggedichte, aus Buchstaben gebaute Laute. „Ich komponiere eher, als dass ich schreibe“, sagt er. Das Gequietsche und Geschubber der S-Bahn-Wagen ist da sicher hilfreich.

Aber wie lange am Stück kann man eigentlich schreiben, bis nur noch Unsinn dabei herauskommt? Die Autoren sind sich uneins. „Ich weiß nicht einmal, wann ich das letzte Mal so lange an einem Stück wach war“, sagt Robert Klages. Nicolas Ancion findet, der Adrenalinspeicher sei nach 24 Stunden noch halb voll, um wirklich an seine Grenzen zu gehen müsse man schon 48 Stunden schreiben. Damit findet er keine Verbündeten in der Gruppe. Nicoletta Grillo, die einzige Autorin im Projekt, die auf italienisch schreibt, sagt: „Ich habe am meisten Angst davor , dass ich aufstehe und dann klaut mir jemand meinen Laptop.“

Außer den Autoren gibt es noch ein paar Überraschungsgäste. Ein Performer aus Italien hat sich angekündigt, eine Geografin wird subjektive Karten der Stadt erstellen und vielleicht schließen sich noch mehr Künstler an. Den Veranstalterinnen ist selbst nicht ganz klar, wer nun alles noch dazukommen könnte. „Wir haben unsere sieben offiziellen Autoren. Der Rest bleibt ein Mysterium“, sagt Myriam Louviot. Es könnte voll werden in den Wagons. Zieleinlauf des Marathons ist Sonntag, zwölf Uhr an der Schönhauser Allee. Wenn Sie zwischendurch ein paar Gestalten mit Laptop und Augenringen in der Ringbahn treffen – geben Sie eine Runde Kaffee aus!

Verfolgen Sie die Fahrt online
Unser Autor Nik Afanasjew versorgt uns am Sonnabend ab 12 Uhr mit Textpassagen aus dem Zug. Schauen Sie doch hier mal rein: www.tagesspiegel.de/stadtleben

Den Blog, den die Autoren befüllen, finden Sie hier: literaturaufdemring.wordpress.com/

Und um 17.30 macht der Schreibmarathon eine Pause im Café Monelli (Greifenhagener Straße, Prenzlauer Berg). Besucher sind willkommen.

Pascale Müller

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