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Eine Erdgeschosswohnung in der Hobrechtstraße 7, eigentlich ein Ferienapartment, wurde am Sonntag zur Ausstellungsfläche.

© Initiative "Airbnb & Co. enteignen"

Update

„Airbnb & Co. enteignen“: Aktivisten besetzen Ferienwohnung in Neukölln

Ausstellung statt Ferienwohnung: Die Initiative „Airbnb & Co. enteignen“ will in Berlin ein Zeichen gegen Verdrängung setzen. Doch das Apartment ist legal.

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Die Erdgeschosswohnung in der Neuköllner Hobrechtstraße 7 konnte man am Sonntagmittag nur durch das Fenster betreten. Eine Matratze mit großen Schmutzflecken empfängt den Besucher. Offenbar wurde das Bett intensiv genutzt. Nun ist es Teil einer Kunst-Installation mit politischer Botschaft. Aktivisten der Initiative "Airbnb & Co. enteignen" haben die Ferienwohnung am Sonntagvormittag in einen Ausstellungsort gegen Zweckentfremdung von Wohnraum verwandelt.

"Ferienwohnungen klauen notwendigen Wohnraum und treiben die Mieten in die Höhe", erklärt Maxi Gebhardt, einer der Verantwortlichen. Bei dem Apartment handelt es sich allerdings um eine Gewerbefläche, deren Umnutzung zu einer Ferienwohnung 2016 vom Amt genehmigt wurde.

Das bestätigt Jochen Biedermann (Grüne), Baustadtrat von Neukölln. Er sieht zwar ebenfalls das Problem der Zweckentfremdung von Wohnraum durch Ferienwohnungen in seinem Bezirk, in diesem Fall hätten sich die Aktivisten aber ein Objekt ausgesucht, "das tatsächlich 100 Prozent legal ist".

Also ich kenne einen Haufen Airbnb-Wohnungen der Luxusklasse, die tatsächlich Wohnraum vernichten. Aber die kleine EG-Wohnung war wohl leichter zu besetzen. Dass sie ein Büro war - wen juckt's. Besetzt doch mal was Teures.

schreibt NutzerIn Freiheitsjogel

Die "Belle Epoque Flat" als Symbol für Verdrängung

Für Gebhardt und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter dagegen ist die Hobrechtstraße 7 ein Symbol für Gentrifizierung. Mit Videos, Grafiken und Installationen wollen sie in der "Belle Epoque Flat", wie sie der Anbieter auf der Plattform Airbnb nennt, "den von bis zu 25.000 Ferienwohnungen erzeugten Verdrängungseffekt" darstellen.

Zum Zeitpunkt der "Vernissage" um 11 Uhr seien Hunderte Gäste vor Ort gewesen, sagt Gebhardt. Die Ausstellung war am Vortag mit Plakaten im Kiez angekündigt worden. Normalerweise urlauben hier bis zu sechs Berlin-Besucher für 150 Euro die Nacht.

Wie die Aktivisten sich Zutritt zu den Räumen verschafft haben, wollten sie nicht sagen, sie deuteten aber an, die Wohnung gemietet zu haben. Eine Sprecherin von Airbnb sagte dem Tagesspiegel aber, dass auf ihrer Plattform keine Buchung für das Objekt vorliege.

Die Polizei erfuhr gegen 16 Uhr von der Besetzung. Als die Beamten vor Ort eintrafen, war die Wohnung aber bereits leer, sagte ein Sprecher. Die Kriminalpolizei ermittle nun, ob es sich um einen Einbruch handle.

Blick zurück: Über einem der Betten ist eine Berlin-Karte angebracht. Darauf zu sehen: Airbnb-Wohnungen in Neukölln und Kreuzberg mit den Preisen für eine Übernachtung. Die Wohnung in der Hobrechtstraße ist mit 70 Euro ausgepreist, was dem Preis für eine Person pro Nacht entspricht. Es gibt aber auch exklusivere Angebote, zum Beispiel eine Wohnung in der Urbanstraße für 506 Euro pro Nacht.

„Wer ist hier der Miethai?“, hat jemand in roten Lettern an die Fliesen im Bad geschrieben. In der Badewanne schwimmen kleine Plastikentchen mit SPD-Logo. Ein Telefon klingelt. Wer abnimmt, hört eine Tonbandansage, die 2017 Teil einer anderen Kunstaktion des Peng-Kollektivs war. Eine Stimme erzählt die Geschichten von Mietern, die angeblich verdrängt wurden. Die Peng-Aktivisten hatten damals eine Software programmiert, die deren ehemalige Vermieter Tag und Nacht angerufen hat.

"Der Sommer der Wiederaneignung"

„Ich finde das interessant“, sagt ein junger Mann, der es sich auf einem Stuhl im Garten bequem gemacht hat. Seinen Namen möchte er nicht nennen, denn er wisse nicht, ob die Aktion legal sei. Er selbst sei Anwohner und habe die Ausstellung beim Vorbeilaufen entdeckt. Bisher habe er nicht viel über den Einfluss von Ferienwohnungen auf die Mieten gewusst, sagt er.

Eines der Exponate wirkt wie eine Drohung. An die Wohnungstür haben die Aktivisten eine Brechstange angebracht, daneben steht: „Generalschlüssel“. Damit könne man sich auch Zutritt zu weiteren Wohnungen verschaffen, so die Botschaft. Zum Beispiel gleich gegenüber. Dort betreibe derselbe Vermieter eine weitere gewerbliche Ferienwohnung.

"Nach dem Herbst der Besetzungen kommt jetzt der Sommer der Wiederaneignung", kündigt Gebhardt an. Die Initiative will Airbnb-Ferienwohnungen im ganzen Stadtgebiet kennzeichnen und mit Hilfe der Nachbarschaften die Bezirke dazu zwingen, "solche Praktiken zu unterbinden".

Derzeit seien sie dabei, eine Liste mit über 20.000 Ferienwohnungen abzuarbeiten. Damit übernähmen sie faktisch die Arbeit der Behörden, heißt es von der Initiative. Sie droht: "Nach Google und Deutsche Wohnen werden wir mit Airbnb den nächsten Schweinekonzern das Fürchten lehren."

Erst wenige Ferienwohnungen sind offiziell registriert

Seit einem Jahr ist eine Registriernummer für Ferienwohnungen in Berlin Pflicht. Trotzdem weisen nur ein Bruchteil der auf verschiedenen Plattformen aktiven Inserate eine solche auf. Bis zum 31. März waren in den Bezirken nur 3200 Registriernummern vergeben worden, dem gegenüber stehen 13.824 aktive Wohnungsinserate, die das Datenportal insideairbnb.com aufweist.

Die Angebote ohne Registriernummer sind allerdings nicht alle automatisch illegal. Denn Ferienwohnungen in Gewerbeimmobilien - wie im aktuellen Fall - sind von dieser Pflicht ausgenommen. Eine Schwachstelle des Gesetzes, kritisiert Baustadtrat Biedermann.

"Dadurch wird es noch schwieriger, das alles zu überprüfen", sagt er. Es gebe auch ein "Vollzugsdefizit", wie er es nennt. "Jede Genehmigung einer Ferienwohnung ist sehr personalintensiv. Und wir haben nur fünf Leute für diesen Bereich." Das seien eindeutig zu wenige.

Um gegen die Vermieter vorzugehen, die ohne Registriernummer Wohnungen illegal vermieten, will der Senat Airbnb jetzt verpflichten, deren Daten herauszugeben. Dem will Airbnb bisher nicht nachkommen und beruft sich auf dabei unter anderem auf den Datenschutz. Das Unternehmen kritisiert den Senat wiederum dafür, nicht mit ihm zu kooperieren. In Hamburg wird das zum Beispiel gemacht, dort gibt es seit dem 1. April ein Online-Registrierungssystem für sogenannte "Home-Sharer".

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