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Der Turm des Roten Rathauses in Berlin in einer Scheibe.

© picture alliance/Sophia Kembow/Sophia Kembowski

Appell für Rot-Grün-Rot: Eine große Koalition verheißt nichts Gutes für Berlin

Große Koalitionen lösen schon lange keine großen Probleme mehr – sondern führen zu Stillstand. Anders als Rot-Grün-Rot dient Schwarz-Rot nur dem eigenen Machterhalt.

Ein Gastbeitrag von
  • Katja Kipping
  • Daniel Wesener

In Teilen von Politik und Feuilleton herrscht seit einer Weile geradezu eine Euphorie für lagerübergreifende Koalitionen. Dabei schwingt die Idee mit, dass sich politische Gegensätze ergänzen könnten und dadurch Kompromisse mit breiter Akzeptanz gelängen. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus: Die Hoffnung, dergleichen Gegensätze ließen sich wegmoderieren, erweist sich schnell als Illusion.

Im Rahmen eines Koalitionsvertrages lässt sich mit unverbindlicher Rhetorik noch manches überbrücken, aber in der Praxis werden die grundlegenden Unterschiede schnell zu Blockaden. Große Koalitionen lösen schon lange keine großen Probleme mehr. Zum einen weil sie nur noch vergleichsweise kleine Mehrheiten darstellen. Zum anderen zeigt ein Blick in die Geschichte unserer Stadt, dass Bündnisse von CDU und SPD nur auf dem kleinsten Nenner basieren.

Das Ergebnis ist im besten Fall ein Formelkompromiss, in der Umsetzung aber Stillstand. In den dynamischen und krisenhaften Zeiten, in denen wir leben, bedeutet das schlichtweg Rückschritt.

Für den Wechsel von Rot-Grün-Rot zu Schwarz-Rot werden in der Öffentlichkeit unterschiedliche Gründe geltend gemacht. Manche davon sind so faktenfrei oder instrumentell, dass sie zum Widerspruch herausfordern. Nichtsdestotrotz wollen wir uns an dieser Debatte nicht beteiligen.

Aber eines steht fest: RGR fehlt es weder an der parlamentarischen Mehrheit noch an gemeinsamen Inhalten. Es reicht der kursorische Blick auf die Programmlage, um festzustellen, dass die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen SPD, Grünen und Linken in Berlin objektiv größer sind, als es mit der CDU je der Fall sein kann.

SPD, Linke und Grüne sind Veränderungsparteien

Mit Blick auf diese Gemeinsamkeiten entbehrt das mögliche Ende von RGR nicht einer tragischen Komponente. Sie verweist auch auf das Erscheinungsbild, das diese Koalition im Wahlkampf hinterlassen hat. Ja, RGR hat auch Gründe zur Selbstkritik. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass es gerade jetzt Bündnisse braucht, die mehr verbindet als Parteitaktik. Schwarz-Rot verheißt deshalb nichts Gutes für Berlin.

Denn: In den letzten Jahren wurde die Krise zum Dauerzustand. Klimakrise, Migration, Kriege, instabile Märkte und soziale Not bedingen und verstärken sich gegenseitig. Sie treffen auf Strukturen, die sich verändern müssen, wenn wir für morgen bewahren wollen, was heute gut ist. Die ökosoziale Transformation stellt uns vor immense Herausforderungen und ist deshalb mit Zielkonflikten verbunden. Ihr Erfolg hängt nicht zuletzt von der gesellschaftlichen Akzeptanz und von einer Politik ab, die die Kraft für nachhaltige Verbesserungen aufbringt.

SPD, Grüne und Linke in Berlin verbindet mehr als die rein prozentuale Übereinstimmung beim Wahl-O-Mat: Sie alle sind im Kern Veränderungsparteien, die darum wissen, dass sich etwas ändern muss, um Zukunft zu sichern. Ihre historischen Wurzeln und ihr programmatischer Fokus mögen differieren. Zugrunde liegt aber allen drei Parteien ein progressives Verständnis von gesellschaftlicher Entwicklung und ein emanzipatorisches Menschenbild.

Hier sitzen sie noch einträchtig bei der Pressekonferenz: Sozialsenatorin Katja Kipping, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Finanzsenator Daniel Wesener im September 2022.
Hier sitzen sie noch einträchtig bei der Pressekonferenz: Sozialsenatorin Katja Kipping, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Finanzsenator Daniel Wesener im September 2022.

© dpa/Annette Riedl

Hinzu kommen gemeinsame Überzeugungen, wenn es um Vielfalt und Teilhabe, um Demokratie und die Auseinandersetzung mit ihren Gegnern geht. Das erweist sich auch im konkreten Handeln: So war es für RGR nie eine Frage, dass es unsere humanitäre Verpflichtung ist, Menschen auf der Flucht zu helfen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das gelingt.

Rot-Grün-Rot ist kein Projekt ohne Konflikte. Anders als Schwarz-Rot ist es aber viel mehr als ein reines Zweckbündnis zum eigenen Machterhalt.

Katja Kipping (Die Linke) und Daniel Wesener (Grüne)

Erst auf dieser Basis wird echte Veränderungspolitik möglich. Für uns ist klar, dass Klimaschutz und Verkehrswende nur sozial funktionieren. Oder dass ein besserer Mieterschutz, bezahlbarer Wohnungsbau und klimagerechte Stadtentwicklung keine Gegensätze, sondern zusammen unabdingbar sind.

Bei der globalen Erwärmung wie bei der sozialen Verunsicherung drohen Kipppunkte. Bei dem einen kippt das Klima, beim anderen der gesellschaftliche Zusammenhalt. Nur das Zusammenspiel von sozialer Sicherheit und Klimaschutz kann das verhindern.

Rot-Grün-Rot vertritt auch dort gemeinsame Positionen, wo die FDP in der Ampel und die Union im Bundesrat blockieren: eine gerechtere Verteilung der Krisenkosten, eine soziale und ökologische Reform des Mietrechts oder Schutz vor Armut. Während wir aktuell um die konkrete Ausgestaltung der Kindergrundsicherung ringen, organisiert die CDU im Bundesrat eine Mehrheit dagegen. Jede weitere Landesregierung mit der Union verstärkt diese Blockade.

Rot-Grün-Rot ist zwar kein Projekt ohne Konflikte. Anders als Schwarz-Rot ist es aber viel mehr als ein reines Zweckbündnis zum eigenen Machterhalt. Rot-Grün-Rot ist selbst bei nüchterner Betrachtung die Chance, großen Herausforderungen mit einer Vielzahl von geteilten Überzeugungen gerecht zu werden.

Rot-Grün-Rot ist die Chance, soziale Sicherheit und Klimaschutz auf die einzige Art voranzubringen, die nachhaltig ist, im Zusammenspiel. Diese Chance sollten wir nicht, wie es sich in Berlin abzeichnet, einfach vergeben. Weder für die nächsten dreieinhalb Jahre, noch für die Zeit danach.

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