
© Bearbeitung: Tagesspiegel/Andrea Katheder
Beate Stoffers’ Vision für Berlin 2030: „Internationale Großveranstaltungen nicht mit provinzieller Radikalität ablehnen“
Zu oft verpuffen neue Ideen im Klein-Klein des Alltags, findet Beate Stoffers, Geschäftsführerin der Stiftung Zukunft Berlin. Sie fordert offenen Dialog statt Selbstblockaden.

Stand:
Berlin wollte immer eine Stadt für alle sein – unabhängig von Herkunft, Identität oder sozialer Schicht. Anders als die anderen europäischen Metropolen, ist Berlin damit ein Kind der Moderne. Dynamik, Aufstieg und Erfolg unabhängig von ethnischer, sozialer und religiöser Herkunft spielen im Selbstverständnis Berlins eine zentrale Rolle.
Das ist Berlins Selbstbild und Stärke. Mit Raum für Innovation, zum Anpacken, Wohnen, für Kunst, Kultur und vielfältige Lebensentwürfe. Und doch droht die Stadt eine andere zu werden, wirkt abweisender statt interessiert, sozial zerklüfteter statt kompromissbereit, manchmal voller Selbstzweifel und nicht souverän, zunehmend im beziehungslosen Nebeneinander von sich separierenden Teilgesellschaften. Die Stadt, die als Symbol des Aufbruchs galt, scheint dabei zu oft in sich gefangen, auf ihre inneren Widersprüche reduziert.
Aus Sicht der Stiftung Zukunft Berlin zusammengefasst: Berlin beschäftigt sich mit den eigenen Blockaden und verschenkt dadurch die notwendige Freisetzung von Dynamik. Frischer Wind weht weiter durch die Stadt, neue Ideen und Initiativen entstehen – viel mehr als in jeder anderen deutschen Stadt. Doch sie verpuffen zu oft im Klein-Klein des Alltags. Um Berlin wieder zukunftsfähig zu machen, braucht es Kraft zu einer neuen Offenheit nach außen, Mut zum großen Denken und eine Kultur der Zusammenarbeit, die alle in der Stadtgesellschaft einbezieht. Es braucht auch Orte, in denen Meinungen und Strategien sich vorurteilsfrei begegnen können.
Ein Raum für Dialog und Gemeinwohl
Als Stiftung Zukunft Berlin haben wir mit Partnern das Diskussionsformat Berlin-Forum auf den Weg gebracht, das wir dauerhaft institutionalisieren wollen: ein Verhandlungsraum der Stadtgesellschaft mit Plenarsitzungen alle drei Monate, in dem Vorstellungen und Strategien für die Entwicklung der Stadt im 21. Jahrhundert entworfen werden. Hier kommen Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und zivile Initiativen zusammen – nicht getrieben von Ressortdenken oder Einzelinteressen, sondern von Kooperationsbereitschaft und Gemeinwohlorientierung.
Die Gesellschaft einer Stadt lebt von der Vielfalt der Interessen, Wahrnehmungen und Stimmen. Sie darf nicht fragmentiert werden. Berlin braucht mehr, um seinem Selbstverständnis gerecht zu werden: Zuneigung zur gemeinsamen Stadt, Identifikation mit ihr und eine daraus erwachsene Verantwortung. Dabei stellen wir klar fest: Die Herausforderungen, vor denen Berlin steht, können und dürfen nicht allein von der Politik gemeistert werden. Berlin braucht die Potenziale der gesamten Gesellschaft.
Die Debatte über eine Vision für Berlin ist daher nicht Aufgabe der Politik. Die Debatte betrifft die Stadtgesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt, ihren unterschiedlichen Perspektiven – auch angesichts wachsender sozialer Ungleichheit. Die Stiftung Zukunft Berlin zeigt mit ihren 30 zivilgesellschaftlichen Initiativen – etwa zu Wohnen und Verwaltungsreform –, wie nachhaltig Engagement, Wissen und Kompetenz in politische Prozesse einfließen können. Demokratie braucht zivilgesellschaftliches Engagement. Kontinuierliche und garantierte Aushandlungsräume zwischen kompetenter Stadtgesellschaft und Politik sind daher eine zentrale Demokratievision für Berlin im Jahr 2030.
Schauen wir uns an, wie Beteiligung Innovationen vorantreiben kann: Berlin war immer eine Stadt der Zuwanderung. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, muss die Stadt offen bleiben für neue Perspektiven und Dialogfähigkeit auch über massive Gegensätze hinweg, statt sich verwoben im internen Stress gegeneinander abzuschotten.
Die Initiative „Weltberliner/innen“ der Stiftung Zukunft Berlin zeigt, wie das gelingen kann. Sie bringt Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung zusammen, um die Ankunftsbedingungen für Menschen zu verbessern, die zum Arbeiten in die Stadt kommen. Diese Menschen bringen nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch neue Ideen und Impulse mit. Sie haben das Potential, die Stadt mit ihren Heimatstädten zu verbinden. Doch damit diese Ideen Früchte tragen können, muss Berlin genau das als einen wichtigen Ansatz sehen, nicht als Randthema.
Die verkrusteten Strukturen und Kompetenzstreitereien der Verwaltung stehen sinnbildlich für die Selbstblockaden in der Stadt. In mehreren Runden Tischen der AG Wohnen hat sich gezeigt, dass die ganze Herangehensweise der Verwaltung mit ihren gegenseitigen Kompetenzabgrenzungen eher Bauen verhindert als ermöglicht. Ermessensspielräume werden nicht genutzt. Hier braucht es eine neue Kultur des Miteinanders, die Fehler als Chancen begreift und Verantwortung aktiv übernimmt. Die Verwaltung als „Ermöglicher“. Genau deshalb ist die aktuelle Reformdebatte zur Verwaltung so wegweisend dafür, ob die Vision der offenen Weltstadt Berlin künftig wieder eine Chance haben wird.
Die Notwendigkeit einer neuen Diskussionskultur
Das Fehlen eines strukturierten Dialogs zeigt sich aktuell eindringlich im Kulturbereich. Berlin braucht offene und respektvolle Gespräche der unterschiedlichen Akteure schon im Vorfeld politischer Entscheidungen. Demokratie ist nicht, über Menschen zu entscheiden. Demokratie ist, mit ihnen zu entscheiden.
Wien und Zürich sind da weiter – und die Verwaltungsreform in Berlin muss genau deshalb jetzt zu einem Erfolg geführt werden. Die Berliner Politik hat hier erstmals die Zivilgesellschaft in einen Workshop-Prozess eingebunden. Dieser Ansatz sorgt nicht nur für eine breitere Akzeptanz der Ergebnisse, sondern auch dafür, dass diese überhaupt umgesetzt und nicht zerredet werden.
Demokratie ist nicht, über Menschen zu entscheiden. Demokratie ist, mit ihnen zu entscheiden.
Beate Stoffers, Vorstandssprecherin der Stiftung Zukunft Berlin
Berlin 2030 muss eine Stadt der Möglichkeiten sein, keine Stadt der Verhinderer. Eine Stadt, die nicht nur über sich selbst spricht, sondern nach außen blickt und neue Perspektiven einbezieht, dabei aber auch sensibel bleibt für die soziale Realität und den Ausgleich von sozialen Benachteiligungen.
Nur durch eine enge Zusammenarbeit und eine Kultur der Offenheit kann Berlin seine inneren Blockaden überwinden und zu einer lebendigen, zukunftsfähigen Metropole werden. Dabei auch: Lebensfreude zurückgewinnen. Lust auf Begegnung mit der Welt, zum Beispiel auch im Rahmen internationaler Großveranstaltungen – statt sie kleinmütig, aber mit provinzieller Radikalität abzulehnen.
Berlin hat das Potenzial, seine alte Strahlkraft zu erhalten – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Berlin muss dazu aber auch sichtbarer gegensteuern, wenn das Auseinanderfallen der Lebenswelten, wenn wachsende Armut neben wachsendem Reichtum die Gesellschaft auseinanderreißt.
Die Zukunft Berlins liegt im Verteidigen der Offenheit der Stadt, in Mut und Neugierde nach außen und in der Bereitschaft zu Dialog und Zusammenarbeit. In der Stadtgesellschaft gibt es dafür viel Potenzial und Bereitschaft, egal ob bei neu Hinzugekommenen oder bei Menschen, die schon lange Berlinerinnen oder Berliner sind.
Sie immer wieder – über kulturelle und soziale Unterschiede hinweg – zusammenzuführen, ist manchmal mühsam, aber stets ertragreich. Es ist wichtig, dass die Stadtpolitik das gerade in diesen Zeiten der materiellen Engpässe versteht. Dass die Kraft, die von unten kommt, Bewegungsraum bekommt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: