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Jahrestag der Attentate: Berlin gedenkt der Toten von Utöya und Oslo

Gottesdienste, Schweigeminuten und ein Blumenmeer an den Nordischen Botschaften. An mehreren Orten in Berlin und Brandenburg wurde am Sonntag den Opfern der Attentate von Norwegen vor genau einem Jahr gedacht.

Sie sang zum Gedenken das Lied „Mitt lille Land“, mein kleines Land, und dass es die Sängerin ergriffen hat, merkt man ihr noch nach dem Gottesdienst an. „Ich hatte mir zur Vorbereitung nochmal die Version unserer Künstlerin Maria Mena auf Youtube angeschaut, das ging mir durch und durch“, sagt die Norwegerin Inger Torill Soyland Narvesen.

Die 25-Jährige aus Stavanger im Südwesten Norwegens studiert gerade Gesang in Berlin und wollte den Gedenkgottesdienst am gestrigen Sonntag in der norwegischen Seemannskirche an der Landhausstraße 26-28 in Wilmersdorf gern mitgestalten. Es war der erste Jahrestag des Massakers, bei dem der Norweger Anders Behring Breivik in Oslo und im Jugendlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation auf der kleinen Ferieninsel Utöya 77 Menschen ermordete.

Tausende Skandinavier in Berlin und Potsdam, aber auch gebürtige Deutsche sowie Vertreter der Botschaften nahmen an Gedenkveranstaltungen teil. Um 15.22 Uhr, dem Zeitpunkt des Beginns des Unfassbaren, fand in den nordischen Botschaften in Tiergarten eine Gedenkminute statt. Am Abend sollte die Gedenkfeier aus Oslo in den nordischen Botschaften live im Fernsehen übertragen werden.

Video: Norwegen trauert um Attentatsopfer

Für Jonas Tylewski ist der Tag noch sehr präsent. „Ich war damals bei einer Jugendbegegnung in den Vereinigten Staaten und musste unserer Gruppe, auch den Norwegern, die schreckliche Nachricht überbringen“, sagt der junge Mann aus Frankfurt am Main. Jetzt ist er mit einer Gruppe von 35 Jugendlichen aus sieben Ländern zu einer EU-Begegnungsfahrt in Berlin, die jungen Leute sitzen nach dem Gottesdienst an den Gartentischen an der Landhausstraße, gleich nebenan hat die schwedische Victoria-Gemeinde ihr Zuhause.

Am Gottesdienst in Wilmersdorf nahm auch eine junge Norwegerin teil, die das Massaker im Ferienlager vor einem Jahr überlebte. Reden will sie aber nicht darüber, auch nicht ein Jahr später, und erst recht nicht öffentlich.

„Wir sind in einem so kleinen Land Zuhause, da war für alle von uns jeder der Ermordeten ein Bruder, ein Freund, ein Angehöriger“, sagt ein Norweger, der in dem hellen, freundlichen Bau der Kirche in Wilmersdorf in einem Sessel sitzt und mit Sängerin Inger Torill Soyland Narvesen über alles redet.

Bildergalerie: Gedenken am Jahrestag der Attentate von Oslo und Utöya

Martina Akeson Wollbo kommt aus Schweden, von der kleinen Insel Gotland, und sie ist während vier Sommerwochen als Austauschpfarrerin in Berlin. Das Kerzenanzünden auch im Gottesdienst sei für die Menschen ein wichtiges Ritual, sagt sie. „Danach ist ein junger Mann aus der Jugendgruppe zu mir gekommen, er sagte, er sei Moslem, und er habe den christlichen Gottesdienst sehr genossen“, sagt Martina Akeson Wollbo. „Ich war in den ersten Stunden nach den furchtbaren Nachrichten so froh, dass es sich bei dem Täter nicht, wie anfangs vermutet, um einen Islamisten gehandelt hat“, sagt ein Norweger in der Kirche. Das hätte seiner Überzeugung nach damals den Weltfrieden gefährden können.

Auch die Sozialdemokraten in Deutschland rufen zu Schweigeminute auf

Auch die Sozialdemokraten in Deutschland, die Jusos und die „Sozialistische Jugend Deutschlands (SJD) – Die Falken“ riefen alle Bürger auf, in einer Schweigeminute an die 69 Toten auf Utöya und die acht beim Bombenattentat in Oslo Getöteten zu erinnern, damit eine solche Geste auch den Überlebenden und Angehörigen Kraft spenden möge. Galt Breiviks Massaker doch dem völkerverständigenden Ansatz, wie ihn Norwegens sozialdemokratische Jugendorganisation auf der Ferieninsel verfolgte.

Fotoreportage: Das Doppelattentat von Norwegen

„Jeder kann sich an die tolle Zeit in der Jugend erinnern, in der viele von uns dort auf Utöya so eine wunderschöne Zeit verbracht haben“, sagt Sängerin Inger Torill Soyland Narvesen. Und dann habe für diese Jugendlichen ein Alptraum begonnen, der sie ihr Leben nicht loslassen werde.

Nach der Schweigeminute sollte nach dem Wunsch von SPD, Jusos und SJD überall in Deutschland lautstark für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit demonstriert werden. „Mit Trillerpfeifen, Musikinstrumenten oder anderen Tonverstärkern wollen wir der Welt zeigen, dass unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität und unsere Idee einer toleranten und weltoffenen Gesellschaft stärker sind als jede Gewalt!“, hieß es in der Erklärung.

Die brandenburgische SPD hat in Potsdam der Opfer mit dem Pflanzen eines Apfelbaums an der brandenburgischen SPD-Zentrale gedacht. 77 Rosen wurden dabei abgelegt, für jeden Toten eine. An dem Gedenken beteiligten sich auch SPD-Landeschef und Ministerpräsident Matthias Platzeck sowie Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Platzeck sagte, Toleranz sei eine tägliche Aufgabe und kein Selbstverständnis – das hätten die Anschläge von Norwegen verdeutlicht.

Marianne Karczow ist seit September vergangenen Jahres Pfarrerin in der Berliner Seemannskirche, momentan aber gerade mit ihrer Familie in Oslo. Sie sind dort, um abzuschalten, um Ferien zu machen, aber am gestrigen Sonntag war das furchtbare Geschehen von vor einem Jahr überall präsent. „Es ist wichtig, den Jahrestag zu markieren“, sagt die Geistliche am Handy, „solidarisch zu sein, für die Opfer, für ihre Familien“.

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