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Michael Willoefer ist 1988 mit seiner Familie nach West-Berlin ausgewandert, später ging er nach Mexiko.

© Robert Klages

Berliner Fotograf: Von Lichtenberg nach Mexiko und zurück

Michael Willoefer hat lange im Ausland gelebt. Nun ist er zum ersten Mal zurück im Bezirk seiner Kindheit und berichtet über Diplomaten-VHS und DDR-Badewannen.

Lichtenberg, Plattenbau, Regen. Ein Mann mit langen Haaren steht vor dem Haus, in dem er aufgewachsen ist. Er denkt drüber nach, einfach mal zu klingeln und zu schauen, wer nun in der Wohnung lebt. Seine Eltern jedenfalls nicht mehr. Doch er macht es nicht, er wagt es kaum, auch nur in den Hausflur zu gehen – die Erinnerungen sind nicht gut. Es ist das erste Mal seit seiner Kindheit, dass der Fotograf Michael Willoefer zurückkehrt in die Albert-Hößler- Straße 10. Er verträgt die Tristesse nicht, die sich mit seinen schlechten Erinnerungen mischt.

Es ist nasskalt, kaum Menschen auf der Straße. Der Kontrast zu Mexiko könnte kaum größer sein. Dort hat Willoefer mehrere Jahre gelebt und Fotos gemacht. Dort sei es zwar kriminell und teilweise ärmlich, aber auch bunt und freundlich. Mexiko City, Stadt der Farben. Der Hausflur in Lichtenberg: uringelb mit weißen Kacheln. Aber es gibt auch gute Erinnerungen: „Einmal, da haben wir eine alte Badewanne mit dem Bollerwagen aus einem Haus geholt und dafür von einem Altstoffhändler sechs Mark bekommen.“ Da war Michael Willoefer zehn Jahre alt. Als Kinder haben sie in den Baustellen der Neubauten gespielt, die dort gerade gebaut wurden, haben sich dort Hütten errichtet.

Willoefer sucht die Klingelschilder nach Nachnamen ab

Er erinnert sich noch an die Markthalle. Dort, wo nun das Ringcenter steht. Und an das Theater an der Parkaue, wo er mit seinen drei Geschwistern immer Kindertheater gesehen hat. Für "kinderreiche" Familien war es umsonst in der DDR. Sein bester Freund war Abel aus Kuba, ein Diplomatenkind. Sie haben zusammen Godzilla geschaut. Auf Spanisch. Und auf VHS. So was gab es in der DDR nur selten. Diplomaten kamen da leichter ran. Willoefer sucht die Klingelschilder nach einem Nachnamen ab. Und findet den von Abel. Doch er klingelt nicht. Er will noch mal wiederkommen. Nicht heute, sagt er.

Er geht raus aus dem gelben Hausflur, hält es dort nicht aus. Draußen an der Straßenecke gibt es Palmen, aufgemalt auf der Hauswand: „Herz statt Kommerz“. Ein Second-Hand-Laden der Howoge. „Hallo. Einmal den Hartz IV-Schein bitte“, ruft eine Frau. Denn hier darf nur kaufen, wer einen solchen hat. Oder sonst irgendwie nachweisen kann, dass er eine gewisse Gehaltsgrenze nicht überschreitet. Hier kann man noch VHS-Kassetten kaufen. Und Stofftiere, Geschirr, Brettspiele, CDs, Klamotten. „Soziale Herzen e.V.“ gibt es viermal in Lichtenberg. Zu Zeiten Willoefers gab es die noch nicht.

Einen Tag vor Weihnachten 1988 ist die Familie nach Neukölln ausgewandert

Einen Tag vor Weihnachten 1988 ist die Familie nach West-Berlin ausgewandert, nach Neukölln. Ein offizieller Ausreiseantrag. Michael Willoefer studierte Architektur an der Technischen Universität. 2008 ist er mit einem Stipendium nach Mexiko-Stadt gegangen und anschließend mehrere Jahre geblieben. Er fand dort nicht nur tolle Motive, sondern auch Freunde. Einer von ihnen ist vor zwei Jahren beim Klettern ums Leben gekommen. Von Mexiko zog Willoefer zunächst weiter nach Amsterdam und Montreal, um dort Fotografie zu studieren.

"Herz statt Kommerz" in Lichtenberg. Eine Sozialstation der Howoge.
"Herz statt Kommerz" in Lichtenberg. Eine Sozialstation der Howoge.

© Robert Klages

Vor drei Jahren hat er mit „The Mexico Project“ begonnen, einer Kollaboration mit dem mexikanischen Museum „Laboratorio Arte Alameda“, halb finanziert durch ein Stipendium des mexikanischen Außenministeriums, halb durch eine Arbeit als Fahrradtaxifahrer in Berlin. „The Mexico Project“ ist ein fotografisches Tagebuch, welches „einen dialektischen Diskurs ermöglicht zwischen der krassen Realität und der optimistischen Hoffnung in dem Land.“

Willoefer ist auf der Suche nach Ausstellungsmöglichkeiten in Berlin

Im Winter 2016 reiste er entlang der Pazifikküste in ein kleines, nur über Boot zu erreichendes, Fischerdorf im Süden des Landes, unweit der Grenze zu Guatemala. Er fragte nach einer Herberge, es gab keine. Eine ältere Frau, die Essen verkaufte, lud ihn spontan ein, bei ihr und ihrer Familie zu bleiben. In Mexiko klingelt man nicht, man trifft die Leute auf der Straße. Selbst, wenn es regnet, ist es warm. Willoefer begleitete die Männer der Familie zum Fischen, lernte andere Dorfbewohner kennen und fotografierte einige von ihnen. Seine Gastgeber wollten kein Geld von ihm, obwohl sie eine der ärmsten Familien im Dorf waren. Er gab ihnen trotzdem etwas, für das neugeborene Kind.

Derzeit ist Willoefer auf der Suche nach Ausstellungsmöglichkeiten, gerne auch in Lichtenberg. Die Reise- und Produktionskosten für sein Projekt möchte er durch Crowdfunding – eine Spendensammlung im Internet – generieren. Dazu hat er ein kleines Video gedreht und einen Aufruf auf Indiegogo.com gestartet.

www.michaelwilloefer.com

www.indiegogo.com/projects/the-mexico-project#/

Eines der Fotos aus Mexiko. Titel: "Ave. 24 de Febrero / Ave. Chiapas, San Cristobal de las Casas, 2017".
Eines der Fotos aus Mexiko. Titel: "Ave. 24 de Febrero / Ave. Chiapas, San Cristobal de las Casas, 2017".

© Michael Willoefer

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