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Abwehr von Kampfstoffen: Berliner Chemiewirtschaft bildet ABC-Kräfte der Bundeswehr aus
Die Bundeswehr trainiert die Abwehr atomarer, biologischer und chemischer Kampfmittel – und lässt Soldaten in der zivilen Wirtschaft als Laboranten ausbilden. Ein Ortstermin.
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Draußen feinster Niesel, drinnen 30 konzentrierte Soldaten. Eine Bundeswehr-Formation wartet an diesem Oktobermorgen im Foyer des Berufsbildungszentrums Chemie in Adlershof im Berliner Südosten auf Verteidigungsstaatssekretär Nils Schmid. Der SPD-Mann will sich zeigen lassen, was die besonders Interessierten seiner ABC-Abwehrkräfte in dieser zivilen Ausbildungsstätte lernen.
ABC-Einheiten sollen – deshalb die namensgebende Abkürzung – atomare, biologische und chemische Kampfstoffe aufspüren, Gebäude und Gelände sichern, Betroffene retten, verseuchtes Wasser aufbereiten. Die Bundeswehr bietet dafür Ausbildungen in der Chemiebranche an, die in der Dienstzeit absolviert werden: Der Truppe sollen solche Kooperationen mit der Zivilwirtschaft den Nachwuchs und die Expertise sichern.
Schwerpunkte Chemie, Physik und Biologie
In Adlershof bilden die Arbeitgeber von Nordostchemie, dem Trägerverein des Bildungszentrums, pro Jahr bis zu 300 Männer und Frauen aus. Dutzende Soldaten nutzen das Angebot, die meisten von ihnen werden hier zu Chemie-, einige auch Physik- oder Biologielaboranten. Und so zeigt eine Stabsunteroffizierin dem Staatssekretär im Vor-Ort-Labor, wie im Verdachtsfall vorzugehen wäre – wobei der einstige Rechtsanwalt Schmid zaghaft anmerkt, dass Chemie in der Schule sein Lieblingsfach gewesen sei.
Wie viele Soldaten derzeit in der ABC-Abwehr dienen, ist nicht bekannt. Im Kriegs- oder Katastrophenfall müssten Proben zur Gefahreneinschätzung auch unter widrigeren Bedingungen entnommen und womöglich in provisorischen Laboren bestimmt werden, die Sicherheit ganzer Städte könnte davon abhängen. Nach ihrer Laborantenausbildung sind die Soldaten auch für zivile Arbeitgeber äußerst interessant, denn nicht nur die Streitkräfte suchen Fachleute.
Sicherheitspolitik und Gesundheitswesen
Aus dem aktuellen Durchgang im Berufsbildungszentrum wollten viele in der Bundeswehr bleiben, so zumindest der Tenor, was den Verteidigungsstaatssekretär angesichts der Debatte um diverse Wehrpflicht-Modelle freuen dürfte. Die in den Laboren erworbene Qualifikation trage „zur Einsatzbereitschaft und Auftragserfüllung“ der Streitkräfte bei, sagt Schmid.
Sicherheit beginnt mit der Ausbildung.
Nora Schmidt-Kesseler, Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Nordostchemie
In Adlershof werden neben den diversen Laboranten auch Chemikanten und Pharmakanten ausgebildet, dazu Industriemeister-Weiterbildungen, außerdem diverse Umschulungen und Integrationskurse angeboten. Mit der angeschlossenen Technikerschule ermöglicht die Stätte, in der fast 50 Fachkräfte arbeiten, in einer zweijährigen Ausbildung zudem einen „Bachelor Professional in Technik“ zu erwerben.
Zivile Unternehmen, öffentliche Einrichtungen, Krankenhäuser – sie alle werden zunehmend mit der Bundeswehr verzahnt. Auslöser ist Russlands Angriff auf die Ukraine. Unter Federführung des Hauses von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) wird im Bund an einem Sicherstellungsgesetz für das Gesundheitswesen gearbeitet, um es im Nato-Einklang auf Krieg und Katastrophen vorzubereiten. Schon in der Corona-Pandemie sollen Angehörige der ABC-Abwehrtruppe geholfen haben, Desinfektionsmittel herzustellen.
Wird Deutschland zur Nato-Drehscheibe?
„Wir brauchen ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz, Ministerin Warken muss das jetzt zur Chefsache machen“, hatte Axel Ekkernkamp gesagt, der dem Wehrmedizinischen Beirat des Verteidigungsministeriums angehört und bis vor Kurzem für viele Jahre das Berliner Unfallkrankenhaus leitete. „Im Ernstfall, etwa nach Kämpfen an den Grenzen der Nato-Staaten Osteuropas, wäre Deutschland nicht nur Drehscheibe für Truppen und Material.“
Dem Chirurgen Ekkernkamp zufolge müssten hierzulande im Ernstfall auch deutlich mehr Verletzte versorgt werden, als das derzeit zu leisten wäre. Und: „Wesentliche Abläufe zwischen der Bundeswehr, den Krankenhäusern und ambulanten Ärzten sind nicht geregelt.“
Nora Schmidt-Kesseler, Geschäftsführerin des Nordostchemie-Arbeitgeberverbandes, formuliert es in Adlershof so: „Sicherheit beginnt mit der Ausbildung.“ Man betrachte die Berufsausbildung angehender Chemie-Profis für die Bundeswehr deshalb auch als „gesellschaftlichen Auftrag“.
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