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© dpa/Tobias Kleinschmidt

Ob „be Berlin“ oder „Stadt der Freiheit“ : Ganz ohne Slogans kommt Berlins Stadtmarketing nicht aus

Gemeinsinnförderung nach innen, Profilierung nach außen: Unser Kolumnist „Dr. Sommer“ schaut zurück auf die Parolen des Berliner Stadt- und Tourismusmarketings seit den Nullerjahren.

Christoph Sommer
Eine Kolumne von Dr. Christoph Sommer

Stand:

Können Sie sich noch an die „be Berlin“-Kampagne erinnern? Sie wissen schon, diese rote, eckige Sprechblase mit dem Dreiklang „sei Bildungsnot, sei Hundekot ...“ – pardon: „Sei einzigartig, sei vielfältig, sei Berlin“? Wenn nicht, dann hat Sie eine immerhin über zwölf Jahre existierende Stadtmarketingkampagne kaltgelassen. Das muss natürlich nichts heißen. Vielleicht waren Sie einfach immer schon „so Berlin“, dass Ihr Selbstwertgefühl als Berlinerin oder Berliner gar nicht mehr mittels Stadtmarketing bestärkt werden musste.

Slogans sagen etwas über das Selbstverständnis aus

Letzteres war das Ziel der letzten großen Hauptstadtkampagne, die der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit 2008 damit begründete, dass die Berliner „noch nicht die besten Botschafter der eigenen Stadt“ waren. „Wenn wir für diese Stadt werben wollen“, so der überlieferte Anspruch Wowereits, „müssen wir selbst davon überzeugt sein, dass Berlin lebenswert ist“.

Man hat einen Umgang mit dem Dilemma gefunden, dass sich Stadt nie als Ganzes fassen lässt.

Christoph Sommer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) und Mitbegründer der Forschungsgruppe „New Urban Tourism“

Das Interessante an diesem kleinen Stück Stadtmarketinggeschichte – ob Sie es nun mitbekommen haben oder nicht – ist, dass die Slogans der Stadt- und Tourismuswerbung immer auch ein bisschen was über das Selbstverständnis der Stadt aussagen. Um es vorwegzunehmen: Es ist keine neue Hauptstadtkampagne geplant, erst recht keine mit Slogan. Anders als im Tourismusmarketing sind Slogans im gesamtstädtischen Marketing eher out. Sei Berlin beziehungsweise „be Berlin“ ist Geschichte.

Der damals Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), präsentiert am Montag im März 2009 den zweiten Teil der Berlin Kampagne „be Berlin“. Mit dem Slogan „The place to be“ sollte die Hauptstadtkampagne ab sofort international für Berlin werben.

© dpa/Arno Burgi

Seit 2019 heißt die Stadtmarke schlicht „BERLIN“, einen Slogan wollte die Senatskanzlei ausdrücklich nicht mehr. Auch um zu vermeiden, dass sich „am Ende alle künstlich über einen Slogan aufregen, ohne den Kern der Sache wahrzunehmen“, wie es einer der beauftragten Markenstrategen damals gegenüber dieser Zeitung begründete. Das Stadtmarketing nimmt sich also zurück.

Man hat einen Umgang mit dem Dilemma gefunden, dass sich Stadt nie als Ganzes fassen lässt (schon gar nicht in einem Slogan), man aber trotzdem nicht umhinkommt, für die Stadt zu sprechen, wenn man sie standortpolitisch profilieren möchte. Und so ist es durchaus schlüssig, dass Berlin seine aktuelle Stadtmarke (zur Erinnerung: „BERLIN“) mit dem Kampagnenclaim #WirSindEinBerlin beschwor – in expliziter Bezugnahme auf allerlei gefällige Gegensätze, die die Stadt ausmachen: „von smart bis Art“, „von Kiez bis Kanzleramt“.

Gegen verbale Gemeinsinnförderung, die ein bisschen nach dem Europamotto „In Vielfalt geeint“ klingt, ist nichts einzuwenden. Mit Blick auf die tatsächlich problematischen Gegensätze (zum Beispiel im Bereich der Bildungschancenungleichheit von Kindern oder der anhaltenden Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt) ist dieses nach innen gerichtete Wohlfühlstadtmarketing in seiner Phrasenhaftigkeit allerdings fast schon provokant.

Ein großer Metallrahmen der Kampagne „be Berlin“ stand 2013 vor dem Hauptbahnhof in Berlin.

© picture alliance / dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Tourismuswerber haben es da leichter, sie dürfen seit bald einhundert Jahren die Einzigartigkeit der Stadt verkaufen, um Besucher für die Hauptstadt zu begeistern. „Jeder einmal in Berlin“ hieß der erste Slogan, der vom 1927 gegründeten Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrsamt ausgegeben wurde. Die Ansprüche sind seither natürlich gestiegen. Heute buhlt man um sogenannte Wiederholungsbesucher, von denen – so die Hoffnung – manche sich auf Dauer für Berlin entscheiden.

Zwischen 1500 und 2000 Ateliers sind verdrängt worden

Wesentlicher kommunikativer Bezugsrahmen für die Tourismuswerbung ist die viel beschworene „Stadt der Freiheit“. Mit diesem Slogan lässt sich sowohl das Interesse an der Geschichte der Stadt (insbesondere auch an der Friedlichen Revolution von 1989) bedienen als auch an gegenwärtige Assoziationen anschließen, die Berlin als Freiraum stilisieren, in dem Diversität und kulturelle Vielfalt gelebt werden kann.

Dass diese Freiräume fragil sind, zeigt sich in so unterschiedlichen Formen wie der anhaltenden Präsenz antisemitischer Anfeindungen oder dem Verlust von Atelierräumen. Wie eine Umfrage des Berliner Atelierbeauftragten ergab, sind zwischen 2017 und 2022 zwischen 1500 und 2000 Ateliers verdrängt worden.

Die Tourismuswerbung ficht das nicht an. Der Mythos der „Stadt der Freiheit“ fungiert bis auf Weiteres als eine Art urbanes Gedächtnis, das sich weniger aus historischen Fakten speist als aus Bildern, die für die gegenwärtige Selbstvergewisserung hilfreich sind. Es ist eben Werbung, und ganz ohne Slogans geht es offenbar doch nicht.

In der viel besprochenen TV-Serie „Babylon Berlin“ spaziert Kommissar Gereon Rath übrigens an einem „JEDER EIN MAL IN BERLIN“-Plakat des Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrsamts vorbei. Hoffentlich lässt sich Kai Wegner nicht vom Untertitel des Plakats inspirieren, er lautete: „Die Weltstadt in Ordnung und Schönheit“.

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