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Die Ecke Potsdamer Straße / Kurfürstenstraße soll umgestaltet werden.

© imago images/Steinach

Sexkaufhaus LSD und Woolworth: Kunstkollektiv fordert Abriss-Stopp

Nicht nur Wohnungsaktivisten und Klimaschützer beschäftigen sich mit den Themen Abriss und Neubau. Auch ein Kunstkollektiv stimmt nun in die Warnungen ein.

Von Pauline Faust

Jeremias trägt das LSD-Haus über die Kurfürstenstraße, er hat es gerade erstanden. Zugegeben, es ist ein Nachbau aus Pappe, die Bieterrunde war nur symbolisch und der Berliner glaubt nicht, je eine Immobilie zu besitzen, doch im Rahmen der Kunstaktion von „ufo ufo“ kommt die Stadt symbolisch in die Hände ihrer Bewohner:innen. Das Kunstkollektiv veranstaltete kürzlich eine Demonstration gegen den Abriss von Häusern auf der Kurfürstenstraße und an der Urania in Schöneberg.

Sorge vor Verdrängung und Klimawandel

Die Folgen von Abriss in unserer Stadt seien die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung und erhebliche Auswirkungen auf das Klima durch Neubau, erklärt das Kollektiv. „Ufo ufo“ fordern die Erhaltung oder den Umbau von fünf Gebäuden entlang der Kurfürstenstraße. Angefangen beim bekannten Sexkaufhaus LSD – Love, Sex and Dreams – und dem gegenübergelegenen Gebäude mit einem Woolworth. Eigentümer Till Kalähne plante ursprünglich 14-stöckige Bürobauten auf beiden Straßenseiten, was die Bezirke Schöneberg und Mitte 2020 ablehnten. Eine berlintypische Geschosszahl könnte hingegen genehmigt werden.

„Ufo ufo – urban fragment observatory“ sind ein junges Berliner Raumkollektiv, mit Hintergründen in Architektur und urban Design. Ein Kurs des Star-Architekten Jean-Philippe Vassal an der Universität der Künste inspirierte die Gruppe von vier Leuten zu ihrer Arbeit. Gemeinsam mit seiner Kollegin Anne Lacaton baut Vassal lieber Bestandsgebäude um, als neue zu schaffen. In Bordeaux erneuerten sie etwa hunderte Wohnungen einer veralteten Anlage, die Bewohner mussten für die Arbeiten nicht einmal ausziehen. „Es gab schon immer solche Projekte, aber jetzt gerade sehen wir große Umwälzungsprozesse“, sagt Lena Löhnert von „ufo ufo“.

Die Baubranche denkt um

Die Branche denkt langsam um, das zeigt auch das Engagement von Architects und Scientistes For Future. Angesichts von Klimakrise und Ressourcenknappheit könne man sich die meisten Abrisse nicht leisten. „Wir müssen weg von der Einwegarchitektur und hin zur Kreislaufwirtschaft“, sagt Stadtplanerin Lena von Architects for Future. Es fänden schon viele Pilotprojekte in die Richtung statt, doch das Thema müsse in den Mainstream. Wenn man etwa die CO₂-Emissionen, die ein Abriss verursacht, richtig bepreisen würde, könnte man Bestandserhaltung attraktiver machen.

Diese Häuser sollen abgerissen werden. Das Künstlerkollektiv ufo ufo hat sie aus Pappe nachgebaut.
Diese Häuser sollen abgerissen werden. Das Künstlerkollektiv ufo ufo hat sie aus Pappe nachgebaut.

© ufo ufo

An der Urania ist eine Neugestaltung aller vier Eckgrundstücke im Kreuzungsbereich geplant. Ein Bürohaus (An der Urania 4-10) wird noch bis Ende 2023 schadstoffsaniert. Danach ist ein maschineller Abriss des Betonskeletts geplant.

Baubranche als Abfallproduzent

Das Haus gehört dem Land Berlin, die BIM (Berliner Immobilien Management) verwaltet es. Laut „ufo ufo“ erklärte diese der Abriss erfolge aus Wirtschaftlichkeitsgründen. Das schadstofffreie Skelett nicht umzubauen, sei Ressourcenverschwendung entgegnet Löhnert. „Berlin sollte seine Gebäude nicht wie ein gewöhnlicher Spekulant behandeln, sondern nach ökologischen Rahmenbedingungen handeln.“ Berlin habe schon gebaut.

800 Lkw würden je 27 Tonnen Bauschutt wegfahren, wenn das Bürohaus abgerissen wird, das erklärte der Leiter des Abrissunternehmens den Künstler:innen vor der Kamera. Das Video beamen sie jetzt an das große Gebäude. Die Aussichten für diesen Bauschutt sind zudem schlecht: In der Branche gebe es kaum hochwertiges Recycling, kritisierte Silke Küstner von der Umweltorganisation WWF kürzlich in einem Beitrag. Dabei verursache die Baubranche mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland.

800
LKW würden je 27 Tonnen Bauschutt wegfahren, wenn das Bürohaus an der Urania abgerissen wird

Im Bau spielt die sogenannte graue Energie eine entscheidende Rolle. Als „graue Energie“ wird die Energie bezeichnet, die für die Produktion von Baumaterialien sowie die Verarbeitung, den Transport, den Bau sowie den Rückbau des Gebäudes und die Entsorgung anfällt. „Aktuell bleiben graue Energie und Emissionen in Gesetzen wie dem Gebäudeenergiegesetz unberücksichtigt“, schrieb Silke Küstner. Im Klimaschutzgesetzt der Bundesregierung ist dabei schon vorgesehen, dass der Bausektor Einsparungen braucht.

Abriss hat auch eine soziale Komponente. „Ufo ufo“ kritisieren, dass das Zweckentfremdungs­verbot von Wohnraum in Berlin nicht greife. Wenn ein Haus erst einmal leer stünde oder schon abgerissen wurde, folge meist die Aufwertung des Grundstücks und mit ihr die Gentrifizierung. Daher brauche es einen Abriss-Stopp. Nicht nur für die Häuser, die als Pappmodelle nachgebaut sind, sondern für ganz Berlin.

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