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Wo neu gebaut wird, wurde vorher meist Wohnraum abgerissen.

© Kara/Fotolia

„Stehen lassen“: Berliner Mieterverein will Abriss verhindern

Um bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, fordert der Berliner Mieterverein eine Gesetzesverschärfung.

Rund 16.500 Wohnungen hat Berlin 2022 insgesamt neu gebaut. Das hat Bausenator Andreas Geisel Mitte Dezember stolz verkündet. Nur: Wie viele Wohnungen sind im gleichen Zeitraum weggefallen, durch Abriss oder andere Gründe? Laut Schätzungen des Berliner Mietervereins könnten das bis zu 2500 Wohnungen sein, auf jeden Fall aber müsse man von einem „Abschlag in erheblicher Höhe“ ausgehen, sagt Sebastian Bartels, einer der Geschäftsführer des Mietervereins.

Wo neu gebaut wird, stand vorher häufig ein bewohntes Gebäude, das für den Neubau weichen muss. Verschwinden tut damit häufig gerade der bezahlbare Wohnraum in Innenstadtlagen. Was anschließend an gleicher Stelle neu entsteht, ist meist sehr viel teurer.

Der Mieterverein fordert daher eine Verschärfung des Zweckentfremdungsverbots-Gesetzes, wie Bartels sagt: „Statt Bauen, bauen, bauen fordern wir: Stehen lassen, stehen lassen, stehen lassen!“ Eigentümern solle künftig „in der Regel kein berechtigtes Interesse am Abriss bescheinigt“ werden, „wenn ihnen die weitere wirtschaftliche Verwertung des Wohnraums auch unter Berücksichtigung einer möglichen Instandsetzung wirtschaftlich zumutbar ist.“

Angeblich unbewohnbar

Bisher ist es gängige Praxis, dass Eigentümer sich von einem Gutachter bescheinigen lassen, dass ein Mietshaus wegen baulicher Mängel „unbewohnbar“ sei und die Sanierung zu teuer, um sich innerhalb der nächsten zehn Jahre zu amortisieren – auch wenn darin in der Realität durchaus Menschen wohnen und die Häuser in gar keinem so beklagenswerten Zustand sind.

Da die Bezirke aber in den meisten Fällen keine Ortsbegehungen machen, wird die bescheinigte Unbewohnbarkeit für gewöhnlich einfach durchgewunken. Zwischen 2018 und 2021 waren es durchschnittlich 43,5 Prozent der Abrissanträge, die ein solches „Negativattest“ ausgestellt bekommen haben, mit dem die Eigentümer noch nicht einmal zur Schaffung von Ersatzwohnraum verpflichtet werden.

678.000
Wohnungen aus den 1950er bis 70er Jahren stehen in Berlin - und könnten potenzielle Abrissobjekte werden

Absurd werde es dann, meint Sebastian Bartels vom Mieterverein, wenn ein Eigentümer erst selbst eine Genehmigung für Modernisierungsarbeiten beantrage, um anschließend, wie es bei der Papageienplatte in der Habersaathstraße der Fall sei, behaupte, der Weiterbetrieb des Hauses sei ihm wirtschaftlich nicht zumutbar und er müsse deshalb abreißen und neu bauen.

Abrisswelle seit 2010

„Wir sehen eine Abrisswelle mit zunehmender Geschwindigkeit seit etwa 2010“, sagt Bartels. Betroffen seien davon vorwiegend Häuser aus den fünfziger bis siebziger Jahren in Innenstadtgebieten – gebaut mit öffentlichen Geldern im Rahmen des Wiederaufbauprogramms. Insgesamt 678.000 Wohnungen in Berlin stammen laut Bartels aus diesem Zeitraum, mehr als ein Drittel des gesamten Bestandes.

Während bisher also in den meisten Fällen diese Anträge auf Abriss wegen vermeintlicher wirtschaftlicher Unzumutbarkeit genehmigt werden, fordert der Mieterverein, dies künftig nur noch in Ausnahmefällen zu tun. Der Zeitraum, in dem sich die Sanierungskosten amortisieren müssten, um als wirtschaftlich vertretbar zu gelten, müsse von zehn Jahren in der gegenwärtigen Praxis auf zwanzig Jahre gestreckt werden.

Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer, ergänzt: Wenn Eigentümer vorsätzlich die Instandhaltung vernachlässigten, um anschließend darauf verweisen zu können, dass ein Haus bauliche Mängel vorweise und daher abbruchreif sei, müsse das in die Berechnung der zumutbaren Kosten mit einbezogen werden: „Das ist ein guter Hebel, mit dem sich Abriss schwerer begründen lässt.“

Künftig 50 Prozent Ersatzwohnraum?

Falls ein Abrissantrag doch genehmigt wird, sieht die vom Mieterverein vorgeschlagene Gesetzesverschärfung vor, dass das Bezirksamt verlangen kann, viel mehr Ersatzwohnraum zu schaffen als das bisher der Fall ist: Fünfzig Prozent der weggefallenen Wohnfläche sollten dann laut dem Vorschlag des Mietervereins als geförderter Wohnraum entstehen können. Sonst bleibe es beim aktuellen Problem, das Bartels beschreibt: „Der Abriss führt zur Verdrängung alteingesessener, oft finanziell schwacher Bevölkerungsgruppen.“

Jenseits der Gesetzesverschärfung schlägt der Mieterverein zudem vor, die Miete für Ersatzwohnraum, der bei manchen Abrissgenehmigungen vom Bezirksamt gefordert wird, anders zu berechnen, sodass sie niedriger ausfällt. Außerdem sei eine Änderung in der Bauordnung nötig, nach der ein Investor eine „Lebenszyklusanalyse“ des abzureißenden Hauses vorlegen muss, um auch der ökologischen Dimension von Neubau gerecht zu werden: „Abriss muss auch deshalb ultima Ratio werden, weil die CO₂-Bilanz bei Modernisierungen meist vorteilhafter ist als Abriss und Neubau“, so Bartels.

Die Gerichte sagen: Wer die Instandhaltung vernachlässigt, der hat generell keinen berechtigten Kündigungsgrund.

Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins

Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, begrüßt die Forderungen des Mietervereins: „Dahingehende Maßnahmen haben wir im Koalitionsvertrag längst verabredet. Da der Stadtentwicklungssenator seinen Fokus nur auf Neubau gelegt hat, ist die Bilanz bisher allerdings nüchtern. Wir fordern ein faktisches Abrissverbot für Wohnraum.“

Eine Gesetzesänderung braucht ihre Zeit. Was aber sofort umgesetzt werden kann, wäre eine andere Informationspolitik durch die Bezirksämter, die die Anträge auf Abriss bearbeiten. Der Mieterverein fordert, die Mieter der betroffenen Häuser offiziell über laufende Abrissanträge und die Rechte der Mieter in diesem Fall zu informieren. Und darüber, dass sie auch dann nicht zwangsläufig ausziehen müssen, wenn das Bezirksamt grünes Licht für den Abriss gibt.

Amts- und Landgerichte würden nämlich meist nach strengeren Gesichtspunkten entscheiden, als die Bezirksämter: „Die sagen: Wer die Instandhaltung vernachlässigt, der hat generell keinen berechtigten Kündigungsgrund.“

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