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Vorhandener Wohnraum darf nicht abgerissen werden: Wann kommt das Berliner Sicher-Wohnen-Gesetz?
Keine Abrisse mehr und stärkere Sanktionen bei Wohnungsleerstand: Der Berliner Mieterverein unterstützt die Volksinitiative „Bauwende – ökologisch und sozial“. Im Gastbeitrag erklärt der Geschäftsführer, warum.
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Neulich war ich auf einer Podiumsdiskussion, die sich um leistbaren Neubau drehte. Gegen Ende warf eine Frau ein: Wer kümmert sich eigentlich um Leerstand? Ein Architekt antwortete, im wahrsten Sinn des Wortes vom Podium herab: Über den geringen Leerstand überhaupt zu sprechen, verhöhne die vielen Neuberliner, die eine Bleibe suchen.
Ist es nicht umgekehrt? Verhöhnt werden Wohnungssuchende, die frustriert an Häusern in bester Lage vorbeigehen, in denen schon lange kein Licht mehr brennt. Es geht um zehntausende Wohnungen. Viele stehen weit mehr als die erlaubten drei Monate leer, tausende seit Jahren, etliche seit Jahrzehnten. Häuser verwahrlosen, Mietende erhalten Kündigungen und ziehen nach und nach aus.
Die Bezirke ordnen zwar Instandsetzung und Vermietung an, was aber zermürbende Verwaltungsverfahren mit Einsprüchen und immer neuen Fristen nach sich zieht. Irgendwann befolgt die Eigentümerin eine solche Anordnung zur Instandsetzung, kurz bevor es die Behörde auf eigene Kosten tut. Doch mit dem nächsten Wasserschaden geht das Spiel von vorne los.
Und es geht sogar weiter: Eigentümer behaupten mit teils dubiosen Gutachten, das Haus rechne sich nicht mehr, der Wohnraum sei nicht schützenswert. Dann darf ohne Auflagen abgerissen werden. Ansonsten wird der Abriss genehmigt, wenn ein Neubau gleicher Größe entsteht, der indes nicht mal zwingend vermietet werden muss. CO₂-Grenzwerte für Baustoffe, Errichtung und Beheizung dürfen dabei nicht vorgegeben werden.
Aber nicht genug damit, dass Abriss und Neubau enorme Mengen an CO₂ verursachen – nein, sozial schädlich sind sie auch. Die Miethöhe des Nachfolgegebäudes übersteigt meist bei weitem die des abgerissenen Altbaus. Die Bezirksämter können zwar Anfangsmieten festlegen, die sich ein „durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt“ angeblich leisten kann. Viele der so errichteten Wohnungen werden aber gar nicht vermietet, sondern einzeln an Selbstnutzer verkauft, sofern sie nicht wegen exorbitanter Kaufpreise lange leer stehen.
Außerdem entsteht häufig kein Nachfolgegebäude mit Wohnungen – oder jedenfalls nicht gemäß den Auflagen. In beiden Fällen müssen Eigentümerinnen lediglich eine magere Ausgleichszahlung von bis zu 4100 Euro je Quadratmeter abgerissener Wohnfläche entrichten. Man kann sich also von Auflagen freikaufen. So in der Dortmunder Straße 19: Das Bezirksamt Mitte hatte den Abriss von 17 Wohnungen gegen eine Zahlung von knapp 1,9 Millionen Euro genehmigt. Entstanden sind dort Luxusapartments, von denen das „billigste“ für 1,4 Millionen Euro verkauft wird.
Die letzte Mieterin zieht aus und fragt sich: Warum hat das Bezirksamt die Eigentümerin nicht verpflichtet, leere Wohnungen wenigstens bis zum Verfahrensabschluss zu vermieten? Dann hätte ihre Freundin nach ihrer Trennung nicht in einem möblierten Apartment unterkommen müssen, in dem die Missachtung der Mietpreisbremse vorprogrammiert ist.
Abrissverbot und Treuhänder bei Leerstand
Antwort: Dies und vieles andere lässt die Rechtslage nicht zu. Bezirke dürfen zwar Treuhänder einsetzen, doch erst als letztes Mittel, wenn vorangegangene Anordnungen nicht befolgt wurden. Daher zaudern sie, teils auch wegen der Kosten und Personalnot. Anders in Wien, wo Behörden gerichtliche Eilverfügungen gegen renitente Eigentümer einholen.
Auch Berlin muss seine Krallen wetzen, die Gesetze schärfen. Bei wiederholten, schweren Verstößen sollte ein Treuhänder die Instandsetzung und Vermietung managen, zudem brauchen wir ein Abrissverbot für Wohn- und Gewerbeimmobilien. Wenn ausnahmsweise doch abgerissen wird und Ersatzbauten entstehen, dann nur unter strengen CO₂-Auflagen. Der Bezirk muss anordnen dürfen, dass deren Mieten sich an denen von abgerissenen Wohnungen orientieren und bis zu 50 Prozent Sozialwohnungen entstehen. Leerstehende Gewerbeimmobilien – 2024 waren es 1,45 Millionen Büroquadratmeter – sollen nur dann abgerissen werden können, wenn eine Umnutzung als Wohnraum weder möglich noch zumutbar ist.
Verhöhnt werden Wohnungssuchende, die frustriert an Häusern in bester Lage vorbeigehen, in denen schon lange kein Licht mehr brennt.
Sebastian Bartels, Geschäftsführer Berliner Mieterverein
Der Tausch von Wohnungen würde den Mangel an großen Wohnungen ebenfalls lindern, müsste jedoch stärker beworben und, wie in Freiburg, mit Umzugshilfen gefördert werden. Diese Ziele erfordern ein Wohnungskataster; doch schon das blockiert der Senat.
Ein Gesetz zur Verteilung von Wohnraum
Es bedarf eines neuen Gesetzes – eines, das die Verteilung und Bewirtschaftung von Wohnraum regelt. Verrückt ist doch: Autofahren unterliegt strengsten Regeln, der Umgang mit Immobilien nicht. Berlin sei dafür nicht zuständig, heißt es, das habe uns das Bundesverfassungsgericht im Mietendeckel-Urteil bescheinigt. Doch das stimmt nicht!
Karlsruhe hat nur klargestellt, dass Berlin sich nicht ins Mietrecht einmischen darf. Belange des „Wohnungswesens“ dürfe es regeln. Kurz: Berlin darf die Verteilung von Wohnraum regulieren. Damit ist ein weites Feld eröffnet. Die Zweckentfremdung leistbaren Wohnraums durch die möblierte Kurzzeitvermietung könnte eingedämmt werden, erst recht in den 81 Milieuschutzgebieten. Gewerbliche Vermieterinnen könnten verpflichtet werden, einen Anteil ihres Bestandes als Sozialwohnungen zu vermieten.
Der Einwand, all dies verletze die Eigentumsgarantie, zieht nicht. Als Mieterin über eine Wohnung zu verfügen ist eigentumsähnlich und genießt den gleichen Schutz aus Artikel 14 Grundgesetz. Die Berliner Verfassung sieht außerdem in Artikel 28 vor: „Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen.“ Wann also kommt das „Sicher-Wohnen-Gesetz“?
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