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Rangeleien zwischen Polizisten und Querdenkern am Sonntag in Berlin.

© REUTERS/Christian Mang

„Es war nicht alles so, wie es aussieht“: Berlins Innensenator spricht mit UN-Beauftragtem über Polizeigewalt gegen Querdenker

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter beklagte überzogenen Polizeieinsatz bei Querdenker-Protesten. Innensenator Andreas Geisel setzt auf Transparenz.

Stand:

Nach schweren Vorwürfen wegen angeblich überzogener Polizeigewalt bei den verbotenen Querdenker-Protesten hat Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch mit dem UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Nils Melzer, gesprochen. Der Schweizer Rechtsprofessor hatte ein Video von einem Einsatz bei den Protesten vor eineinhalb Wochen gepostet und Zeugenaussagen erbeten.

Es sei ein „konstruktives Gespräch“ gewesen, „auch Herr Melzer kann die Verhältnisse einordnen“, sagte Geisel im Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses am Mittwoch. Auch die Innenverwaltung und die Polizei würden die „Videoausschnitte von vermeintlicher Polizeigewalt“ kennen. Bei der Auswertung des Materials sei festgestellt worden, „dass nicht alles so war, wie es aussieht“.

Wie berichtet, sind bereits Ermittlungen gegen Polizisten etwa wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet worden. Nach Angaben der Polizei ein üblicher Vorgang, auch beim Vorgehen von Beamten sei rechtlich überprüfbar, ob verhältnismäßig gehandelt worden sei.

Es werde ermittelt, „weil auch hier im Raum steht, dass es durchaus unverhältnismäßige Gewalt, unverhältnismäßigen körperlichen Einsatz von Polizisten gegeben haben könnte“, sagte Geisel. Es werde transparent untersucht - sollte sich ein Verdacht bestätigten, werde es Konsequenzen geben. Auch Koalitionspolitiker werteten die Ermittlungen als normalen Vorgang in einem Rechtsstaat.

Geisel sagte, er habe dem UN-Sonderberichterstatter zugesichert, dass er alle Informationen erhalten werde. Er habe volle Kooperation zugesagt. Melzer bekomme „Informationen, Einsatzunterlagen und Ausbildungskonzepte der Polizei Berlin“.

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Melzer untersucht die Vorwürfe übermäßiger Gewalt der Polizei gegen Demonstranten und will die Bundesregierung um Stellungnahme bitten. Er hatte gesagt, bei einer Demonstration mit Tausenden Menschen, die angeordnete Maßnahmen ignorierten, aber nicht gewalttätig seien, müsse anders reagiert werden. „Das ist ein Kommunikations-, kein Gewaltproblem. Da ist eine gepanzerte Polizeitruppe vielleicht nicht die richtige Antwort.“

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Geisel sprach von „Coronaleugner-Demos“. Deren Verbot war von den Gerichten bestätigt worden. Der Innensenator erinnerte daran, dass am 1. August 62 Polizisten durch die Protestierenden verletzt worden seien. In der Polizei selbst wird hinter vorgehaltener Hand Melzers Vorgehen kritisiert. Es sei ungewöhnlich, dass sich ein solcher Amtsträger zuerst über Twitter dazu äußere. Auch die Einschätzungsgabe des Schweizers wird in Zweifel gezogen.

[Lesen sie mehr: Geht der UN-Beauftragte für Folter den Querdenkern auf den Leim?]

In dem von Melzer getwitterten Video ist zu sehen, wie eine ältere Demo-Teilnehmerin durch die Polizeikette gehen will. Ein Beamter ergreift sie und wirft sie zu Boden. Später sagte Melzer: „Die hätte sterben können.“

Von der Frau sei keine Gefahr ausgegangen, der Beamte habe Selbstverteidigung angewendet statt schlicht eine Ordnungswidrigkeit zu verhindern. Ein erfahrener Beamter erklärte hingegen: „Sauber ausgeführter Kopf-Hebel-Griff, bis kurz vor Bodenkontakt gehalten, um Kopfverletzung zu vermeiden.“ Der Beamte hielt die Frau auch am Rücken fest.

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Melzer hat nach eigenen Angaben bereits mit Augenzeugen gesprochen. Es gehe womöglich um ein Dutzend Vorfälle. „Es sind einige Videos verbreitet worden, die Besorgnis erregend sind“, hatte Melzer gesagt.

„Die Hinweise sind stark genug, dass möglicherweise Menschenrechtsverletzungen begangen wurden.“ Dass Teile der Querdenker-Szene unter Extremismusverdacht stehen und vom Verfassungsschutz beobachtet werden, dazu hatte sich Melzer nicht geäußert.

„Unmittelbarer Zwang ist Gewalt und ist dennoch Teil unseres Rechtssystems“

Die Polizei zeigt sich bislang gelassen. Diverse Videoaufnahmen werden ausgewertet. Denn auch ohne Melzers Zutun waren bei der Polizei nach dem Demo-Einsatz zahlreiche Anzeigen wegen angeblich unrechtmäßiger Polizeigewalt eingegangen und Ermittlungen eingeleitet worden.

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Zugleich wies ein Sprecher Melzers Darstellung zurück, es handle sich um ein Kommunikationsproblem. Die Demonstrationsteilnehmer seien zumeist für Kommunikation nicht mehr zugänglich gewesen.

Der unmittelbare Zwang zur Verfolgung von Straftaten und zur Gefahrenabwehr sei eingesetzt worden „wegen fehlender Kommunikationsbereitschaft, der fortwährenden Verstöße gegen die Versammlungsverbote und gegen die Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“. Weisungen der Polizei seien missachtet, Beamte angegriffen worden.

Querdenker und Extremisten feiern den UN-Sonderberichterstatter

Der Polizeisprecher sagte: „Unmittelbarer Zwang ist Gewalt, Gewalt schmerzt, Gewalt verletzt, Gewalt sieht gewalttätig aus. Unmittelbarer Zwang auch mit all seinen Bildern ist dennoch Teil unseres Rechtssystems“ – ebenso, dass juristisch überprüfbar ist, ob Einsätze recht- und verhältnismäßig waren.

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Die von Melzer kritisierte Schutzausstattung der Beamten „diente lediglich dazu, sie vor schweren Folgen der gegen sie verübten Angriffe zu bewahren“. Dennoch seien mehr als 60 Polizisten verletzt worden - „in Teilen schwer.

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Von den Querdenkern wird der UN-Sonderberichterstatter Melzer jedoch als Held gefeiert. Einige hatten am Freitag eine Eilversammlung in Kleinmachnow, kurz hinter der Berliner Landesgrenze in Berlin, angemeldet. „Wir gedenken zusammen mit dem UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer den Opfern von Gewalt im Zusammenhang mit Demonstrationen“, lautete das Motto der Versammlung.

Eine Szene von den Querdenker-Protesten am 1. August zeigt deutlich, dass derlei Videos schnell missinterpretiert werden können – auch von einem UN-Beauftragten, wie beim Schubsvideo. Ein anderes Video zeigt, wie ein Beamter einer Frau ins Gesicht greift. Dass die Querdenker-Demonstrantin den Polizisten angespuckt haben soll, wohlgemerkt in Corona-Zeiten, kam erst später heraus.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte den UN-Sonderberichterstatter denn auch in einem Statement am Wochenende, sich nicht von den Querdenkern instrumentalisieren zu lassen. (mit dpa)

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