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Bauwagen oder Tiny House? Die Grenze verläuft meist fließend, etwa hier bei der Wagenburg Herrmannswerder in Potsdam. 

© Andreas Klaer

Alternative Wohnformen: Berlins Linke wollen Wagenburgen legalisieren

Immer mehr Wagenburgen in Berlin sind von Räumung und Verdrängung bedroht. Die Linken suchen nun eine Möglichkeit, ihre Existenz dauerhaft zu sichern. 

Freiräume und alternative Wohnformen prägen an vielen Orten das Berliner Stadtbild. Doch ihre Zahl schwindet zunehmend: Einer der wohl prominentesten Wagenplätze der Stadt, der „Köpi-Platz“ an der Köpenicker Straße in Mitte, ist akut von einer Räumung bedroht.

An der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg, wo vor wenigen Monaten das wohl größte Obdachlosencamp Deutschlands und der angrenzende Wagenplatz „Sabot Garden“ geräumt wurden, fürchten zwei weitere Wagenplätze um ihre Zukunft. Das queere Wagenkollektiv „Mollies“ und deren Nachbarinnen von der „Wagenkunst Rummelsburg“ müssen zum Jahresende ausziehen. Auf ihren Flächen plant ein Investor Neubauwohnungen.

Wenn es nach den Plänen der Linken in Bundestag und Abgeordnetenhaus geht, soll sich das Bild aber zukünftig ändern: Sie wollen Wagenplätzen eine dauerhafte Rechtssicherheit und auch eine Legalisierung ermöglichen. So sollen Freiräume für alternative Wohnformen langfristig gesichert und auch von einem gewissen Stigma befreit werden. 

Am Montag stellten die Abgeordnete Hendrikje Klein und die Bundestagsabgeordnete Caren Lay (beide Linke) an der Rummelsburger Bucht ein von ihnen beauftragtes juristisches Gutachten vor, dass Möglichkeiten einer Legalisierung zeigen soll. 

„Wenn man in Berlin etwas derart Groteskes wie das Alexa genehmigen kann, kann man auch Wagenplätze genehmigen“, sagte Klein und spielte auf die bunkerartige Architektur des Einkaufszentrums am Alexanderplatz an.

Anwalt: Wagenplätze müssten baurechtliche Anforderungen erfüllen

Der zuständige Leipziger Anwalt Simon Schuster arbeitet seit mehreren Jahren zur rechtlichen Situation von Wagenplätzen. Er hält die bislang übliche Auslegung zweier Entscheidungen des Berliner Oberverwaltungsgerichtes (OVG) von 1998 beziehungsweise 2003 für falsch und nicht mehr zeitgemäß. 

Die einzelnen Wagenplätze sind sehr unterschiedlich, organisieren sich aber alle als Wohnkollektiv. Hier etwa der Wagenplatz Lohmühle am Landwehrkanal in Treptow. 
Die einzelnen Wagenplätze sind sehr unterschiedlich, organisieren sich aber alle als Wohnkollektiv. Hier etwa der Wagenplatz Lohmühle am Landwehrkanal in Treptow. 

© Doris Spiekermann-Klaas

In beiden Fällen hatte das OVG eine Wagenburg für nicht legalisierungsfähig erklärt, da sie nicht die baurechtlichen Anforderungen an eine Wohnung erfüllen würden. Ein Anfang 2021 veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hatte diese Sichtweise geteilt und geschlussfolgert: Bauwagen sind keine Wohnungen.

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Laut Schuster handelte es sich dabei aber um Einzelfall- und keine grundsätzlichen Entscheidungen. Seiner Ansicht nach sind Wagenplätze durchaus legalisierbar – sofern sie entsprechende baurechtliche Anforderungen nachweisbar erfüllen. 

Dazu zählen etwa das Vorhandensein von sanitären Anlagen und einer Küche sowie die Einhaltung von Brandschutzbestimmungen. Zudem seien Verwaltungen oft überfordert, weil das Konzept Wagenplatz in der Bauordnung schlicht nicht vorkomme.

Kiel und Rostock haben Wagenplätze legalisiert

Er verwies auf Beispiele aus anderen Bundesländern, etwa in Kiel und Rostock, wo Wagenplätze legalisiert worden seien. Gleichzeitig spielte er auf die neue „Tiny House“-Bewegung an, die „Fluch und Segen zugleich“ für die Wagenplätze seien. Denn der Übergang von Tiny Houses zu Bauwagen sei fließend und nicht immer klar – und wo Tiny Houses genehmigt werden können, gelte dies wohl auch für Bauwagen. 

Gegen den Köpi-Platz an der Köpenicker Straße in Mitte liegt aktuell ein Räumungstitel vor.
Gegen den Köpi-Platz an der Köpenicker Straße in Mitte liegt aktuell ein Räumungstitel vor.

© Doris Spiekermann-Klaas

Zudem helfe der neue Trend zum minimalen Wohnen, Wagenplätze von ihrem jahrzehntealten Stigma zu befreien. Viele Menschen würden Wagenplätze mit mangelnden Hygienestandards, Chaos und schlechten Lebensbedingungen assoziieren, sagte Schuster. Sobald man aber von Tiny Houses spreche, wandele sich plötzlich das Bild – dabei gebe es rein technisch in der Wohnform kaum einen Unterschied.

Möglich wäre auch ein Wagenplatzgesetz

Als eine mögliche Form der Legalisierung benannte Schuster den Erlass eines Wagenplatzgesetzes, das Bewohner:innen und Verwaltung klare Regelungen vorgeben könnte. Eine Alternative sei etwa eine angepasste Anwendung der Regelungen für Campingplätze, wodurch Wagenplätze ähnlich wie Dauercamper behandelt würden.

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Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay forderte, dass sich die Sicht auf Wagenplätze in Politik und Verwaltung ändern müsse. „Es handelt sich um alternative Wohnformen, die einen Platz in der Stadt haben“, sagte sie und sprach sich für einen neuen Passus in der Bauordnung aus, die „experimentelles Wohnen“ ermöglichen soll. 

Auch die Abgeordnete Hendrikje Klein kündigte an, sich in der neuen Legislaturperiode – gemeinsam mit den Bewohner:innen der rund 20 Berliner Wagenplätze – in einer neuen Arbeitsgruppe im Parlament für eine rechtliche Absicherung stark machen zu wollen. Von dieser könnten auch sogenannte Safe Places für Obdachlose profitieren, von denen unter anderem einer in Lichtenberg geplant ist. Für die beiden Wagenplätze an der Rummelsburger Bucht kommen die Pläne dann allerdings zu spät. 

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