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Juristen und Ärzte weisen daraufhin, dass die einzelnen Testzentren nicht als "Betriebsstätten" nummeriert sind.

© Julian Stratenschulte/dpa

Betrug in Berliner Corona-Testzentren: Jeder Betreiber kann Fälle „erfinden“ – Opposition will Vorgänge politisch aufklären

Hat es der Staat betrügerischen Teststellen-Betreibern leicht gemacht? Berlins Opposition wirft Berlins Gesundheitssenatorin Kalayci eine Mitschuld vor.

In Berlin wird gegen eine "zweistellige Anzahl" von Corona-Testzentren im "gesamten Stadtgebiet" ermittelt, Tendenz steigend. Dabei geht es in allen Fällen um möglichen Betrug. Das erfuhr der Tagesspiegel am Montag aus Justizkreisen.

Derweil wird Kritik an der den Tests zugrundeliegenden Bundesverordnung lauter. Im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag warfen CDU und FDP auch dem Berliner Senat eine "Nachlässigkeit" vor. So verwiesen Juristen und Ärzte darauf, dass die einzelnen Testzentren nicht als "Betriebsstätten" nummeriert sind, wie das beispielsweise bei Praxen, Restaurants oder Friseuren der Fall sei.

Zwar müssen sich die Betreiber der Zentren bei der Senatsgesundheitsverwaltung registrieren. Hat ein Kleingewerbetreibender aber mehrere Stationen errichtet, lässt sich nur schwer zuordnen, wo er welche Corona-Tests durchführen ließ - denn Betriebsstätten-Nummern fehlen.

Das erleichtere den Abrechnungsbetrug, was Ärzte wie folgt skizzieren: Ein Betreiber meldet eine unwahrscheinlich hohe Zahl an Getesteten. Allerdings wird eines seiner Zentren von Patienten, Anwohner oder gar Ermittlern beobachtet - und die stellten fest, dass es weitgehend leer blieb. Der Betreiber kann nun sagen, er habe in diesem Zentrum tatsächlich kaum Besucher gehabt, in seinen anderen Teststellen dafür aber umso mehr. Das Gegenteil wird sich schwer beweisen lassen.

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Insgesamt gibt es in Berlin mehr als 1500 Testzentren bei rund 500 Betreibern. Nach der Verordnung der Bundesregierung sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) für die Abrechnungen zuständig. Wer als Kleingewerbetreibender eine Schulung absolviert, geeignete Räume hat und sich damit bei der Verwaltung von Senatorin Dilek Kalayci (SPD) registriert, kann loslegen. In Berlin werden Cafés, Imbisse, Friseure, aber auch Apotheken und Praxen dafür genutzt.

Theoretisch kann jedes Testzentrum zahlreiche Fälle abrechnen

Für einen Corona-Schnelltest in einem solchen Ad-hoc-Zentrum ist kein medizinisches Personal erforderlich. Pro Test gab es von der KV bislang sechs Euro für das Material, dazu zwölf Euro pro Abstrich. Nur die Zahl der Abstriche und die Betreibernummer müssen der KV gemeldet werden, konkrete Daten nicht. Theoretisch kann jedes Testzentrum zahlreiche Fälle "erfinden". Die KV erhält zudem einen "Verwaltungskostenersatz" in Höhe von 3,5 Prozent.

Man habe, sagen Juristen, doch bei den Corona-Soforthilfen gesehen, dass Betrüger immer dann aktiv werden, wenn Geld schnell und ohne Prüfung ausgezahlt werde. Die Corona-Tests werden aus öffentlichen Mitteln vergütet.

Angesichts des Verdachts auf massenhaften Abrechnungsbetrug hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schärfere Kontrollen angekündigt, zudem wurde die Vergütung geändert: Für den Abstrich sollen nur noch acht Euro, für den Kauf des ohnehin günstiger gewordenen Materials drei Euro pro Test gezahlt werden. Anbieter müssten zudem damit rechnen, sagte Spahn, dass ihre Unterlagen bis 2024 überprüft werden können. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen die Abrechnungen gründlicher kontrollieren, in Einzelfällen müssten Wirtschaftsprüfer ran.

Senatorin Kalayci sieht Verantwortung beim Bund

In Berlins Gesundheitsausschuss fragte der CDU-Abgeordnete Tim-Christopher Zeelen, warum Senatorin Kalayci nicht auf frühere Betrugshinweise reagiert habe. Schließlich, sagte Zeelen, habe die KV schon im Mai auf mögliche Unstimmigkeiten hingewiesen. Kalayci reagierte knapp, um nicht zu sagen unwirsch: Für die Abrechnung sei die KV zuständig, für das Aufklären von Straftaten wiederum die Polizei.

Kalayci weiter: Der Grund für die Debatte sei zudem die mangelhafte Verordnung des Bundes, die keine "Plausibilitätsprüfung" vorgesehen habe, verantwortlich seien also weder der Senat, noch KV in Berlin. Die CDU behält sich dennoch vor, die Frage nach möglichem Betrug im Parlament aufarbeiten zu lassen. Man suche nach einem "geeigneten Weg", sagte Zeelen.

Immer wieder hatten Landespolitik und Kassenärzte in der Pandemie gestritten. Die KV ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts, in Berlin müssen ihr alle 9000 Ärzte und Psychotherapeuten angehören, die in ihren Praxen gesetzlich Versicherte versorgen. Die KV verwaltet die Honorare der Krankenkassen autonom. Der Senat darf nur bei groben Rechtsverstößen eingreifen.

Zwar sind die Kassenärzte für die Abrechnung in den (zumeist nicht von Ärzten betriebenen) Testzentren zuständig. Hygiene, Aufbau und Ablauf in diesen Stationen aber müssen von den Behörden kontrolliert werden. Wie berichtet waren fünf Corona-Teststellen sind in Neukölln vergangene Woche geschlossen worden, dazu ein Zentrum in Reinickendorf.

Ein Sprecher des Neuköllner Bezirksamtes sagte, man habe "strukturelle Defizite" bei der Hygiene festgestellt. Senatorin Kalayci sagte am Montag: "Wir befinden uns nun in der Phase der Bereinigung, es geht nun darum, die schwarzen Schafe zu finden."

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