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Unter den Eichen 126-135 plante und finanzierte das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) der SS für das Deutsche Reich und das gesamte besetzte Europa die Konzentrations- und Vernichtungslager. Heute ist im Gebäude das Bundesbauamt untergebracht.

© Boris Buchholz

Auschwitz wurde auch in Steglitz geplant: „War vielleicht einer der netten alten Kunden ein Mit-Organisator des Holocaust?“

Mitten im Steglitzer Kiez wurde der Massenmord organisiert: Im Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS wurden die Konzentrationslager geplant und die blutigen Einnahmen verteilt. Ein Gastbeitrag.

Von Regine Buchheim

Stand:

Vor 80 Jahren wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz befreit. Die unfassbaren Routinen des Holocaust und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit fanden vor allem im besetzten Osten Europas statt, organisiert wurden sie aber in meinem Kiez, im Südwesten Berlins.

An der Adresse Unter den Eichen 126-135 plante und finanzierte das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) der SS für das Deutsche Reich und das gesamte besetzte Europa die Konzentrations- und Vernichtungslager. Es „verlieh“ die KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter an deutsche Unternehmen und rechnete ihre Sklavenarbeit auf den Pfennig genau zugunsten der SS ab. Hier wurde die Mordmaschinerie personell organisiert und finanziert – samt der Verwertung der letzten, bei der Deportation mitgebrachten Habe der Ermordeten. 2015 wurde Oskar Gröning, der „Buchhalter von Auschwitz“, als einer der letzten lebenden Täter verurteilt. Als gelernter Bankkaufmann war er als „Zahlmeister“ der SS und damit dem WVHA beigetreten und wurde aus Steglitz entlohnt und befördert.

Wie oft bin ich an diesem rot gestrichenen, gepflegten Verwaltungsgebäude des heutigen Bundesamts für Bauordnung und Raumwesen vorbeigefahren? Nie fiel mir die Gedenktafel oder die Mahnort-Stele mit dem unerträglichen Foto aus Auschwitz, mit Bergen von Schuhen der Ermordeten, auf. 2013 hatte das Kulturamt Steglitz unter dem treffenden Titel „Hitlers Schreibtischtäter“ eine Ausstellung organisiert. Ich hatte das gar nicht mitbekommen. Aber den Besuch in Auschwitz mit Anblick der Schuhberge, Brillen, Koffer und Haare kann ich nie mehr vergessen.

Organisatorisch stand das WVHA unter Heinrich Himmler auf der gleichen Ebene wie das SS-Reichssicherheitshauptamt, das durch den späteren Prozess gegen Adolf Eichmann und die Topografie des Terrors am Ort seiner ehemaligen Zentrale mehr im Geschichtsbewusstsein blieb. Das WVHA gründete zahlreiche Tochtergesellschaften, von denen beispielsweise die Deutsche Erd- und Steinwerke oder die Deutsche Ausrüstungswerke GmbH Außenstellen in zahlreichen Konzentrationslagern hatten und neben der Ausbeutung der KZ-Häftlinge das Ziel „Vernichtung durch Arbeit” verfolgten.

Regine Buchheim ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin.

© HTW Berlin/Alexander Rentsch

Amtsleiter Oswald Pohl baute während des Zweiten Weltkriegs das WVHA von der Geld- und damit Machtquelle der SS zur zentralen Stelle für die ökonomische Ausbeutung der europäischen Juden und deren Ermordung aus. In der zweiten Kriegshälfte herrschte er über rund 40.000 Mitarbeiter und 1.200 Haupt- und Nebenlager in ganz Europa, in denen mehr als eine halbe Million KZ-Häftlinge litten und starben.

1947 wurde Oswald Pohl als Einziger bei einem der Nachfolgeprozesse von Nürnberg zum Tode verurteilt und, trotz Einwänden des damaligen Bundestagspräsidenten und anderer hochrangiger Politiker, 1951 von den Alliierten hingerichtet. Der Prozess gegen Pohl und andere Führungsleute des SS-WVHA führte aber weder bei den Angeklagten selbst, noch bei weiten Teilen der Öffentlichkeit zu der Einsicht, dass die Organisatoren und Finanziers der Konzentrations- und Vernichtungslager ebenso große Schuld auf sich geladen hatten wie die Mörder vor Ort, in Auschwitz und anderswo.

40.000
Mitarbeiter hatte das WVHA.

Die perfide Akribie und den Fanatismus Einzelner zeigt exemplarisch ein Aktenvermerk aus Weimar Ende März 1945, der im Bundesarchiv überliefert ist. Ein SS-Sturmbannführer verfasst für das WVHA zwei handgetippte Seiten zu mehreren Vernichtungslagern: „Bei der Fertigstellung der Bilanz des Werkes Auschwitz bin ich auf die verschiedensten Schwierigkeiten gestoßen … Dass die Buchhaltung und die gesamten kaufmännischen Arbeiten in diesen Werken jeder Beschreibung spotten, dürfte Ihnen bekannt sein.“ Das Arbeits- und Vernichtungslager Auschwitz war da bereits seit zwei Monaten befreit – der SS-Mann aber sorgte sich um korrekte Buchhaltung.

SS-Konten bei der Dresdner Bank

Lange nach dieser traurigen Erkenntnis lese ich die Berichte des US-Office of Military Government for Germany (OMGUS) über Kriegsverbrechen der I.G. Farben, der Dresdner und der Deutschen Bank. General Lucius D. Clay, geehrt mit der Clayallee in Zehlendorf, sollte nach dem Zweiten Weltkrieg eine amerikanische Militärverwaltung in Deutschland schaffen, die auch Verstrickungen der deutschen Wirtschaft mit dem Nationalsozialismus dokumentieren und so bei den Nürnberger Prozessen Beweismaterial liefern sollte. Aufgrund des sich anbahnenden Kalten Krieges wurden aber in Nürnberg nur die Manager der I.G. Farben angeklagt, die Banker hatten Glück und kamen unbehelligt davon.

Am Eingang von Unter den Eichen 129-135 erinnert eine Gedenktafel an das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS und ein Außenlager des KZ Sachsenhausens.

© Boris Buchholz

Trotz eines mehrmonatigen Praktikums in der Presseabteilung der Dresdner Bank in Frankfurt am Main lese ich im OMGUS-Bericht zum ersten Mal, dass sie schon in den 1920er Jahren die Hausbank der SS war und ihr im deutschen Angriffskrieg gen Osten folgender Ruf vorauseilte: „Erst kommt der Tank (der Panzer) und dann die Dresdner Bank.“ Mehrfach beschwerte sich beispielsweise die Deutsche Bank erfolglos beim Reichsführer-SS, bei der Arisierung jüdischen Vermögens und der Beschlagnahmung sonstigen „Feindvermögens“ benachteiligt zu werden.

Sehe ich Gespenster oder war vielleicht einer der netten alten Kunden meiner Filiale einer der Mit-Organisatoren des Holocaust?

Regine Buchheim

Es braucht keinen Stadtplan, um den Zusammenhang zwischen dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt Unter den Eichen und der nächstgelegenen Filiale der Hausbank der SS am Rathaus Steglitz herzustellen. Ich habe dort sechs Jahre lang gearbeitet: Sehe ich Gespenster oder war vielleicht einer der netten alten Kunden meiner Filiale einer der Mit-Organisatoren des Holocaust?

Unter den Eichen 126-135 plante und finanzierte das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) der SS für das Deutsche Reich und das gesamte besetzte Europa die Konzentrations- und Vernichtungslager.

© Boris Buchholz

Einige Jahre später halte ich antiquarisch eine Dokumentation über die Dresdner Bank und den Reichsführer-SS in den Händen: Fast 300 Kisten mit Akten des WVHA wurden im März 1945 von den Tätern nach Bayern ausgelagert und damit unfreiwillig für das spätere Bundesarchiv gerettet. Der wesentliche Inhalt der „Flucht-Kiste 11“ wird in diesem vergriffenen Buch abgedruckt.

Ich erfahre: Am Rathaus Steglitz, in der Schloßstraße 85, der Depositenkasse 12 der Dresdner Bank, wurden die Firmenkonten des Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes der SS geführt. Die Inventarlisten, die Gehalts- und Steuerbelege der SS-Firmen sind im Bundesarchiv ebenso erhalten wie die Kontoauszüge des 1943 eröffneten „Endlösungs-Kontos“ Reinhard/WVHA Nr. 2300/11 meiner Bankfiliale. Hier wurde ein Teil der Erträge aus der Verwertung der letzten Habseligkeiten der ermordeten osteuropäischen Juden aus der „Aktion Reinhard“ verbucht. Oskar Gröning, gelernter Bankkaufmann wie ich, hatte die Wertsachen und Devisen teils persönlich von Auschwitz nach Steglitz transportiert.

In meinem Kiez gibt es auch einen kleinen Trost: In der Hortensienstraße lebte der 1944 hingerichtete Widerstandskämpfer des Kreisauer Kreises Graf Yorck von Wartenburg. Seine Witwe lebte hier ebenso wie Freya von Moltke, Eugen Gerstenmaier und Joachim Tiburtius. Und die ehemalige Kaserne der Leibstandarte SS Adolf Hitler in der Finckensteinallee beherbergt nun mit dem Deutschen Bundesarchiv das Gedächtnis unserer Vergangenheit.

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