
© Jörg Carstensen/dpa
„Wir bräuchten eine Hundertschaft“: Berlins größter Bezirk sieht sich mit Besuchermassen am Weißen See überfordert
Pankows Bürgermeister beteuert, vor den Zuständen am See nicht kapitulieren zu wollen. Der Bezirk stehe Übernutzung und Regelbrüchen aber bisher hilflos gegenüber.
Stand:
Hohe Wellen hat unser Artikel über die Zustände im Park am Weißen See geschlagen. LeserInnen und der Weißenseer CDU-Politiker Dirk Stettner hatten darin einen zunehmenden Verfall der Grünanlage und ein Versagen der Behörden beklagt. Der Artikel wurde zigtausendmal im Netz gelesen und geteilt.
Das Bezirksamt reagierte darauf mit einer offiziellen Pressemitteilung, in der Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) die dramatische Lage im Park durch massive Übernutzung und die teilweise Hilflosigkeit der Behörden deswegen einerseits einräumt.
Die Probleme seien dem Bezirksamt und der Polizei bekannt. Doch: "Wir kapitulieren nicht. Im Juli dieses Jahres gab es, nicht zum ersten Mal, ein Treffen der Anlieger und der verschiedenen Ämter, wo die Probleme aufgezeigt und Lösungsansätze diskutiert wurden", so Benn.
Seit Jahren bemühten sich die Ämter des Bezirks umfangreich um die Sicherung und Aufwertung der Parkanlage. "Tatsächlich werden unsere Aktivitäten in der jüngeren Vergangenheit durch eine Übernutzung teilweise überblendet", erklärt Benn. "Die stärkere Frequentierung großer öffentlicher Grünanlagen hat seine Ursachen im stetigen Zuzug, immer mehr Menschen in kleineren Wohnungen und auch pandemisch bedingte Reisebeschränkungen."
Die Situation am Weißen See sei dabei "kaum vergleichbar mit anderen Grünanlagen unserer Stadt. Die Lagegunst durch ÖPNV-Anbindung mit allein vier Tramlinien, 16 Minuten vom Alexanderplatz entfernt, gepaart mit attraktivem Freizeitangebot (in diesem Falle der kostenlosen, wenn auch illegalen Bademöglichkeit) zieht bei entsprechender Wetterlage deutlich mehr Menschen an, als es der Park verträgt."
Ein Vergleich mit dem Schäfersee in Reinickendorf, wo man die Situation offenbar unter Kontrolle gebracht hat, hinke insofern. Verbotsschilder würden aber auch am Weißen See "ständig angebracht und sogleich wieder zerstört. Natürlich sind auch aktuell neue Beschilderungen geplant!"
Bürgermeister: Einsatz von Parkwächtern nützt kaum etwas
Allerdings sei Pankows Ordnungsamt "natürlich nur 'minimal invasiv' in der Lage, die angezeigte Situation zu bewältigen", so Benn weiter. Der Einsatz der Fahrradstaffel in Grünanlagen werde zwar positiv aufgenommen. "Aber an einem Hochsommertag mit unzähligen Sonnenhungrigen und Badegästen, die teilweise alkoholisiert, jegliche Regel missachten, helfen weder zwei noch vier Außendienstmitarbeiter, eine Hundertschaft wäre angebrachter!"
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Leider zeige auch der Einsatz der Parkwächter an dieser Stelle "nicht die notwendige Wirkung". Vom Bezirk beauftragte externe Parkwächter sind in der Tat seit 2019 auch am Weißen See zugegen. Doch das nütze kaum etwas, so Benn, "da deren Eingriffsmöglichkeiten nach Hinweisen begrenzt und von den Delinquenten wenn überhaupt belächelt werden". Ein Großteil der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten werde zudem in den Spätabend- und Nachtstunden vollzogen, "die Polizei ist im Bilde".
Benn kritisiert dabei, "dass gerade der Organisator des Weißenseer Blumenfestes trotz ständiger Versprechungen nicht in der Lage war, die Auflagen unserer Ämter, etwa des Befahrens von Wegen und Vegetationsflächen, insbesondere der sensiblen Wurzelbereiche der Parkbäume, einzuhalten."
Bund fördert Klimaprojekt im Park mit zwei Millionen Euro
Die knapp zwei Millionen Euro, die der Bund für ein Pilotprojekt zur Klimaanpassung des Parks gibt, sieht Benn als Zeichen der Hoffnung. Geplant ist, den Wasserspiegel durch die Zulassung von Regenwasser vor dem weiteren Absinken zu bewahren. "Der Bezirk verfolgt das Projekt mit hoher Priorität", so Benn.
"Daneben arbeiten wir schon seit Jahren an einem Gesamtkonzept für den Park mit zehn Schwerpunktbereichen und setzen diese Planung schrittweise um." Über diese Pläne (u.a. Wiederherstellung der durch Erosion geschädigten Ufer, Rettung des Schilfgürtels, barrierefreie Wege, neue Beleuchtung) hatten wir bereits berichtet, sie sollen bis 2026 umgesetzt werden.
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Auch die Sanierung des Spielplatzes mit Plansche und die neue Toilette am Zugang Parkstraße führt Benn als Beispiele für eine positive Entwicklung am Weißen See an. "Zusätzlich reinigt die BSR schon seit 2016 den Park. (...) Im Frühjahr und Herbst gab es Reinigungsaktionen am See und bei einem Taucheinsatz wurde Müll aus dem See entfernt. Der Auftrag für die Reinigungsanlage am neuen Grundwasser-Brunnen wird gerade ausgelöst, im Frühjahr 2021 ist die Umsetzung geplant."
All dies ist richtig, insofern ist eine "Kapitulation" wie von manchem vorgeworfen sicher nicht zutreffend. Allerdings bleibt nach Benns ehrlichen Worten zur Überforderung des Bezirks mit den Besuchermassen die zentrale Frage weiter ungelöst: Wie schützt man den Weißen See davor, an seiner eigenen Attraktivität zugrunde zu gehen?
"Es ist ein Maßnahmemix, mit dem wir gegensteuern", sagt Benn dazu auf Nachfrage. "Regelmäßige Putzaktionen stehen ebenso auf der Agenda. Und selbstverständlich werben wir beim Senat und Abgeordnetenhaus dafür, mehr Haushaltsmittel auch für Ordnungsaufgaben zu bekommen."
Initiative kritisiert "Opferlegende" des Bezirksamts
Widerspruch gegen die Bezirksamts-Version kommt aus berufenem Weißenseer Mund. Uwe Scholz, der mit seiner Spielplatz-Initiative seit Jahren gegen die Verwahrlosung des öffentlichen Raums um den Weißen See kämpft, sagt: "Da hat Herr Benn sicherlich ungewollt eine Falschmeldung weitergegeben."
Denn Beschilderungen würden mitnichten ständig neu angebracht: "Durchgängig im gesamten Park vorhanden ist die Originalausstattung, die nach der Wende angeschraubt wurde", so Scholz. "Inzwischen komplett runtergerockt. Sie sendet an alle Besuchenden die klare Botschaft: Um diesen Park hat sich schon lange niemand mehr gekümmert. Broken Window und so. Ich nehme an, gepflegte Schilder wären schonmal billiger zu haben als die stettnersche Polizeischwemme."
Die Argumentation mit dem Austausch und der Zerstörung der Schilder sei "eine immer wieder gern vorgetragene, weil beliebte, Opferlegende aus der Abteilung Kuhn", sagt Scholz. Gemeint ist Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne), dem auch das Straßen- und Grünflächenamt untersteht. "Das kaputtgesparte Grünflächenamt ist aber nicht Opfer der Bevölkerung, sondern Opfer der neoliberalen R2G-Politik zur systematischen Zerstörung des öffentlichen Raums."
Im Oktober habe er beim Schilderreinigen mit den "Parkfreunden Weißensee" mitgemacht, berichtet Scholz. "Ein kaputtes Hauptschild von Graffitti und mehreren Aufkleberschichten zu reinigen, zu zweit und mit hochgiftigen Chemikalien, dauert 40 Minuten. Anschließend sieht man schemenhaft noch die Reste der Schildbeschriftung: 'Bezirksamt Weißensee von Berlin'. Und das Bezirksamt Weißensee wurde bekanntlich leider vor 20 Jahren aufgelöst."
Auch Benns Aussage, wonach "auch aktuell neue Beschilderungen geplant" seien, zweifelt Scholz an: "Wann, wo, wie? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe."
"Maßnahmen werden erst in 70 Jahren umgesetzt"
Die erreichte Bund-Finanzierung für die Rettung des Wasserstands sei zwar ein Grund zur Freude. Doch der von Benn vorgetragene Maßnahmenplan für den Park werde angesichts der bisherigen Bezirksamts-'Schlagzahl' wohl "in frühestens 70 Jahren umgesetzt sein", so Scholz.
"Herr Benn hatte diese Projekte im Juni 2018 auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion vorgestellt. Kaum hatte er die Veranstaltung verlassen, beeilte sich damals Stadtrat Kuhn zu erläutern, dass alle 14 Maßnahmen bis auf den Spielplatzplan 'reine Schubladenpläne' seien, weil schlicht kein Geld zur Umsetzung vorhanden sei."
Auch den CDU-Politiker Stettner nimmt Scholz von seiner Kritik nicht aus. "Ich war in den letzten drei Jahren bei diversen Koordinierungstreffen, in Abstimmungsrunden und bei Putzaktionen für den Park. Den Abgeordneten Stettner habe ich bei keinem einzigen Termin gesehen, bei dem es um konkrete Verbesserungen für den Park ging."
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