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Eine Mieter:innenkundgebung auf der Straße der Pariser Kommune in Friedrichshain.

© RomaTrial e.V.

Film über Rassismus und Antiziganismus: „Viele Menschen haben Stereotype über Sinti und Roma in ihren Köpfen“

In einem Dokumentarfilm geben junge Roma* Einblicke in ihr Leben. Die Verdrängung vieler Protagonist:innen wird beleuchtet, die im sogenannten „Block“ am Ostbahnhof lebten.

Stand:

Im Grünen Salon läuft der Film „Amaro Filmos – Wir sind hier!“. In dem partizipativen Dokumentarfilm geben junge Roma* aus Berlin einen Einblick in ihr Leben. Rassismus, Antiziganismus, Gentrifizierung und die damit einhergehende räumliche Verdrängung einer ganzen Community werden beleuchtet – denn viele der Protagonist:innen lebten im sogenannten „Block“ am Ostbahnhof, bis Ende 2022 die letzten Familien ausziehen mussten.

Zu ihnen gehört auch David Paraschiv, einer der Protagonist:innen des Films und Peertrainer im Bildungsprojekt „Wir sind hier!“. Hier erzählt er, was er am „Block“ vermisst und wie er gegen die Diskriminierung von Roma und Sinti kämpft.

David Paraschiv, Peertrainer im Bildungsprojekt „Wir sind hier!“

© WIR SIND HIER!

Die Familien der rumänischen Roma*-Gemeinschaft, die den „Block“ in der Straße der Pariser Kommune zehn Jahre lang vorwiegend bewohnt haben, mussten aufgrund von Immobilienspekulation ausziehen: Die Eigentümerin will das marode Gebäude abreißen lassen, um an selber Stelle ein doppelt so großes Wohn- und Gewerbehaus zu errichten. Ihre Familie war eine der letzten, die Ende 2022 aus dem Wohnblock auszogen. Wie haben Sie diesen Ort erlebt – und vermissen Sie ihn?
Meine Familie war sogar die letzte, die im Block gewohnt hat. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich den Wohnblock als lebendigen Ort erlebt habe, in dem ich mich sicher und behütet gefühlt habe. Es war immer etwas los und es hat mir gefallen, dass meine Freunde gleich nebenan gewohnt haben. Ich vermisse den Block, die Menschen und den Zusammenhalt sehr.

Der Wohnblock in der Straße der Pariser Kommune.

© Alexander Rönisch

Sind im Fall des „Blocks“ Diskriminierung und Gentrifizierung miteinander verzahnt?
Um es gar klar zu sagen: Ja! Die Diskriminierung war ganz klar in unserem Falle ein Mittel zur Vertreibung, also zur Gentrifizierung. Familien, die weniger Einkommen und zum Teil viele Kinder haben, wurden auf allen Wegen zum Auszug gedrängt. Zum Beispiel wurden Sprachbarrieren und fehlendes Wissen über die Rechte von Mieter*innen konsequent ausgenutzt.

Der Bezirk versuchte über die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM), den „Block“ zu kaufen, der geforderte Kaufpreis sei laut WBM jedoch zu hoch gewesen. Fühlen Sie sich vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Stich gelassen?
Dazu fehlen mir grundlegende Informationen über den möglichen Verkauf der Immobilie. Was ich aber sagen kann, ist, dass der Bezirk sich bemüht hat, mit uns zu kommunizieren. Ich habe trotzdem die Bürokratie und Zuständigkeiten nie richtig verstanden. Insgesamt ist die Situation aber sehr enttäuschend für alle Bewohnerinnen ausgegangen. Also ja: Ich habe mich im Stich gelassen gefühlt.

Haben die Familien, die den Block verlassen mussten, alle neue Wohnungen gefunden? Und ist die ehemalige Community jetzt über ganz Berlin verstreut?
Viele der Familien leben jetzt in ganz Berlin verstreut. Dadurch wurde die Community zerstört. Die Solidarität und das Sicherheitsgefühl sind dadurch mit verschwunden. Wir waren insgesamt 30 Familien in dem Block, leider habe ich nicht zu allen mehr Kontakt und kann dadurch nicht genau sagen, ob alle neue Wohnungen gefunden haben.

Wir fordern unseren Platz in der deutschen Gesellschaft ein.

David Paraschiv, Peertrainer im Bildungsprojekt „Wir sind hier!“

Sie sind Peer-Trainer gegen Antiziganismus und im Bildungsprojekt „Wir sind hier!“ aktiv. Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Ich würde mir wünschen, dass die rassistische Fremdbezeichnung für Sinti und Roma endlich aus den Köpfen der Menschen verschwindet. Die Menschen sollen verstehen, wie vielfältig, divers und interessant wir sind. Das Projekt nennt sich „Wir sind hier“ und das ist auch unsere Botschaft: Wir fordern unseren Platz in der deutschen Gesellschaft ein.

Wie verbreitet ist Antiziganimus heute in Berlin respektive der deutschen Gesellschaft insgesamt?
Antiziganismus ist sehr verbreitet, und ich werde fast täglich damit konfrontiert. Das kann im Supermarkt, im Restaurant, bei der Wohnungssuche oder auf Arbeit sein. Viele Menschen haben starke Stereotype über Sinti und Roma in ihren Köpfen, die meistens nichts mit der Realität zu tun haben und mich sehr verletzen. Ich glaube, dass wir in der deutschen Gesellschaft nicht gesehen werden und in der Politik kaum repräsentiert sind.

Kinder beim „ROMADAY“ nahe dem Brandenburger Tor.

© Stephanie Ballentine

Wie blicken die Protagonist:innen des Films – beziehungsweise junge Roma* insgesamt – auf ihre Gegenwart und Zukunft? Treten sie selbstbewusster auf als Roma* früherer Generationen?
Wir versuchen positiv auf unsere Zukunft zu blicken, in der Hoffnung, dass wir irgendwann keine Angst mehr haben müssen. Das Schönste an dem Film ist, dass jeder und jede ihre eigene Sicht auf das Leben hat. Wir sind eine neue Generation und versuchen, viele junge Sinti und Roma zu motivieren, sich nicht zu verstecken, sondern selbstbewusst ihren Platz in der deutschen Gesellschaft einzunehmen.


Aus Friedrichshain-Kreuzberg berichtet Nele Jensch in dieser Woche außerdem über folgende Themen:

  • Deal with the Devil: Linke Journalist:innen bereicherten sich an Kreuzberger Wohnhaus 
  • U-Bahnhof Möckernbrücke: Aufzug-Einbau womöglich erst 2027
  • Digitalisierung an Hunsrück-Grundschule erfolgreich - anderswo hapert es
  • Maßnahmen für mehr Schulwegsicherheit in der Simplonstraße gestartet
  • „Story of My Life“: Neue Ausstellung im Museum der Dinge
  • Kiezgespräch mit Abgeordneten zur Mietenproblematik am Südstern
  • Afterhour mal anders: Holy Brunch in der Markthalle Neun
  • Japan-Markt im Festsaal Kreuzberg
  • Anwohnende protestieren gegen Neubauprojekt in ihrem Friedrichshainer Innenhof

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