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Martin Delius (rechts) spricht mit vielen Interessierten über die Situation der Flüchtlinge im Rathaus Wilmersdorf.

© Jana Scholz

Ehrenamt in Wilmersdorf: Hilfe für Flüchtlinge als Signal für die Zivilgesellschaft

Willkommen in Wilmersdorf - wie die Helfer von Flüchtlingen in dem Berliner Stadtteil ihre Arbeit organisieren und was sie politisch damit verbinden.

Das Büro der guten Laune ist gedrängt voll. Um 19.30 Uhr sind alle Stühle besetzt, wer nun noch kommt, muss stehen. Zum Ehrenamtstreffen im Abgeordnetenbüro von Martin Delius (Piraten) sind über sechzig Interessierte gekommen. Im Fokus des Treffens unter der Leitung des Abgeordneten steht zunächst die Situation der Flüchtlinge im Rathaus Wilmersdorf. Größtenteils sind die Anwesenden bereits ehrenamtlich aktiv, viele helfen im Rathaus und kennen die Lage gut. Wichtigster Tagesordungspunkt war die Vernetzung unter den Helferinnen und Helfern: Die Ehrenamtlichen fanden sich in Gruppen etwa zu den Themen Kinderbetreuung, Frauentreff oder Deutschunterricht zusammen und tauschten Kontaktdaten aus.

Aktuell wohnen 560 Männer, Kinder und Frauen im Rathaus Wilmersdorf. Seit knapp zwei Wochen dient das Rathaus als Notunterkunft. Seitdem statteten Freiwillige, der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) sowie die Initiativen "Wilmersdorf hilft" und "Willkommen in Wilmersdorf" das leere Rathaus mit Betten aus. Zwei Duschzelte wurden inzwischen aufgestellt. Auf die Duschcontainer warten die Flüchtlinge noch immer, darüberhinaus sind die Container wohl zu groß für die Toreinfahrt. Nun ist im Gespräch, sie per Hubschrauber in den Rathaushof zu hieven.

Treff bei Piraten, Initiative aber parteiübergreifend

Die Initiative "Willkommen in Wilmersdorf" trifft sich regelmäßig im Büro der Piraten. Sie arbeitet aber parteiübergreifend. Bündnis 90/ Die Grünen, Linke und SPD unterstützen das Engagement. Das Bündnis gründete sich dieses Jahr im März um die Flüchtlinge in der Wilmersdorfer Gretel-Bergmann-Turnhalle zu unterstützen. Martina Schröder von "Wilmersdorf hilft" ist täglich im Rathaus. Zwar seien die Zustände lange nicht so wie im Lageso. "Doch die Einrichtung ist äußerst spartanisch und entspricht keineswegs Standards", sagt sie.

Die Flüchtlinge im Rathaus kommen vor allem aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und den Balkanländern. Inzwischen gibt es einen Frauen-, einen Kinder- und einen Männerraum in der Notunterkunft. In Planung ist auch ein Gebetsraum. Den Deutschunterricht übernehmen derzeit zehn ehrenamtliche Lehrer.

Es fehlt an Abenddiensten

Das Materiallager der Ambulanz und der Apothekenraum sind soweit ausgestattet, dass die gängigsten Krankheiten behandelt werden können. Für viele ehrenamtlich tätige Fachärzte ist allerdings problematisch, dass sie häufig mit Krankheiten konfrontiert sind, die nicht ihrem Fachgebiet entsprechen.

"Das Spielzimmer ist inzwischen gut ausgestattet", berichtet Lea Frings von der Initiative "Willkommen in Wilmersdorf". Insbesondere die Bilderbücher seien bei den Kindern im Haus, die alle zwischen zwei Monaten und acht Jahren alt sind, sehr beliebt. Weitere Sachspenden für das Spielzimmer sind laut Frings derzeit eher nicht nötig, die Lager seien bereits voll. Aber das kann sich auch wieder ändern, weshalb man die Spendenbereitschaft nicht eindämmen will.

In jedem Fall gebraucht werden BVG-Tickets und Taxi-Gutscheine, die etwa für Fahrten zu Fachärzten nötig sind, berichtet ein Ehrenamtlicher von "Wilmersdorf hilft". Diese seien sehr willkommen. Auch Dolmetscher werden weiterhin gesucht, etwa für die Essensausgabe, die Registrierung und die Kinderbetreuung, sagt Martina Schröder. Zudem fehlt es im Rathaus vor allem noch an Freiwilligen, die die Abenddienste bis 22 Uhr übernehmen, berichtet eine Helferin aus dem Rathaus. Diese sollten nach Möglichkeit männlich sein, da in der übergroßen Mehrheit Männer in der Unterkunft wohnen. Es gibt also noch jede Menge Möglichkeiten, sich einzubringen. Mehr dazu ist auf der Website der Initiative "Willkommen in Wilmersdorf" zu erfahren. Dort kann man sich auch gleich in entsprechende Listen und Dienstpläne eintragen. Auch Bürger, die nur wenig Zeit haben, sich einzubringen, sind willkommen.

Hilfe als politisches Zeichen

Delius erwartet, dass Berlin das Hochhaus der ehemaligen Landesbank in der Bundesallee 171 schon bald kaufen könnte um den Andrang der Flüchtlinge besser aufzufangen: Dann könnte die zentrale Aufnahme hierher verlegt werden, die derzeit das Lageso bewältigen muss. "Alle Fraktionen im Senat halten die Idee für gut", sagt Delius. Für eine Summe zwischen 26 bis 29 Millionen Euro könne das Land das Gebäude kaufen. Er hofft, dass es spätestens Ende September soweit sein könnte, womöglich sogar früher. Auch Notbetten zum Übernachten könnten dort aufgestellt werden, um die Situation der Wartenden zu verbessern.

Lea Frings war bei dem Besuch des Bundespräsidenten im Rathaus am Mittwoch dabei. "Ich hoffe, es bleibt nicht bei Symbolpolitik", sagt die Ehrenamtliche. Von Gaucks Besuch könne aber ein Signal in die Gesellschaft ausgehen. Die Hilfe im Rathaus Wilmersdorf sei ein deutliches Zeichen und ein Beispiel, wie gutes Zusammenleben funktionieren kann. Die Ehrenamtlichen erhoffen sich von ihrer Arbeit ein Signal für ein Erstarken der Zivilgesellschaft in Berlin und Deutschland. Dieses Signal sei auch politisch zu verstehen, es ginge nicht nur um praktische Arbeit. Dabei fiel auf, dass Parteipolitisches an diesem Abend außen vor blieb.

"Der Bezirk ist sehr aktiv"

Auch Martin Delius ist erfreut über den Andrang beim Ehrenamtstreffen und das Engagement der Wilmersdorfer. "Der Bezirk ist sehr aktiv", sagt er mit Blick auf dessen Bürger. Obwohl der Abend lang war, bliebt die Stimmung in dem Abgeordnetenbüro entspannt, die Tagespunkte waren klar strukturiert, der Austausch geriet konstruktiv.

Als Ziel formulierten die Anwesenden, sich auch langfristig zu organisieren, um den Flüchtlingen in Wilmersdorf zu helfen. Zu diesen Zweck wurde ein themenübergreifendes Organisationsteam an diesem Abend gegründet. Ein Teilnehmer des Treffens fand sogar, dass Wilmersdorf anderen Bezirken "Entwicklungshilfe" bieten solle und das gut organisierte Engagement des Bezirks als Vorbild für andere Initiativen dienen könne. So wie es an dem Abend Mitglieder der Initiative "Willkommen in Westen" vormachten, die auch allergrößtenteils von positiven Erfahrungen nach zunächst teils wenig hoffnungsovllem Beginn in ihrem Kiez berichteteten und den Wilmersdorfern Mut machten.

Jana Scholz

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