
© Steffi Bey
„Für viele ist Bolle ein Familienersatz“: Diese Marzahnerin gibt Jugendlichen eine Perspektive
Im Kinder- und Jugendhaus Bolle in Marzahn-Mitte gibt es warme Mahlzeiten, Freizeitangebote und ein offenes Ohr für junge Menschen. Isabell Baumann kennt einige von ihnen seit vielen Jahren.
Stand:
Das Filmprojekt veränderte alles. Für die heute 18-jährige Nina (Name von der Red. geändert) war das ihr persönlicher Durchbruch. Sie hatte erstmals Spaß beim Lesen eines Buches und amüsierte sich, wie andere aus dem Team in Schauspieler-Rollen schlüpften. Und sie stand hinter der Kamera und filmte die Szenen.
Jetzt beginnt die junge Frau sogar eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild und Ton. „Denn sie weiß nun, wohin sie will“, sagt Isabell Baumann, die beim Straßenkinder e.V. für Medien und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist. Sie kennt Nina seit vielen Jahren. Ganz genau kann sie sich erinnern, wie „das zurückhaltende, in sich gekehrte Mädchen“ anfangs in das Kinder- und Jugendhaus Bolle kam. „Nina redete wenig und wollte kaum etwas mitmachen“, sagt Baumann.
Dass sie doch immer wieder die Einrichtung an der Hohensaatener Straße in Marzahn-Mitte besuchte, hat etwas mit den Menschen im Haus zu tun: Mit dem 25-köpfigen Team aus Sozialarbeitern, Erziehern, Quereinsteigern und auch den Kollegen aus der Verwaltung. Für viele ist „Bolle“ eine Art Familienersatz.
Ein geschützter Ort
Denn wer hierherkommt, hat meistens noch nicht viel Gutes im Leben erfahren. Die Kinder und Jugendlichen sind oft aus schwierigen Verhältnissen, weil die Eltern wenig Zeit oder wenig Geld haben, sich zuhause alles auf beengtem Wohnraum abspielt und manche sogar Gewalt erfahren.
Aber bei „Bolle“ sind sie immer willkommen. Das 2010 vom Verein Straßenkinder e.V. eröffnete Haus ist ein geschützter Ort. Dort erhalten sie täglich eine warme Mahlzeit, es gibt Hausaufgabenhilfe sowie jede Menge Freizeit- und Bildungsangebote. „Besonders wichtig ist uns die langfristige Bindung und Förderung, damit junge Menschen Perspektiven entwickeln können“, erklärt Isabell Baumann.
Und sie ist froh, den aus ihrer Sicht wichtigen und richtigen Weg zu gehen. Denn nach ihrem Studienabschluss als Wirtschaftsingenieurin merkte sie, dass sie etwas mit Menschen machen möchte. „Etwas, wo ich am Ende des Arbeitstages merke, dass es ihnen besser geht“, beschreibt die 30-Jährige ihre Motivation für das soziale Arbeitsfeld.
Brennpunkt Marzahn
Über eine Bekannte erfuhr sie von dem Verein, der im Jahr 2000 vom Sozialarbeiter Eckhard Baumann mit dem Ziel gegründet wurde, junge Menschen von der Straße zu holen. Die Aufgaben und der Verein wuchsen – und 2010 entstand die Idee, am Berliner Stadtrand ein präventives Projekt zu starten.
Es wurde schließlich in Marzahn umgesetzt, weil dort nach wie vor soziale Problemlagen prägend für viele Familien sind. So liegt beispielsweise die Arbeitslosenquote im Bezirk über dem Berliner Durchschnitt. „Besonders alarmierend ist zudem die Zahl der Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen, die in den letzten Jahren kontinuierlich anstieg“, sagt Isabell Baumann.
Aber schnell wurde klar, der Altbau reicht nicht aus, für all die Kinder, die Schutz suchen. Deshalb wurde mehr Platz geschaffen und 2017 zusätzlich ein Neubau eröffnet. Bolle nutzt seitdem zwei miteinander verbundene Gebäude. Zur Eröffnung kamen sogar Prinz William und Herzogin Kate.
In diesen Tagen beginnen mehrere neue Leute mit ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Einrichtung. Paula aus Bonn hat sich diesen Ort „wegen des einzigartigen Konzeptes ausgesucht“. Auch Fabian aus Mecklenburg-Vorpommern ist begeistert und freut sich auf seinen Einsatz.
Und wie sieht der Alltag bei Bolle aus? Vormittags treffen sich die Mitarbeiter zu Besprechungen und von 13 bis 18.30 Uhr stehen die Türen für alle Kinder und Jugendlichen offen. Im Haus gibt es drei Bereiche – für Kinder, für Teenies und für Jugendliche bis 18 Jahre. Jedes Areal hat seine eigene kleine Küche für individuelle Projekte. Es gibt unter anderem freie Beschäftigungen, ebenso spezielle Programme und Workshops sowie ein „motivierendes Lernpunktesystem“.
Schon zweimal fand beispielsweise eine Wohnwoche statt. Mit den 14- bis 18-Jährigen wurde trainiert, was alles dazugehört, wenn man auszieht. Mit An- und Abmeldung bis hin zu Versicherungsfragen. Die Mitarbeiter aus der Verwaltung wurden mit in das Projekt einbezogen. „Deshalb kennen uns die Kinder und Jugendlichen – und wir kommen auch zu Ferienfahrten mit“, sagt Pressefrau Isabell Baumann. Der Verein Straßenkinder e.V. finanziert sich durch Spenden, der Bezirk Marzahn-Hellersdorf unterstützt seit einigen Jahren das Projekt „Wir gemeinsam gegen Gewalt“.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: