
© Madlen Haarbach TSP
Rassistische Drohungen, Queerfeindlichkeit, Antisemitismus: In Neukölln öffnet die erste Anlaufstelle gegen Gewalt und Diskriminierung
Künftig sollen vor allem Vorfälle gegen Kinder und Jugendliche nicht mehr nur registriert werden. Stattdessen sollen Betroffene beraten und bei der Verarbeitung unterstützt werden.
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Im früheren Container des Jugendclubs „Blueberry Inn“ auf dem Boddinplatz in Berlin-Neukölln öffnet kommende Woche die erste Anlaufstelle gegen Gewalt und Diskriminierung in Neukölln. „Wir füllen damit eine Lücke“, sagte Jugendstadträtin Sarah Nagel (Linke) bei einem Pressegespräch im Vorfeld der Eröffnung.
Die neue Stelle soll sich insbesondere an Kinder, Jugendliche und deren Eltern richten, wenn diese von Gewalt und Diskriminierung betroffen sind. Bislang seien die entsprechenden Fälle nur registriert worden, sagte auch Michael Bandt, der im Jugendamt für die Sozialraumkoordination zuständig ist.
Künftig sollen die Kinder und Jugendlichen, aber auch Erwachsene hier einen Ort erhalten, an dem sie von Vorfällen berichten, aber auch zum Umgang damit beraten werden können. Außerdem sind etwa künstlerische Workshops und andere Angebote geplant, um mögliche Vorfälle zu be- und verarbeiten.
Bislang wurden Fälle nur registriert
„Was konkret umgesetzt wird, soll sich nach den Wünschen der betroffenen Kinder und Jugendlichen richten“, sagte Nagel. Zentral sei dabei die Erfahrung von „Selbstwirksamkeit“. Eine Umfrage des Jugendamts bei Neuköllner Kindern und Jugendlichen hat demnach schon vor einigen Jahren ergeben, dass Diskriminierungserfahrungen bei vielen ein besonders relevantes Thema seien.
Bandt berichtete etwa vom Fall einer Mädchengruppe aus der High-Deck-Siedlung, die bei einem Ausflug an die Ostsee rassistisch beleidigt und bedroht worden war. „Das ist eine Tanzgruppe, den Vorfall haben die Mädchen dann tänzerisch bearbeitet“, sagte er.
Was konkret umgesetzt wird, soll sich nach den Wünschen der betroffenen Kinder und Jugendlichen richten.
Neuköllns Jugendstadträtin Sarah Nagel (Linke)
In einem anderen Fall seien Jugendliche auf dem Weg zu einer angemeldeten Demo gegen Kürzungen im Jugendbereich von der Polizei aufgehalten worden, weil diese einen Zusammenhang zu Nahost-Protesten vermutete. „Die Jugendlichen haben sich rassistisch diskriminiert gefühlt und sich ein Gespräch mit dem Abschnittsleiter gewünscht“, berichtete Bandt. Künftig könnten solche und ähnliche Ideen direkt über die Anlaufstelle umgesetzt werden.
Träger der neuen Anlaufstelle ist der kurdische Elternverein Yekmal, der auch seit drei Jahren die Neuköllner Registerstelle betreut. Yekmal habe seit Jahrzehnten Erfahrungen mit unterschiedlichen Diskriminierungsformen, berichtete Geschäftsführerin Günay Darici.
Der Verein betreibt in Berlin und bundesweit unter anderem mehrsprachige Kitas, juristische Beratungsstellen für Asyl- und Aufenthaltsfragen, Familienzentren und eine Erstaufnahmestelle für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Schwerpunkt der Arbeit sei es, die Situation von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland nachhaltig zu verbessern, sagte Darici.
In Neukölln sei der Verein unter anderem durch die Arbeit der Registerstelle bereits bestens vernetzt, unter anderem auch mit Jugendclubs. „Mit der Anlaufstelle können wir Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, dass sie sich weniger schutzlos fühlen“, sagte Darici.
So sollen auch mehr Vorfälle registriert werden
Leiter der neuen Stelle wird Merih Ergün, der bei Yekmal bereits für den Antidiskriminierungsbereich zuständig ist. Die neue Stelle soll ab dem 18. Oktober werktags von 15 bis 19 Uhr geöffnet sein: Kinder, Jugendliche und Erwachsene können dann bei Vorfällen einfach vorbeikommen und das Gespräch suchen. Die Beratung ist mehrsprachig möglich, unter anderem in Deutsch, Englisch, Kurdisch, Türkisch, Spanisch und Arabisch.
Zusätzlich sind die bereits erwähnten Workshops und Gruppenangebote geplant. „Wir gehen auch direkt in Jugendclubs und Schulen, wenn der Bedarf besteht“, sagte Ergün. Nicht zuletzt bestehe durch die neue niedrigschwellige Anlaufstelle auch die Hoffnung, dass mehr Kinder und Jugendliche Vorfälle melden, sagte Bandt. „Dann erfahren wir mehr darüber, was sie in Neukölln täglich erleben.“
Finanziert wird die Stelle anteilig aus Projektmitteln des Landes und Geldern des Bezirksamtes. Bislang steht die Finanzierung für die vier halben Stellen der Mitarbeitenden bis Ende 2025. „Wir hoffen natürlich, dass das verstetigt wird“, sagte Jugendstadträtin Nagel.
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