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Ein Stolperstein erinnert an ein Opfer des Nationalsozialismus.

© imago/Emmanuele Contini

Zwischen „roter Hochburg“ und Judenverfolgung: Podcast beleuchtet Alltag, Verbrechen und Widerstand im Neukölln der NS-Zeit

Zwei Historiker analysieren den Alltag zwischen Selbstbehauptung und Widerstand in der NS-Zeit – und Neuköllns Ruf als Hochburg der Sozialdemokratie.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der heutige Berliner Bezirk Neukölln stark proletarisch geprägt: Hier lebten überwiegend Industriearbeiter:innen mit ihren Familien. Schon zur Kaiserzeit war Neukölln, bis 1912 noch als Rixdorf bekannt, eine „rote“ Hochburg der Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen – und als „Spartakistenrepublik“ auch deutschlandweit bekannt. Schon kurz nach Ende des 1. Weltkrieges marschierten mehrfach rechtsextreme Militärs in den Bezirk ein, ermordeten (vermeintliche) Kommunist:innen und terrorisierten die Bevölkerung.

Wie ging das „rote Neukölln“ mit dem Erstarken des Nationalsozialismus um? Dieser Frage gehen die beiden Historiker Constantin Horscht und Alexander Valerius in ihrem Podcast „Alltag und Verbrechen. Neukölln im Nationalsozialismus“ nach. In acht Folgen sprechen sie, basierend auf historischen Quellen, über die Verfolgung jüdischer Nachbar:innen, den Alltag zwischen Anpassung und Selbstbehauptung und den Widerstand zumindest einiger Neuköllner:innen.

Die beiden Podcaster Constantin Horscht und Alexander Valerius.
Die beiden Podcaster Constantin Horscht und Alexander Valerius.

© privat

Entstanden ist der Podcast als eine Art Corona-Projekt: Horscht und Valerius kennen sich bereits seit der Schulzeit in Köpenick, studierten zusammen Geschichte an der Humboldt-Universität und bieten seit einigen Jahren an der Neuköllner Volkshochschule Stadtführungen und Vorträge zur lokalen Geschichte an. „Wir widmen uns ganz unterschiedlichen Themen, etwa der Geschichte des Bierbrauens, historischen Kriminalfällen oder der Kirchengeschichte“, erzählt Horscht am Telefon.

Anfang 2020 hatten sie eigentlich ein mehrteiliges Seminar eben zum Thema Neukölln im Nationalsozialismus geplant – das dann pandemiebedingt abgesagt wurde. „Wir haben dann die Idee gehabt– wie viele Leute damals – einen Podcast zu machen“, erzählt Horscht. Die Aufnahmen waren schnell gemacht, dann lag das Material aber bis vor kurzem in der Schublade.

Gemeinsam mit Freund:innen, etwa Musikwissenschaftler Felix Marzillier, der eigens Musik für den Podcast komponiert hat, die sich an einem Neuköllner Komponisten orientiert, und Schauspielern Anna Gesewsky, die nun ausgewählte Quellentexte vorliest, stellten sie den Podcast fertig und veröffentlichten ihn.

Gefragt, was das besondere an Neukölln zur NS-Zeit war, sagt Horscht: „Das ist schon verblüffend, sich anzuschauen, wie die Nazis eigentlich eindringen konnten – und überraschend, das viele einfache Neuköllner dann eben dem Nationalsozialismus doch nicht so kritisch gegenüber eingestellt waren.“

Hier wurden Gaswagen gebaut, in denen später Menschen ermordet wurden.

Constantin Horscht, Historiker und Podcaster

So hätten manche etwa schamlos ihre jüdischen Nachbar:innen ausgeplündert. „Gleichzeitig ist interessant zu sehen, wie die Arbeiterbewegung aus der Vorkriegszeit die Kontakte weitergepflegt und zum Teil den Widerstand und Untergetauchte unterstützt hat.“ Insgesamt sei die Anpassung an den Nationalsozialismus allerdings „schockierend“, sagt Horscht.

Im Podcast werden auch verschiedene Einzelschicksale dargestellt. Da geht es etwa um den Neuköllner Rabbi George Kantorowski, der die Synagoge in der Isarstraße – hinter der heutigen Kindl-Brauerei – leitete. „Der Rabbiner hat lange versucht, weiter seinem Beruf nachzugehen, wurde aber immer weiter aus dem Alltagsleben ausgegrenzt“, schildert Horscht. In der sogenannten Reichspogromnacht wurde dann am 9. November 1938 die Synagoge zerstört, Kantorowski wurde unmittelbar danach festgenommen, kam aber wieder frei. Kurz darauf ging die Rabbinerfamilie ins Exil nach Shanghai und später in die USA.

Besonders spannend sei für ihn an der Arbeit am Podcast gewesen, Orte, an denen er jeden Tag vorbeigeht, aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. „Das ist auch immer wieder schockierend, weil auch in Neukölln aktiv am Holocaust mitgearbeitet wurde: Hier wurden etwa Gaswagen gebaut, in denen später Menschen ermordet wurden.“

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