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© Kai-Uwe Heinrich TSP

Deutschlandhaus: Bund der Vertriebenen: Patrioten unter sich

Alle reden über Erika Steinbachs Verzicht. Im Deutschlandhaus kann man die Vertriebenen treffen.

In einer Ecke am Fahrstuhl im Parterre hockt die sechsköpfige Flüchtlingsfamilie mit ihrem Hund, zusammengekauert, ein Bild des Jammers. Die Plastik „Die Ausgewiesenen“ entstand in den fünfziger Jahren: „Eigentum der BRD“ heisst es auf einem kleinen Schild, Staatseigentum also wie fast alles hier im Foyer vom Deutschlandhaus am Askanischen Platz – die bunten Bleiglasfenster, die Wappen einstiger deutscher Städte und die Uhr an der Wand. Beide Zeiger sind auf der Zwölf stehen geblieben. Nichts scheint mehr zu gehen in diesem viergeschossigen, 1926 errichteten, mehrfach umgebauten und unter Denkmalschutz stehenden hellen Verwaltungsgebäude.

Hier soll einmal die Ständige Ausstellung zu Flucht und Vertreibung in Europa gezeigt werden, so hat es die Bundesregierung beschlossen. Dafür müssen aber erst die jetzigen Mieter ausziehen. Das Haus wird ab 30. Juni für 30 Millionen Euro umgebaut, bisher gibt es weder eine Ausschreibung noch einen Architekten. Viele Büros sind schon leer, nur einige Berliner Landsmannschaften des Bundes der Vertriebenen halten noch die Stellung, haben aber wenig Lust, ihre Vitrinen und die Dekorationen im vierten Stock auf den neuesten Stand zu bringen. Großmächtig scheint die Erinnerung an bessere Zeiten in der verlorenen Heimat. Da hängen schöne Hafenbilder aus der „alten Hauptstadt Pommerns, Stettin“, in einer Vitrine steht das Modell vom eindrucksvollen Königsberger Schloss, das sich auch als Zeichnung auf einem Paket Schweriner Christstollen findet. An der Wand hängen Landkarten mit Städtenamen, die es östlich von Oder und Neiße seit 1945 nicht mehr gibt. „Vertreibung oder ethnische Säuberung?“ fragt ein Schild an der Tür zu den Pommern, und gibt auch gleich die Antwort: „Unrecht bleibt Unrecht“.

Heimatstolz geht offenbar sehr weit zurück: Da der preußische Baumeister Carl Gotthard Langhans anno 1732 im schlesischen Landeshut (heute Kamienna Góra) geboren wurde, verkünden die Schlesier stolz: „Wir sind das Brandenburger Tor!“ Und in der Werbung für das Ostpreußenblatt „Preußische Allgemeine Zeitung“ umkränzen 36 Städtewappen das Ostpreußenland in den Grenzen vom 1. 4. 1939, „Deutschlands beste Seiten“ berichten über Themen, „die Sie woanders nicht lesen. Ohne Rücksicht auf das, was andere für politisch korrekt halten.“ Die Zeitung jedenfalls legt den preußischen Maßstab an: „Wir stehen für einen aufgeklärten Patriotismus, konservative Werte und einen kühlen Blick für das Wesentliche“. Wer Ostpreußen so in den Genen hat, der zitiert auch gleich das Ostpreußenlied vom Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen: „Starke Bauern schreiten hinter Pferd und Pflug, über Ackerbreiten streicht der Vogelzug. Und die Meere rauschen den Choral der Zeit. Elche stehn und lauschen in die Ewigkeit.“

Ist es ein ewiges Trauern und Zurückblicken, das sich im Deutschlandhaus am Leben hält, seit der Bund der Vertriebenen dort eingezogen ist? „Hier war nach dem Mauerbau der erste Anlaufpunkt für Flüchtlinge aus der DDR, das Haus hat in der Geschichte der Vertreibung einen wichtigen Platz“, sagt Rüdiger Jakesch, der Vorsitzende des Berliner Verbandes. „Aber kein Heimatvertriebener hat die Absicht, in sein altes Leben zurückzuwollen.“ Es gebe keinen Revanchismus, wohl aber ein „Wachhalten des Kulturgutes der alten Ostländer im Bewusstsein der Deutschen.“ Und: „Wir möchten nicht, dass das Schicksal der eigenen Landsleute, die größte Vertreibung der Weltgeschichte, totgeschwiegen wird.“

An all das erinnern jene Landsmannschaften, die das Faltblatt „Ostdeutsche Kulturarbeit im Deutschlandhaus“ auflistet: Deutsch-Baltisch, Ost- und Westpreußen, Danzig, Pommern, Weichsel-Warthe, Schlesien, Sudeten, Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen und die Landsmannschaft der Deutschen in Russland. Für sie ist das Gebäude die erste Adresse. Mit dem Projekt „Miteinander“ bemüht sich der Verband um die Integration älterer Russlanddeutscher, „wir haben sie mit anderen Migrationsgruppen zusammengebracht“, sagt Rüdiger Jakesch, „und möchten in guter Nachbarschaft mit Polen und Tschechien leben, besonders mit jungen Leuten, die sich mit uns auf Spurensuche in die Vergangenheit begeben“.

Glücklich über das Kofferpacken in der Stresemannstraße 90 ist kaum jemand. Und viele wissen nicht, wohin die Reise geht, zumal unklar ist, wer nach dem Umbau des Deutschlandhauses zurückkehren und die neuen Mieten zahlen kann. Die Vertriebenenverbände möchten auf jeden Fall citynah eine Bleibe behalten.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben bemüht sich um Ersatz für die Mieter. Der Deutsche Entwicklungsdienst und die Vereinigung Opfer des Stalinismus sind schon nach Charlottenburg gezogen, die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bündnis für Demokratie und Toleranz ziehen Richtung Checkpoint Charlie in die Friedrichstraße 50. Die Stiftung für das Holocaust-Mahnmal ist noch auf der Suche. Im Café Stresemann will man nichts zu Umzugsplänen sagen, in der Raucherkneipe „Zur Traube“ wird am 30. Juni die letzte Molle ausgeschenkt. Seit 1977 saßen hier Stammgäste beim Bier im Deutschlandhaus – „und später steht hier die Mauer zum Eingang ins Vertriebenenmuseum“, sagt der Wirt, „die geht dann mitten durch die Traube“. Aber die ist dann weg.

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