
© Doris Spiekermann-Klaas
Bergmannfriedhöfe in Berlin-Kreuzberg: Bürger protestieren gegen Wohnungsbau auf Gräberfeldern
Die Evangelische Kirche gibt Friedhofsflächen frei für Neubauten. Eine Initiative in Kreuzberg warnt nun vor "Kulturzerstörung".
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Die denkmalgeschützten Friedhöfe an der Bergmannstraße gehören zu den größten zusammenhängenden Gräberfeldern Berlin und sind mit ihren teils monumentalen Grabmalen ein Ort der Einkehr. Am Rand der Kreuzberger Friedhofsanlage soll im kommenden Jahr eine Wohnanlage in sogenannter Modulbauweise für 130 bis 150 anerkannte Flüchtlinge errichtet werden, als Träger der Einrichtung ist das Diakonische Werk vorgesehen.
Die ersten Protestflugblätter einer Bürgerinitiative kursieren bereits, obwohl bei diesem Bauprojekt kein Mieter durch neue Luxuswohnungen verdrängt wird. Die geplante Bebauung sei "Ausdruck einer sich offenbar im Eiltempo vollziehenden Abschiednahme von traditionellen christlichen Werten" und "Bestandteil eines groben Aktes von Kulturzerstörung", schimpfen die Initiatoren im Anschreiben zu einer Unterschriftensammlung gegen das Bauvorhaben. Kreuzberg, oft als links und atheistisch verkannt, kann auch konservativen Widerstand. "Wir haben bereits mehr als 3000 Unterschriften", sagt Klaus Lückert, Mitbegründer der Bürgerinitiative "Keine Bebauung - Für den Erhalt der Bergmannfriedhöfe in Kreuzberg".
Das Bauvorhaben an der Jüterboger Straße am Rand des Friedrichswerderschen Friedhofs ist nur der Anfang einer Wiederbelebung von ehemaligen Ruhestätten. Von den 908 Hektar Friedhofsflächen (Stand 2014) könnten in den nächsten Jahren rund ein Drittel neu genutzt werden – auch um den dringenden Wohnungsbedarf der wachsenden Stadt zu decken. Langfristig sollen nach den Vorgaben des geltenden Friedhofsentwicklungsplan des Senats von 2006 rund 40 Prozent der Flächen umgewidmet werden. Als letzte Ruhestätten werden sie nicht mehr gebraucht, weil sich die Bestattungskultur durch die Zunahme von Feuerbestattungen verändert hat, für die Kirchen ist die Unterhaltung unwirtschaftlich geworden.
Auch auf Friedhöfen in Neukölln und Friedrichshain wird gebaut
"An der Jüterboger Straße werden zurzeit die rechtlichen Voraussetzungen für den Baubeginn geprüft", sagt Jürgen Quandt, Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbands Stadtmitte. Man befinde sich dazu in der Abstimmung mit den Denkmalbehörden, außerdem gebe es noch "einige wenige Pietätsfristen" zu beachten. "Dazu liegt ein Antrag bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung". Quandt, ein pensionierter Pfarrer, geht davon aus, dass die Bauarbeiten im Laufe des kommenden Jahres beginnen können.

© Simulation: promo
Andernorts ist man schon weiter: Auf dem Neuköllner Friedhof Jerusalem V an der Netzestraße, einer Parallelstraße der Hermannstraße, soll in Kürze eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge errichtet werden. Geplant sind dort 126 Wohnplätze in zwei Bauten. Für die künftigen Bewohner sind Apartments mit separaten Küchen und Bädern geplant, zusätzliche Gemeinschaftsräume sind unter anderem für Schulungen vorgesehen.
Friedhöfe sind in Berlin besonders artenreiche Orte, die teilweise auch als spezielle Rückzugsorte für viele Tier- und Pflanzenarten dienen [...]. Diese nun zu bebauen, dürfte für die Artenvielfalt in Berlin nicht unbedingt förderlich sein. Ich halte diese Entscheidung für Blödsinn und finde das höchst unerfreulich!
schreibt NutzerIn cassi
Klimafreundliches Wohnen und Urban Gardening
In Friedrichshain hat eine Baugruppe eine Teilfläche des Georgen-Parochial-Friedhofs an der Landsberger Allee gekauft. Direkt neben dem Friedhofstor entsteht ein Mehrfamilienhaus in Holzbauweise. Die Bauherren des Projekts "Walden 48" werben auf ihrer Website für klimafreundliches Wohnen mit grüner Aussicht auf Friedhof und Nachbarschaft zum Volkspark Friedrichshain.
"Und es wird weitere Ausschreibungen von Friedhofsflächen geben", kündigt Jürgen Quandt vom Friedhofsverband an. Ehemalige Grabstätten sollen aber nicht nur bebaut werden. Auch Grünanlagen und Areale etwa für Urban Gardening seien vorgesehen. Auf den Friedhöfen der wachsenden Stadt, so die Zukunftsvision, könnte neues Leben in vielen Facetten erblühen. Auch eine Art Auferstehung - ganz im Neuberliner Diesseits.
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