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Essen zum Abgewöhnen: Das Berliner „Disgusting Food Museum“ ist eröffnet
Passend zur Sommerdiät hat in Berlin ein neues Museum eröffnet, dass kulinarisch einiges zu bieten hat. Zu sehen sind viele appetitverderbende Schweinereien.
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Ein mit blauen Schimmeladern deftig durchzogener Roquefort oder eine glitschige rohe Auster mögen den frankophilen Gourmet erfreuen, andere wenden sich bei dem Anblick womöglich mit Schaudern ab. Was ekelerregend ist, liegt oft im Auge und in der Nase des Betrachters, und der ist in seiner Kultur verfangen.
In manchen Gegenden der Welt wirkt die „Mongolische Mary“ aus Schafaugäpfeln mit Tomatensaft im Nachhinein gut gegen Kater, in anderen Regionen würde sie das schon vorab als Abschreckung tun. Der eine trinkt Reiswein mit Schlangen als Aphrodisiakum. Der andere verliert bei dem Gedanken an ein preisgünstiges „Berliner Schnitzels“ aus Kuheuter die Lust aufs Essen.
Das „Disgusting Food Museum“ hat gerade erst eröffnet in den Räumen, die früher das Currywurst-Museum beherbergten. Als Eintrittskarte gibt es eine weiße Tüte von der Art, wie man sie vor dem Flugzeugsitz oft noch findet. Im Grunde geht es aber nicht darum, die Leute zum Kotzen zu bringen.
„In einer Zeit, da Streitigkeiten oft erbittert ausgetragen werden, kann der Austausch über unterschiedliche länderspezifische Geschmackskulturen Vorurteile abbauen“, glaubt Museumsdirektor Martin Völker. Ihm geht es darum zu zeigen, „was hinter dem Ekel steckt“.
Ziviliserte Schweinenasen
Auch die „Foie Gras“ kommt vor unter den Exponaten. Die Gänsestopfleberpastete gilt bei manchen Gourmets immer noch als absolute Delikatesse. Aber wer liest, wie den Tieren durch eine Schlundsonde fettreicher Maisbrei in den Magen gepumpt wird, damit ihre Leber auf ein Vielfaches anschwillt, könnte den Appetit darauf schnell verlieren.
Vielleicht kommen ja stattdessen mal die ungleich zivilisierteren Schweinsnasen in Mode, deren sehnige, knorpelige Textur die Chinesen beim Snacken so mögen, während sie in Deutschland praktisch keine Chance haben, auf Appetit zu stoßen. Und also in großem Stil in den fernen Osten exportiert werden.

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Man muss gar nicht unbedingt weit reisen, um gewöhnungsbedürftige Speisen zu erleben. Gleich neben dem sardischen Pecorino-Käse-Laib, in dem fröhlich die Maden herumwimmeln, gibt es den Milbenkäse aus Sachsen-Anhalt zu sehen, der inzwischen ebenfalls als hochpreisiger Leckerbissen gehandelt wird.
Grenzwertiger aus europäischer Sicht wird es beim Kuhurin, der nicht nur zur Behandlung von Lepra und Krebs eingesetzt wird, sondern in Indien auch ein beliebtes Bodenreinigungsmittel ist.
Chinesen sammeln gern in Eimern den Urin von Jungen, um Eier darin zu kochen, stundenlang, bis sie goldgelb sind und einen eindeutigen Geruch an sich haben. Schwer vorstellbar, aber der Geschmack von „Virgin Boy Eggs“ soll süchtig machen. Die deutsche Blutwurst aus Schweineschwarte, Schweineblut und Gerste mag in anderen Teilen der Welt eine ähnlich abschreckende Wirkung haben.
Mehlwürmer und Heuschrecken zum Probieren
Nach Malmö ist das Berliner Museum das zweite dieser Art, ein Franchise-Unternehmen. Weitere könnten folgen. Ein Lehrer, der sich bei seinen Teenager- Schülern beliebt machen will, sollte einen Besuch unbedingt ins Programm nehmen.
An der Tasting Bar darf dann auch probiert werden. Salty Licorice aus Island, Mehlwürmer oder Heuschrecken-Snacks vielleicht. Derzeit gibt es Kostproben in kleinen Kästchen mit nach Hause, und die Besucher werden gebeten, später Selfies mit ihrem Gesichtsausdruck beim Probieren einzuschicken.
Gut zu wissen, dass Geschmäcker sich ändern. Hummer etwa war früher in solchen Mengen vorhanden, dass er an Sklaven und Gefangene verfüttert wurde, aber in Massachusetts geschah das per Gesetz nicht mehr als zweimal die Woche, weil das sonst als zu grausam gegolten hätte. Später wurde das Krustentier zum Luxusessen für die oberen Zehntausend. Heute werden Hummerschwänze in Berlin an einigen Orten wie Bratwürste im Bauchladen verkauft.
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Manche Exponate müssen regelmäßig erneuert werden, Innereien kommen vom Schlachthof, auch der Bullenpenis hält nicht ewig, obwohl der noch schwerer aufzutreiben ist als Herzen oder Nieren. Martin Völker achtet bei den Exponaten darauf, dass sie nicht zu grausam sind, das gilt zum Beispiel für das Video vom Kawangkuon Markt in Indonesien, in dem es um gegrillte Hunde geht, die in anderen Ecken der Welt den Menschen schmecken, bei uns aber tabu sind für den Kochtopf.
Vergleichsweise harmlos sieht im Museum die graue Robbe aus, aus der ein paar Federn ragen. In der harten Wirklichkeit wird sie ausgeweidet, mit arktischen Vögeln gefüllt und wieder zugenäht. Die Vögel werden begraben und gären im Kadaver. Wenn sie reif sind, reißt der Genießer ihnen den Kopf ab und saugt die Säfte heraus. „Kiviak“ heißt diese Gaumenfreude aus Grönland.

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Ekel ist individuell. Ob man Koriander mag oder nicht, ist genetisch bedingt. Mit einer bestimmten Disposition schmeckt das für Guacamole unverzichtbare Kraut nach Seife. Cajetas, mexikanische Ziegenmilchlutscher begeistern Kinder auf der einen Seite des Ozeans. Auf der anderen Seite werden sie lieber liegengelassen. Shirako, Fischspermasäcke sind in Japan eine winterliche Delikatesse. In Chengdu in China mögen sie junge Kaninchenköpfe und brechen den Schädel auf, um das magere Gehirn direkt auslöffeln zu können. Beide Speisen hätten in Berliner Restaurants wohl keine Chance, viele Abnehmer zu finden.
Ein Ästhetiker mit Sinn für Ekel
Eine Selfiewand aus Konserven zeigt freilich, dass Innereien auch hierzulande schon mal beliebter waren, saure Nieren oder Herzpfeffer. Manches darunter ist aber auch erfunden, der Tigerhoden ebenso wie der Känguru-Anus, der Pinguin-Rollbraten oder die Thailändischen Taranteln. „Uns ging es darum, Ekel so darzustellen, dass die Leute Spaß dran haben“, sagt Martin Völker, der das Museums-T-Shirt mit der Aufschrift „Bäh“ trägt. Lange hat er als Wissenschaftler gearbeitet. Der 49-jährige ist studierter Ästhetiker.
Bei manchen Speisen ist eine Änderung der Einstellung schon absehbar. Heuschrecken etwa, die in Uganda ein beliebter Bar-Snack sind, gelten im Islam als halal und nach der jüdischen Thora als koscher. Sie enthalten fünfmal so viel Eiweiß pro Kilo wie Rinder. Manche glauben, dass ihnen die große Karriere als wichtiges Nahrungsmittel der Menschheit unmittelbar bevorsteht. Ist erst einmal der Gewöhnungseffekt eingetreten, verschwindet der Ekel ganz von allein.
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