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Berlin: Das wilde Wuchern stoppen

Von Mittwoch an steht das Berliner ICC ganz im Zeichen des 27. Deutschen Krebskongresses. Am Sonntag gibt es Informationsveranstaltungen für Laien. Fragen und Fakten rund um die gefürchtete Krankheit

Wie häufig ist Krebs?

424 250 Krebs-Neuerkrankungen haben die Gesellschaft für Epidemiologische Krebsregister und das Robert-Koch-Institut für das Jahr 2002 ermittelt. Am häufigsten ist bei den Frauen in Deutschland Brustkrebs (mehr als 55 150 Neuerkrankungen pro Jahr), bei den Männern Prostatakrebs (48 650 Fälle), bei beiden Geschlechtern gefolgt von Darmkrebs (jeweils 35 600 Fälle), an dritter Stelle stehen Tumoren der Lunge (32 500 Fälle bei Männern, 12 450 bei Frauen, wobei die Frauen unter 40 jetzt erstmals mit den Männern gleichgezogen haben). Die hohen Zahlen erschrecken, man darf jedoch nicht außer Acht lassen, dass die Gefahr, an Krebs zu erkranken – wie auch die für Herz-Kreislauf-Leiden, die nach wie vor die häufigste Todesursache bilden – mit dem Lebensalter deutlich ansteigt. Kinder erkranken selten und sie werden heute mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder gesund.

Was sind die Ursachen?

Krebs entsteht in vielen kleinen, unscheinbaren Schritten. An deren Ende und damit am Anfang der Erkrankung stehen Zellen, die sich unkontrolliert nach eigenen Spielregeln vermehren und zu wuchern beginnen. Finden sie Anschluss an Blut- und Lymphgefäße, dann können sie in andere Körperregionen gelangen und dort Absiedlungen bilden. Verschiedene Faktoren führen dazu, dass Erbmaterial in den Zellen an Stabilität verliert, dass in den Genen gespeicherte Informationen verloren gehen oder sich verändern. Dadurch wird der exakte Plan für Wachstum, Teilung und Überleben der Zellen empfindlich gestört. Genetische Veränderungen können, wie die „Brustkrebsgene“ BRCA 1 und BRCA 2, vererbt sein. In diesen seltenen Fällen ist das Risiko, die Krankheit zu bekommen, von vorne herein deutlich erhöht. Es können sich im Lauf der Zeit bei der Zellteilung allerdings auch zufällige Fehler einschleichen.

Kann man vorbeugen - und wie?

Wissenschaftler haben errechnet, welchen Anteil einzelne Risikofaktoren im statistischen Durchschnitt an der Entwicklung von Krebs haben. Demnach gehen 25 bis 30 Prozent aller Krebserkrankungen und etwa 20 bis 25 verlorene Lebensjahre auf das Konto des Rauchens. Natürlich würden in einer Welt von Nichtrauchern tödliche Krebserkrankungen nicht verschwinden, doch viele von ihnen würden deutlich später auftreten. Konzentriert man sich allein auf Lungenkrebs, so könnten durch Nichtrauchen sogar neun von zehn Fälle vermieden werden. Am Ratschlag, der sich daraus ableiten lässt, ist wenig zu deuteln.

Der Anteil des Alkohols wird „nur“ auf drei Prozent veranschlagt. Gefährdet sind neben der Leber vor allem Mundhöhle, Rachen, Speiseröhre und Kehlkopf, und das besonders von hochprozentigen Getränken. Es wird empfohlen, den Konsum alkoholischer Getränke auf ein bis zwei Gläser pro Tag zu begrenzen.

Und wie sieht die richtige Ernährung aus? Einige Studien der letzten Jahre brachten enttäuschende Ergebnisse für eine obst- und gemüsereiche Kost. Ernährungsstudien sind allerdings methodisch schwierig. In einer Studie mit knapp 50 000 Frauen sollte ein Teil wenig Fett und viel Obst, Gemüse sowie viele Ballaststoffe essen, dem anderen Teil wurden keine Vorschriften gemacht. Nach acht Jahren waren in beiden Gruppen die Raten von Brust- und Darmkrebs ähnlich hoch. Allerdings stellte sich bei genauerer Betrachtung heraus, dass sich die Frauen in der Diätgruppe kaum anders ernährt hatten als die Frauen ohne Diätvorschriften. Experten empfehlen, sich bei Obst und Gemüse an der Faustregel „fünf Portionen am Tag“ zu orientieren: Mindestens fünf Hände voll verschiedener Früchte (auch als Saft) und roher und gekochter Gemüse. Das nützt auf jeden Fall auch Herz und Gefäßen.

Dafür spricht auch, dass es bei einem solchen Speiseplan leichter ist, schlank zu bleiben. Übergewicht gilt als weiterer Risikofaktor, für Krebs wie für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So ist für eine Frau nach den Wechseljahren das Brustkrebsrisiko um ein Drittel erhöht, wenn ihr Körpermasse-Index (BMI, Körpergewicht in Kilo geteilt durch Körpergröße in Metern im Quadrat) bei 28 statt bei 21 liegt. Denn das hormonempfindliche Gewebe ist dann meist mehr Östrogen ausgesetzt.

Als ziemlich sicher gilt heute auch, dass es das Krebsrisiko senkt, sich viel zu bewegen. Zudem ist eine bei aller Liebe klug-distanzierte Haltung zum UV-Licht der Sonne anzuraten. Vor allem Sonnenbrände in Kindheit und Jugend gelten heute als schwere Hypothek für die Haut.

Wie erkennt man Krebs?

Das Ziel besteht darin, Krebs zu diagnostizieren, solange er heilbar ist. Also möglichst, bevor ein Tumor gestreut und Absiedlungen gebildet hat. Für diese Früherkennung werden heute einerseits Untersuchungen von Zellen unter dem Mikroskop, andererseits bildgebende Verfahren genutzt. Ab 20 können alle Frauen jährlich im Rahmen des gesetzlichen Früherkennungsprogramms einen Zellabstrich aus der Scheide machen lassen, in dem der Pathologe dann nach veränderten Zellen sucht, die ein Hinweis auf Gebärmutterhalskrebs sein können.

Nach Darmkrebs wird von 50 an mit einem Test des Stuhls auf verstecktes Blut oder von 55 an mit einer Untersuchung des Darms mit einem biegsamen Rohr (Koloskopie) gefahndet. Neben der Abtastung der Brust beim Gynäkologen soll für alle Frauen zwischen 50 und 69 demnächst alle zwei Jahre eine routinemäßige Röntgenaufnahme der Brust (Mammografie-Screening) angeboten werden. Meist wird einem Krebs-Verdacht mit der Entnahme von etwas Gewebe und dessen Untersuchung unter dem Mikroskop nachgegangen. Ein Fallstrick der Früherkennung sind die „falsch-positiven“ Befunde. Das ist fälschlicher Krebsverdacht, der unnötig beunruhigen kann. Es ist wichtig, diese Möglichkeit vorher zu bedenken, um nachher möglichst „cool“ zu bleiben.

Wie kann man Krebs behandeln?

Beim Kampf gegen den Krebs greifen verschiedene Behandlungsprinzipien ineinander. „Keines der Fachgebiete sollte sich dabei in den Vordergrund rücken“, sagt Peter Schlag, Präsident der Berliner Krebsgesellschaft. Bei einem chirurgischen Eingriff werden nach Möglichkeit alle bösartigen Zellen aus dem Körper herausgeschnitten. Bei der Strahlentherapie werden unter anderem kurzwellige intensive Gammastrahlen und Röntgenstrahlen benutzt, um die krankhaft veränderten Zellen zu zerstören. Strahlungsempfindliche Tumoren reagieren stärker als das umliegende Gewebe. Tumoren, die leicht zugänglich sind, können mit dieser Methode effektiv zerstört werden. Die Strahlentherapie kann als unterstützendes Hilfsmittel vor einer Operation oder auch danach eingesetzt werden, doch heute wird in einzelnen Fällen auch schon während einer Operation mit Strahlen und Laser behandelt. In der Chemotherapie macht man sich die Tatsache zunutze, dass Krebszellen sich sehr schnell teilen. Zellgifte, die in dieser Phase wirken, treffen bösartige Gewebe deshalb stärker als gesunde. Weil trotzdem verschiedene andere Zellen, etwa des Knochenmarks oder der Schleimhäute, der Therapie vorübergehend zum Opfer fallen. kommt es zu den Nebenwirkungen wie Schwächung des Immunsystems, Beschwerden des Verdauungssystems und Haarausfall. Zellgifte (Zytostatika) werden meist in mehreren Zyklen als Tabletten oder durch die Vene in die Blutbahn gegeben. Heute ist das in den meisten Fällen schon ambulant möglich.

Wie sind die Heilungschancen?

Sie sind für jede einzelne der mehr als 100 bösartigen Erkrankungen sehr unterschiedlich, und sie hängen bei vielen von ihnen stark davon ab, in welchem Stadium die Erkrankung entdeckt wird. Als Maß gilt Fachleuten die Fünfjahres-Überlebensrate. Sie liegt heute nach Angaben des Robert-Koch-Instituts für Brustkrebs bei fast 80 Prozent, für Lungenkrebs dagegen nur bei 13 Prozent. Sehr günstige Prognosen gibt es bei Hodenkrebs, an dem meist junge Männer erkranken und für den Schwarzen Hautkrebs (Melanom). Krebs der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse kann dagegen nur selten geheilt werden, nur fünf von hundert Erkrankten leben fünf Jahre nachdem die Diagnose gestellt wurde.

Welche Hoffnungen gibt es für die Zukunft?

„Dank der modernen Molekularbiologie verstehen wir besser, warum es zu Krebs kommt und wie er sich ausbreitet, und das wird uns in die Lage versetzen, ihn gezielter zu attackieren“, hofft Peter Schlag. So weiß man, dass verschiedene Eiweißsubstanzen, die in der Embryonalentwicklung wichtig sind und später im Normalfall ruhen, das schnelle Wachstum der Krebszellen und sie mobil machen. Inzwischen gibt es Ansätze mit Medikamenten, die dem Tumor die Voraussetzungen für das wilde Wuchern entziehen, zum Beispiel mit den Angiogenesehemmern, die das Aussprossen von Blutgefäßen verhindern. „Doch insgesamt stehen wir auf dem Weg zum zielgerichteten Design von Krebsmedikamenten noch am Anfang“, sagt Schlag.

Adelheid Müller-Lissner

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