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Da braut sich was zusammen - der Mietendeckel liegt über Berlins Wohnungsbestand, auch nahe Kollwitzplatz im Stadtteil Prenzlauer Berg.

© dpa

Update

Die Bilanz nach einem Jahr Mietendeckel: Mehr Eigentum, weniger Investitionen, günstigere Mieten

Vermieter halten sich zwar an das neue Gesetz, dafür werden viele Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt. Günstig wohnt, wer eine Wohnung hat.

Ein Jahr nachdem sie das Licht der Welt erblickt haben, sind sie aus dem Gröbsten raus? Was für Neugeborene gilt, gilt für neu geschaffenes Recht nicht unbedingt. Ein Jahr nach seiner schweren Geburt ist Berlins Rechtsexperiment Mietendeckel noch immer in seiner Existenz gefährdet.

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Normenkontrollklage von CDU- und FDP-Mitgliedern im Bundestag zur Verhandlung angenommen. Und der härteste Eingriff des Gesetzes in den Wohnungsmarkt steht erst noch für den November bevor: Weil der Deckel dann auch zur Absenkung von Mieten bestehender Verträge im Bestand zwingt, also Hunderttausende treffen.

Und dann erst werde das Gesetz den Berliner Wohnungsmarkt mit voller Wucht treffen, den Vermietern Milliarden-Einbußen bescheren und den genossenschaftlichen sowie privaten Neubau von Wohnungen in der Stadt einbrechen lassen.

Ein Jahr nach dem Beschluss des Senats ist schon einmal klar: Hauseigentümer und Verwalter sind gesetzestreu. Die Senatsverwaltung für Wohnen meldete bis Ende Mai 2020 insgesamt 425 Anzeigen und Hinweise zu Verstößen gegen den Mietendeckel. Berlins größter Wohnungsverband BBU hat errechnet, dass dies 0,03 Prozent der Mietverhältnisse betrifft. Und folgert also: „99,97 Prozent der Vermieter*innen haben die Bestimmungen umgesetzt.“

270 der Anzeigen bezogen sich auf den Mietenstopp. In 105 Fällen liegen Beschwerden zur Erteilung der Auskunftspflicht durch die Vermieter vor. „Trotz begründeter Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit hält sich die Wohnungswirtschaft selbstverständlich an Recht und Gesetz“, sagt BBU-Chefin Maren Kern.

80 Prozent der Vermieter erheben einen "Schattenmiete"

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die Verbände rieten ihren Mitgliedern den Mietern wegen ihrer „begründeten Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes neben der Deckelmiete auch die zuvor nach Mietspiegel gültige höhere Miete zu nennen. Und nun weisen Vermieter außerdem darauf hin, dass sie diese einfordern werden, falls Deutschlands Verfassungshüter das Gesetz kippen.

Nach Schätzungen des Mietervereins erheben 80 Prozent aller Vermieter eine solche „Schattenmiete“ neben der Deckelmiete. Für den Fall des verfassungsrechtlichen Gaus hatte die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher (Linke) Mieter aufgefordert, die eingesparte Miete zur Seite zu legen, weil Vermieter Nachzahlungen fordern könnten. Was wiederum die CDU höhnen ließ: Nicht mal die Senatorin vertraue auf die Rechtmäßigkeit ihres eigenen Gesetzes.

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Die Folgen des Deckels am Wohnungsmarkt wollen Maklerverbände und Vermietungsportale bereits herausgefunden haben: weniger Umzüge und weniger Wohnungsangebote. Deutschlands größter digitaler Wohnungsvermittler „Immobilienscout“ meldet zudem, die Mietpreise seien um zwei Prozent gesunken.

Auch Mittes Bezirksstadträtin für Jugend und Familie Ramona Reiser meint die Effekte des Deckels im Stadtteil Wedding festgestellt zu haben und zitiert Zahlen vom Wohnungsportal "Immowelt", wonach die Mieten für freie Wohnungen dort um acht Prozent von elf Euro auf 10,10 Euro gesunken seien.

Das auf den Mietendeckel zu schieben, ist allerdings aus zwei Gründen problematisch. Bereits vor dessen Einführung waren die Mieten nach einem Jahrzehnt stetigen Anstiegs im vergangenen Jahr erstmals gesunken. Außerdem hat die Corona-Pandemie Umzüge schwieriger gemacht.

Florian Schmidt warnte vor vielen Umwandlungen in Eigentum

Mit Vorsicht sollten deshalb auch die neuesten statistischen Zahlen zu den genehmigten Neubauwohnungen bewertet werden, obwohl diese eine viel vorausgesagte Auswirkung des Mietendeckels zu bestätigen scheinen: So sollen laut Amt für Statistik die Zahl der genehmigten Neubauwohnungen bis Ende April um mehr als zehn Prozent gesunken sein. Dafür sei die Zahl der beantragten Eigentumswohnungen um rund ein Drittel gestiegen. Dazu befragt sprach Wohnen-Senatorin Lompscher von einer Momentaufnahme.

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Dass die Immobilienbranche sich nun voll auf den Bau der immer noch lukrativen und in Berlin begehrten Eigentumswohnungen oder die Umwandlung von Mietobjekten in Eigentum verlegen würde, hatte sogar der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Florian Schmidt (Grüne) befürchtet. Bauminister Horst Seehofer will mit seiner Novelle des Baugesetzbuches immerhin die Umwandlung ausbremsen, indem er diese genehmigungspflichtig macht.

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Auch die Immobilienportale melden ein um 20 Prozent gewachsenes Angebot von Eigentumswohnungen. „Das Angebot an Eigentumswohnungen, die vor 2014 fertig gestellt wurden, stieg sogar um 37 Prozent. Gleichzeitig verringerte sich das Gesamtangebot an Mietwohnungen um 28 Prozent“, meldet Immobilienscout. Vor allem das Angebot an preiswerten Mietwohnungen habe sich „durch den Mietendeckel verringert“. Ein solches Objekt zu finden, werde „schwerer denn je“, sagt Geschäftsführer Thomas Schroeter.

Wer dagegen eine Wohnung hat, kann sich freuen. Eine „spürbare Entlastung“ aller Mieter in Berlin sieht der Berliner Mieterverein als Folge des Deckels: „Mieterhöhungen sind nur vereinzelt seit 18. Juni 2019, dem vom Berliner Senat festgelegten Stichtag für den vorübergehenden Mietenstopp, umgesetzt worden“.

Sogar Mieterhöhungen wegen Modernisierungen, bis ins letzte Jahr hinein an der Tagesordnung in Berlin, gebe es nur noch wenige. Damit bestätigt der Mieterverein aber auch eine Entwicklung, vor der Eigentümerverbände gewarnt hatten: Dass wegen des Deckels Verwalter nicht mehr oder nur noch das Allernötigste in ihre Immobilien investieren werden.

Die geringeren Mieteinnahmen infolge des Deckels werden nach Umfragen des BBU-Verbandes auch den Neubau massiv ausbremsen. Die Mitglieder haben für den Zeitraum der Gültigkeit des Berliner Gesetzes von fünf Jahren 1,1 Milliarden Euro an Einnahme-Verlusten gemeldet. Insgesamt gingen infolge von "Investitionsverlusten für Modernisierung, Instandhaltung und Neubau" sogar 5,5 Milliarden Euro verloren. Die Folge: Genossenschaften und private Unternehmen wollen 12.000 Wohnungen weniger bauen. Das jedenfalls teilten sie ihrem Verband mit.

Anm. d. Red. Die Quelle für den kräftigen Rückgang der Baugenehmigungen in diesem Jahr, Stand Ende April, wurde ergänzt: Das Amt für Statistik und nicht nur "Branchenkreise", wie zuvor berichtet, melden diese Entwicklung - Danke an "Wrh" für den Hinweis auf Twitter. Und natürlich ist Florian Schmidt Mitglied der Grünen und nicht der SPD wie in der ersten Version falsch notiert.

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